Bindungstrauma

Borderline-Persönlichkeit - mehr, als eine Diagnose

Borderline-Persönlichkeit – Du bist mehr als eine Diagnose!

An was denkst Du, wenn Du den Begriff Borderline-Persönlichkeit hörst? Vielleicht geht es Dir ähnlich wie mir und Du reduzierst ihn auch auf selbstzerstörerisches Verhalten. Vor einiger Zeit habe ich Dario Lombardi über Instagram kennengelernt, der sich in seinen Beiträgen diesem Thema zuwendet, weil er im Alter von 23 Jahren selbst die Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung bekommen hat. Im Interview verrät er uns unter anderem, welchen Herausforderungen er durch diese Diagnose begegnet ist, warum er es für notwendig hält, den Begriff zu entstigmatisieren und welche Therapieformen ihm bisher geholfen haben. Egal, ob Du selbst betroffen bist oder nicht. Es lohnt sich, dieses Interview zu lesen!

Was ist eine Borderline-Persönlichkeit?

Lieber Dario, magst Du kurz erklären, was klassischerweise unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung verstanden wird?

Es gibt verschiedene Klassifikationen für psychische Störungen die das Störungsbild unterschiedlich beschreiben. In dem aktuellen Klassifikationssystem der American Psychiatric Association (DSM-5) handelt es sich bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) um ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität.

International gilt das ICD-10, aber ich entscheide mich für das amerikanische Klassifikationssystem DSM-5, weil es in meiner Wahrnehmung die Kriterien der BPS präziser widerspiegelt. Laut diesem Klassifikationssystem müssen fünf der folgenden Kriterien erfüllt sein, um von einer Borderline-Persönlichkeitsstörung auszugehen:

  1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden.
  2. Ein Muster instabiler und intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
  3. Störung der Identität: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.
  4. Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen, z.  Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Essanfälle“. 
  5. Wiederholtes suizidales Verhalten, Suizidandeutungen oder -Drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.
  6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung, z.  hochgradige episodische Misslaunigkeit, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern.
  7. Chronische Gefühle von Leere.
  8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren, z.  häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen.
  9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative  Symptome.

Wie würdest Du mit eigenen Worten die klassischen Merkmale der BPS beschreiben?

Zu den klassischen Symptomen zählen starke Emotionen, die nur schwer regulierbar sind, häufige Stimmungsschwankungen, Schwarz-weiß-Denken, destruktives/selbstschädigendes Verhalten, massive Ängste vor dem Verlassenwerden mit einer gleichzeitigen Angst vor dem Verschlungenwerden (Selbstverlust), innere Leere und Dissoziation.

Betroffene leiden unter einer hohen inneren Anspannung, die gerade am Anfang des eigenen Genesungswegs häufig durch dysfunktionales Verhalten abgebaut wird. Dazu zählen zum Beispiel Drogenkonsum oder selbstverletzendes Verhalten.

Das Gefühl, anders als alle anderen zu sein und sich auch in Gruppen einsam und nicht zugehörig zu fühlen, spielt auch eine Rolle. Menschen mit einer BPS haben eine wahnsinnige Sehnsucht nach einer emotional sättigenden Bindung und seelischer Verschmelzung (Symbiose) und gleichzeitig halten sie diese Nähe und Intensität nicht lange aus (Nähe–Distanz Problematik). 

Das Alleinsein mit sich selbst erscheint Betroffenen als existenziell bedrohlich. Die Instabilität des eigenen Selbstbildes zeigt sich darin, dass sie häufig nicht wissen, wer sie eigentlich wirklich sind. Es bestehen Unsicherheiten bei Themen wie den eigenen Zielen, Werten, dem Berufswunsch oder der sexuellen Orientierung.

Wenn Du Dich in den genannten Merkmalen wiederfindest, muss es nicht bedeuten, dass Du automatisch unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidest. Auch andere Ursachen können zu derartigen Ausprägungen führen. Zudem ist es an dieser Stelle wichtig, Dir vor Augen zu führen, dass es für alles Hilfe gibt und Du nicht ein Leben lang darunter leiden musst.

