Sexuelles Trauma
Im folgenden Text erläutere ich, was ein sexuelles Trauma ist, welche Arten von sexuellem Missbrauch es gibt und wie ein Kind damit umzugehen versucht, wenn es Opfer von sexuellen Übergriffen geworden ist. Ich nenne mögliche Folgesymptome und erkläre, wie Heilung möglich ist. Ich beziehe mich bei meinen Ausführungen auf sexuellen Missbrauch in der Kindheit, weil ich davon selbst betroffen war und mich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Es gibt sicher Parallelen zu Missbrauch im späteren Alter, vor allem was Arten, Umgang und Folgesymptome angeht.
Was ist ein sexuelles Trauma
Zu einem sexuellen Trauma kommt es, wenn das Kind zu körperlichen oder nicht körperlichen sexuellen Handlungen durch ältere Jugendliche oder Erwachsene verführt, gezwungen oder genötigt wird. Wir sprechen dann auch von sexuellen Missbrauch. Obwohl mir diese Bezeichnung nicht gefällt, weil sie impliziert, es gäbe einen sexuellen Gebrauch von Menschen oder Kindern, werde ich sie aus Gründen der Geläufigkeit auf meiner Seite trotzdem verwenden.
Arten von sexuellem Missbrauch
Wenn das Kind zu körperlichen sexuellen Handlungen gezwungen wird, kann das in Form von vaginalen oder analen Geschlechtsverkehr geschehen. Wir sprechen dann auch von einer mehr oder weniger gewaltvollen Vergewaltigung. Das Kind kann auch dazu aufgefordert werden, sein Gegenüber mit der Hand oder dem Mund zu befriedigen.
Es muss jedoch nicht immer zu solchen eindeutigen Handlungen kommen. Nicht körperliche sexuelle Handlungen wie anzügliche Blicke, zweideutige Anspielungen oder versteckte sexuelle Berührungen können ebenso traumatisierend sein. Kinder können gezwungen werden, sich nackt zu zeigen oder fotografieren zu lassen. Es kann sein, dass sie genötigt werden, sich pornographische Inhalte anzusehen oder zuzuschauen, wenn der ältere Jugendliche oder Erwachsene masturbiert.
Es kann auch zu verdecktem Missbrauch kommen, der von Außenstehenden gar nicht wahrgenommen wird. Zum Beispiel, wenn Kinder auf den Schoß genommen werden, um sich dann an ihnen zu reiben oder sie unangemessen zu berühren.
Bei einer weiteren Form wird das Kind nicht zu sexuellen Handlungen angeregt und es werden auch keine an dem Kind ausgeführt. Trotzdem wird es durch Erniedrigungen verbaler Art missbraucht. Das Kind wird für seinen Körper oder seine Geschlechtsreife beleidigt und gedemütigt. Das nennen wir seelischen Missbrauch.
Alle Arten von sexuellem Missbrauch, ob körperlich, nicht körperlich, verdeckt oder seelisch, sind für ein Kind gleichermaßen schlimm und verursachen Trauma Folgen im späteren Leben.
Umgang mit sexuellem Missbrauch
Bei Kindern, die sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind, versagen die klassischen Bewältigungsmechanismen Angriff, Kampf und Flucht. Das Kind kann sich nicht zur Wehr setzen, weil der Täter dem Kind geistig und körperlich überlegen ist. Sich Hilfe zu suchen ist für das Kind womöglich noch gar nicht möglich, weil es noch zu klein ist. Auch wenn ein Kind bereits in der Lage wäre, sich Hilfe zu suchen, überwiegen meist Scham und (unberechtigte!) Schuldgefühle. Außerdem wird das Kind mit großer Wahrscheinlichkeit von den älteren Jugendlichen oder Erwachsenen bedroht und unter Druck gesetzt zu schweigen.