Wie kann man die BPS von anderen Diagnosen z.B. Suchtkrankeiten, die ja auch selbstzerstörerisch sind, abgrenzen?

Meines Wissensstandes nach sind Suchterkrankungen immer eine Bewältigungs- und Kompensationsstrategie für eine innere seelische Not.

Eine klare Abgrenzung der Diagnosen kann in meinen Augen nicht erfolgen, weil das Suchtverhalten zu den Merkmalen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung zählen kann. Menschen mit einer BPS haben häufig eine gewisse Neigung zu Suchtverhalten, um ihre Bedürftigkeit nach emotionaler Nähe zu kompensieren. Besonders dann, wenn die gewünschte Nähe durch zwischenmenschliche Beziehungen nicht erreichbar ist.

Umgang mit der Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung

Willst Du mit den Leser/innen teilen, wann und wie es zu Deiner Diagnose gekommen und wie es Dir damit ergangen ist?

Ja, gerne. Ich befinde mich bereits seit 2011 in therapeutischer Behandlung, weil ich unter Abhängigkeit, Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen, Schwierigkeiten in der Ausbildung, Wutausbrüchen, Ängsten und depressiven Symptomen gelitten habe. Im Jahr 2015 entschied ich mich zu einem Klinikaufenthalt in der Parlandklinik in Bad Wildungen, um mich zu stabilisieren und meine anhaltenden, belastenden Symptome abklären zu lassen. Dort bekam ich relativ schnell die Diagnose der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Im ersten Moment war mir das ziemlich gleichgültig, weil ich in den Jahren davor schon alle möglichen Diagnosen bekommen hatte. 

Als ich mich in Internetforen zu diesem Störungsbild informierte, wurde ich dann aber sehr instabil. In den Berichten von Angehörigen oder Menschen, die gefährliches Halbwissen verbreiten, fand ich nur negative Beschreibungen zu dieser Diagnose. Es gab Warnungen davor, mit sogenannten „Borderlinern“ in Beziehung zu treten, weil sie anderen emotional schaden würden. Es wurde oftmals verallgemeinert mit Manipulation, emotionaler und/oder körperlicher Gewalt, Untreue, Promiskuität und Übergriffigkeit. Ich war schockiert darüber, dass Borderline fast ausschließlich mit einem radikalen negativen Bild assoziiert wurde.

Ich fing an zu glauben, dass alles in mir und meiner gesamten Persönlichkeit falsch und nicht erwünscht sei. Ich dachte unheilbar krank zu sein und dass für mich kein lebenswertes Leben mehr möglich ist. Das führte bei mir zu großer Hoffnungslosigkeit und am Ende zu einer Krise mit Selbstabwertung und Selbsthass. 

Borderline-Persönlichkeit - Ganzwerdung

Auch in Gesprächen mit Fachärzten habe ich erlebt, dass ich allein durch die Diagnose anders und negativ wahrgenommen wurde. Es gab Therapeut/innen, die mir gesagt haben, dass sie keine “Borderliner” aufnehmen wollen.
Sowohl im persönlichen Kontakt als auch in Medienberichten oder Youtube-Videos wurde ich mit Sätzen wie diesen konfrontiert: „Borderline hat man nicht, Borderline ist man.“ Oder auch „Borderline hat man ein Leben lang.“ Mir schien es so zu sein, dass von diesen Personen gar nicht mehr der Mensch hinter der Diagnose gesehen wird, der selbstverständlich auch positive Eigenschaften hat. Es hat lange gedauert, bis ich mir neues Wissen angeeignet habe, durch das ich mich neu orientieren und von solchen Stigmatisierungen abgrenzen konnte.

Hilfe für Betroffene einer Borderline-Persönlichkeitsdiagnose

Wie können Betroffene von Borderline Hilfe finden? Welche Therapiemethoden haben Dir besonders geholfen und welche Schritte würdest Du empfehlen?