In solch einer ausweglosen Situation verharrt das Nervensystem des Kindes in einem Zustand von Dauerstress. Dieser erhöht sich noch, wenn die Gefahr immer wieder und in dichter Folge auftritt. Wie bereits auf der Seite Was ist Trauma erläutert, setzt in so einem hoffnungslosen Fall ein Notfallprogramm ein und betäubt die mit den Taten einhergehenden körperlichen Schmerzen sowie alle Gefühle von Wut, Angst, Ekel und Scham. Um den Albtraum zu überleben, muss das Kind sich spalten, was die Konsequenz nach sich zieht, dass es sich selbst nicht mehr spürt. Häufig werden auch die gesamten Erinnerungen an das Geschehen abgespalten, was begründet, warum sich viele missbrauchte Menschen nicht mehr an die Übergriffe in ihrer Kindheit erinnern können, obwohl sie unter Trauma Folgesymptomen leiden.
Folgesymptome von sexuellem Missbrauch
Je nach Schwere, Häufigkeit, Art und Ablauf der sexuellen Übergriffe besteht für das Kind ein hohes Risiko, tiefgreifende emotionale, physiologische, kognitive, soziale und Verhaltensprobleme zu entwickeln.
Weil das Gehirn eines Kindes noch in der Entwicklung ist, werden die in der Trauma Situation überlebensnotwendigen Verhaltensweisen nicht als temporär, sondern als Charaktereigenschaft in das Gehirn eingebaut. Neue und überwältigende Ereignisse werden dann so verarbeitet, als enthielten sie das Potenzial, traumatisierend zu sein. Die Folgen sind Überreaktionen und dissoziative Verhaltensweisen.
Typische Symptome sind eine ständige innere Unruhe, Unsicherheit und das Gefühl, sich nie wirklich ausruhen zu können. Aber auch das scheinbare Gegenteil kann die Folge sein – ein inneres Aufgeben, chronische Erschöpfung, völliges unbeteiligt sein und nichts mehr zu fühlen. Diese Symptome schränken den Ausdruck der eigenen Lebenskraft ein und ziehen Probleme in der Selbstwahrnehmung sowie im zwischenmenschlichen Kontakt nach sich.
Franz Ruppert hat in seinem Buch *Liebe, Lust und Trauma – Auf dem Weg zur gesunden sexuellen Identität einige konkrete Folgesymptome aufgelistet, die nach sexuellem Missbrauch auftreten können:
- „Ängste, die nicht näher zugeordnet werden können
- Berührungsüberempfindlichkeit
- Ekzeme im Mundbereich (z.B.: Herpes)
- Entzündungen im Genital- und Analbereich
- Blasenentzündungen
- Schmerzen bei der Blasen- oder Darmentleerung
- Verstopfung und Durchfall
- Zahnfleischentzündungen
- Zähneknirschen und Ohrenpfeifen
- Hals- und Mandelentzündungen
- Flacher Atem; Atemnot
- Rücken-, Hüft- und Beinschmerzen
- Dissoziation während des Geschlechtsverkehrs
- Gefühllosigkeit unterhalb der Nabellinie
- Ekel vor bestimmten Nahrungsmitteln, z.B. wenn sie an Sperma erinnern
- Ekel vor Körpergeräuschen und -gerüchen
- Waschzwang
- Starker Nikotin- und Alkoholkonsum
- Konsum von Drogen wie Cannabis, Heroin und Kokain
- Chronische Niedergeschlagenheit
- Erinnerungslücken und Gedächtnisstörungen
- Extreme Anhänglichkeit vs. extremer Rückzug
- Plötzliche Wutausbrüche, Feindseligkeit und Aggressivität
- Schreien und Toben
- Selbstverletzendes Verhalten
- Ablehnung des eigenen Körpers
- Unfähigkeit zu Partnerbeziehungen
- Distanz- und Schamlosigkeit
- Chronisches Stressempfinden
- Verwirrtheitszustände mit Wahnvorstellungen
- Gefühl, gleich verrückt zu werden“
Nicht alle der aufgeführten Folgen müssen ein Hinweis auf einen sexuellen Missbrauch sein. Auch andere schwere Lebenssituationen können diese Symptome nach sich ziehen. Dennoch haben sexuell missbrauchte Menschen häufig mit den genannten Folgen zu kämpfen.