Ich denke, man kann keine pauschalen Empfehlungen aussprechen. Betroffene mit Borderline haben jedoch in der Regel massive negative Beziehungserfahrungen gemacht, wodurch sie negative Schemata entwickelt haben. Wie zum Beispiel: „In Beziehungen werde ich immer verletzt und deshalb lohnen sie sich nicht“ oder „So wie ich wirklich bin, kann mich niemand lieben“. Ich selbst bin deshalb ein großer Fan der Schematherapie. Diese wurde von Jeffrey E. Young entwickelt und gehört neben der Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) und der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) zur dritten Welle der Verhaltenstherapie, also um eine weiterentwickelte Form der klassischen Verhaltenstherapie.

In der Schematherapie spielt die Beziehungsebene eine entscheidende Rolle. Die Bedürfnisse der Betroffenen, die in der Kindheit frustriert wurden, erfahren in der Therapiebeziehung mithilfe des sogenannten “limited reparenting” häufig zum ersten Mal Wahrnehmung, Anerkennung und eine positive Antwort. Dadurch sind korrigierende Beziehungserfahrungen, also die Veränderung negativer Beziehungsschemata möglich.

Borderline-Persönlichkeit - Therapie
Wenn man diese Form der Zuwendung und Akzeptanz nicht gewohnt ist, kann das am Anfang sehr herausfordernd und triggernd sein. Dranbleiben lohnt sich aber. Für mich kam hier zum ersten Mal in meinem Leben eine gute zwischenmenschliche Beziehung zustande, in der ich mich akzeptiert fühlte, so wie ich bin.

Durch die Arbeit mit den eigenen Persönlichkeitsanteilen, die in der Schematherapie Modi genannt werden, entwickelt man ein besseres Verständnis für sich selbst und schafft es, sich mit einer wohlwollenden Haltung zu begegnen. Auf lange Sicht schafft man es so sich irgendwann selbst eine gute Mutter und/oder ein guter Vater zu sein (Selbstbeelterung). Seine bedürftigen inneren Kind-Anteile auf diese Weise nachnähren zu können, ist ein wichtiger Schritt auf dem eigenen Genesungsweg. Dadurch gelingt es einem, die starke Abhängigkeit von externen Faktoren (z.B. anderen Menschen) zu verringern.

Dario`s Buchempfehlungen zur Schematherapie

Seit ein paar Jahren arbeite ich auch mit körperorientierten Ansätzen wie dem Somatic Experiencing (SE) und dem Neuroaffektiven Beziehungsmodell (NARM). Insbesondere Übungen zur Selbstregulation des Nervensystems, zur Stärkung der Selbstwahrnehmung und zur Steigerung des Körpergewahrseins helfen mir sehr. Auch das Erarbeiten und Setzen von Grenzen sowie das Schaffen innerer und äußerer Ressourcen ist erlernbar.

Der erste Schritt ist auf jeden Fall die Bereitschaft, sich selbst kennen und reflektieren zu lernen. Auch wenn einem in der Vergangenheit eventuell Schlimmes widerfahren ist, trägt man jetzt trotz allem selbst die Verantwortung für das eigene Leben. Diese Verantwortung zu übernehmen, bedeutet natürlich auch Arbeit.

Warum gehst Du seit einiger Zeit mit dem Thema in die Öffentlichkeit? Was ist Dein Herzensanliegen dabei?

Ich war in der Vergangenheit einige Zeit als Co-Moderator einer Borderline-Selbsthilfegruppe tätig und wollte mit meinen Instagram-Beiträgen Aufmerksamkeit auf unsere Gruppe lenken. Zudem geht es mir darum, zu einem differenzierteren Bewusstsein anzuregen. Ich möchte zur Entstigmatisierung des Störungsbildes BPS beitragen.

Ebenso möchte ich dazu anzuregen, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen und die Mechanismen zu verstehen, die hinter den belastenden Gefühlen und Verhaltensweisen stehen. Ich will dazu appellieren, dass die Bezeichnung “Borderliner” durch “Mensch” ersetzt wird – ein Mensch, der sich seine Geschichte nicht ausgesucht hat und mit der Lebensaufgabe konfrontiert ist, seine Gefühle und Gedanken neu zu definieren, um ein selbsterfüllendes Leben führen zu können, das jeder von uns verdient hat.

Gibt es noch etwas, den Du meinen Leser/innen und/oder Betroffenen gerne mit auf den Weg geben möchtest?

Ja, Du bist MEHR als deine Diagnose(n)! Du bist MEHR als deine Symptome! Du bist MEHR als deine Emotionen! Du bist MEHR als deine Verletzungen und Traumata! Du bist MEHR als deine Unzulänglichkeiten! Du bist MEHR als deine Geschichte! Du bist MEHR als das, was andere über dich reden und denken! Du bist MEHR als du in dir siehst! Alles Liebe Dario

Borderliner-Persönlichkeit - Du bist genug

Danke lieber Dario für dieses aufschlussreiche Interview und Deinen Mut, Dich mit Deiner persönlichen Geschichte zu zeigen.

Wie einleitend bereits erwähnt, habe auch ich den Begriff Borderline-Persönlichkeit immer ganz pauschal mit selbstzerstörerischen Verhalten gleichgesetzt.  Durch Deine Beiträge auf Instagram wurde mir klar, wie komplex dieses Themengebiet ist und dass ich selbst noch vor einigen Jahren wahrscheinlich diesem Störungsbild entsprochen hätte. Demnach sehe ich da auch eine Verbindung zum  Entwicklungs- und Bindungstrauma. In diesem Zusammenhang finde ich auch Deine Erläuterungen zur Schematherapie wertvoll, weil sie mir und vielleicht auch anderen noch eine weitere Möglichkeit für den eigenen Heilungsweg aufzeigen.

Für Deinen weiteren Weg der Heilung sowie für Deine berufliche Entwicklung wünsche ich Dir alles Liebe. Ich bin sicher, dass Du noch vielen Menschen helfen wirst.,

Bindungstrauma - Entstehung, Folgen und Überwindung

Bindungsangst – Entstehung, Folgen und Überwindung

Genau wie ich wünschen sich die meisten Menschen glückliche Beziehungen in ihrem Leben. Bleibt dieser Wunsch unerfüllt, weil sich Konflikte und Probleme ständig wiederholen und wir uns am Ende doch wieder allein vorfinden, kann eine unbewusste Bindungsangst als Folge von Bindungstrauma die Ursache sein. Wie Bindung entsteht, welche Bindungsstile es gibt und woran Du erkennst, ob Du Bindungsangst hast, erkläre ich in diesem Beitrag. Außerdem erläutere ich die vier wichtigsten Voraussetzungen zur Überwindung von Bindungsangst.

Was ist die Ursache von Bindungsangst?

Bindungsangst ist in der Regel die Folge von frühen Bindungstraumatisierungen. Anders als beim Schocktrauma ist der Auslöser beim Bindungstrauma nicht ein einmaliges Ereignis, sondern wiederholte Erfahrungen im Entwicklungsprozess eines Menschen. Zum Beispiel, wenn wir in einem Umfeld aufwachsen, das uns ablehnt, nicht ernst nimmt, nur unter bestimmten Voraussetzungen liebt oder uns mit Gewalt und Missbrauch konfrontiert.

Neuere Erkenntnisse aus Epigenetik, Medizin und Psychologie belegen sogar, dass Bindung nicht erst nach der Geburt entsteht, sondern bereits viel früher. Demzufolge kann sich ein Bindungstrauma bereits vor und während unserer Geburt entwickeln.

Wie entsteht Bindung?

Im Folgenden beschreibe ich die drei Lebensphasen, in denen Bindung entsteht und wir besonders anfällig für Bindungstraumatisierungen sind: vor der Geburt, während der Geburt und nach der Geburt. Diese frühen Lebensphasen prägen unseren späteren Bindungsstil und können die Ursache unserer Bindungsangst sein. Der Kontakt zu unserer Mutter spielt dabei eine zentrale Rolle, denn sie ist unser erster Bezugspunkt, und an sie sind wir durch die Nabelschnur gebunden.

Vor der Geburt

Vor der Geburt ist unser Überleben von unserer Mutter abhängig, denn wir sind vollkommen eins mit ihr. Entgegen früherer Annahmen fühlten wir bereits alles, was unsere Mutter fühlte. Wenn sie enormen Stress ausgesetzt war, Gewalt erfuhr oder uns ablehnte, dann haben wir das als lebensbedrohlich wahrgenommen. Ein gescheiterter Abtreibungsversuch ist deshalb auch eine der schlimmsten Traumatisierungen eines Menschen überhaupt.