*Buchtipp zur Heilung sexueller Traumata:
Heilung von sexuellem Trauma
Um von sexuellem Trauma ganz zu werden, müssen wir einen Weg finden, die Anteile wieder zu integrieren, die wir, um zu überleben abspalten mussten.
Die abgespaltenen Gefühle, Empfindungen und ggf. Erinnerungen sind noch immer in unserem Körper gespeichert und binden dort Energie, die wir in anderen Lebensbereichen einbüßen müssen. Um Zugang zu den Gefühlen und Empfindungen zu finden, gilt es die Überlebensmechanismen oder -strategien zu erkennen und aufzugeben, die uns bei der Verdrängung unterstützen.
Die Überlebensmechanismen werden in der Regel erst dann wahrgenommen, wenn wir eine gewisse Fähigkeit der Selbstregulierung angeeignet haben. Selbstregulierend sind wir in der Lage, unsere Aufmerksamkeit, Emotionen und Handlungen hinsichtlich selbst gesteckter Ziele zu steuern. Dies gelingt uns wiederum, wenn wir unsere körperlichen Empfindungen, Gefühle und Gedanken im Hier und Jetzt bewusst wahrnehmen und zum Ausdruck bringen können. Wenn wir das lernen, wächst unsere Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung.
Durch reflektierte Selbstwahrnehmung erkennen wir, dass wir heute handlungsfähig und nicht mehr in Gefahr sind. Es wird uns demnach möglich, die Gefühle zu fühlen, die wir als Kind nicht fühlen konnten. Ganz automatisch werden wir uns unserer Überlebensstrategien bewusst, die wir nun Schritt für Schritt aufgeben können. Wir werden dadurch wieder ganz und unser wahres Selbst mit allen angelegten Fähigkeiten und Potenzialen kann sich endlich entfalten.
Nachfolgend findest Du drei Beiträge, die Dir wertvolles Wissen vermitteln und Dich – falls Du selbst betroffen bist – auf Deinem Heilungsweg unterstützen können:
Auf der Seite Traumaheilung habe ich habe ich für Dich außerdem acht wichtige Einflussfaktoren zusammengefasst, die für die auch für die Heilung von sexuellem Traumata maßgeblich sind. Um von den Wunden sexueller Übergriffe zu heilen, sind jedoch teilweise andere oder zusätzliche Schritte notwendig. Welche das sind, erfährst Du in folgendem Beitrag, den ich Dir sehr ans Herz legen kann:
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Quellenverweise:
Berceli, Davin (2005): Körperübungen für die Traumaheilung – und zur Stressreduktion im Alltag, 8. Aufl. Papenburg
Heller, Laurence (2013): Entwicklungstrauma heilen: Alte Überlebensstrategien lösen – Selbstregulierung und Beziehungsfähigkeit stärken – Das Neuroaffektive Beziehungsmodell zur Traumaheilung NARM, 7. Edition, München
Ruppert, Franz (2019): Liebe, Lust und Trauma: Auf dem Weg zur gesunden sexuellen Identität, 1. Aufl., München
Klein, Gopal Norbert (2019): Traumaheilung und Spiritualität. Abgerufen am 29.01.21, von https://www.traumaheilung.net/texte/traumaheilung-und-spiritualitaet/
Schmidt, Tanja (2003): Sexueller Missbrauch in der Kindheit – Auswirkungen im Erwachsenenalter. Abgerufen am 18.03.2021, von https://www.yumpu.com/de/document/read/8607781/sexueller-missbrauch-in-der-kindheit-auswirkungen-im-