Unsere Bindung wurde auch durch das beeinflusst, was unsere Mutter zu sich nahm. Konsumierte sie während der Schwangerschaft Drogen, Alkohol oder Zigaretten, vergiftete sie uns damit und wir fühlten uns in unserer Existenz bedroht. Bindung haben wir demnach von Beginn an als toxisch und unsicher erfahren.

Während der Geburt

Auch der Geburtsprozess hatte maßgeblichen Einfluss auf das Bindungsverhalten zwischen uns und unserer Mutter. Während einer Schwangerschaft und beim Einsetzen der Wehen werden verschiedene Hormone ausgeschüttet, die die Bindung zwischen Mutter und Kind sicherstellen sollen. Kommt es zu Komplikationen wie einer zu frühen Geburt, dem Einsatz starker Medikamente oder einem Kaiserschnitt, wird diese Hormonproduktion unterbrochen.

Wurde unser Eintritt in diese Welt durch den Einsatz von Saugglocke oder eine um den Hals liegende Nabelschnur als bedrohlich oder sogar schmerzhaft erlebt, kommt das einem Schocktrauma gleich. Um dieses unmittelbar zu verarbeiten, sind wir auf die physische und emotionale Zuwendung und Nähe unserer Mutter angewiesen.
Da viele Frauen die Geburt selbst als traumatisch erleben oder währenddessen an ihr eigenes, unverarbeitetes Geburtstrauma erinnert werden, besteht die Gefahr, dass sie für den Säugling nicht verfügbar sind. Wenn sie zum Selbstschutz
emotional distanziert oder gar dissoziiert reagieren, wird sich das neugeborene Kind von ihnen verlassen fühlen und keine sichere Bindung erfahren.

Nach der Geburt

Bindungstrauma vermeiden durch Mutter-Kind-Bindung

Nachdem wir das Licht der Welt erblickt haben, wollen wir nichts als geliebt und versorgt werden. Wir sind voller Unschuld und möchten uns genährt, sicher und willkommen geheißen fühlen. Um mit unserer Mutter oder einer anderen Bindungsperson in Verbindung zu treten, konnten wir zu diesem Zeitpunkt nur weinen und schreien. Auf diese Weise haben wir deutlich gemacht, dass ein oder mehrere der folgenden Bedürfnisse befriedigt werden wollen:

    • Bedürfnis nach Nahrung
    • Bedürfnis nach Wärme
    • Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz
    • Bedürfnis nach emotionaler und körperlicher Verbundenheit (Zugehörigkeit und Liebe)

Wurden diese Bedürfnisse nicht erfüllt, war das für unsere Existenz lebensbedrohlich. Unser autonomes Nervensystem war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage zur Selbstregulation. Wir waren auf unsere Mutter oder eine andere Bezugsperson angewiesen, die uns versorgte und durch Nähe, Berührungen und Blickkontakt beruhigte oder tröstete.  

Ab einem gewissen Entwicklungsstadium entwickelten wir noch ein weiteres wichtiges Bedürfnis und zwar nach Autonomie. Wir wollten unsere Umgebung erkunden und unsere zunehmenden Fähigkeiten ausprobieren. Auch wenn dieses Bedürfnis ignoriert oder durch Überbehüten übergangen wurde, hat das unsere Entwicklung und unser Bindungsverhalten negativ beeinflusst. 

„Die Zustände des menschlichen Kleinkinds im Mutterleib und in den ersten Lebensphasen sind tatsächlich genau die Vorbedingungen für ein Trauma: Das Kind ist hilflos und kann sich schnell überwältig fühlen. Sein Leben hängt von einem anderen Menschen ab und es kann absolut nichts anderes tun als weinen. Niemand kann ihm intellektuell vermitteln, dass es sicher und geschützt ist. Es fühlt alles, was es erlebt, ohne es kognitiv zu verstehen. Das Einzige, was zu Beginn seines Lebens Sinn für es macht, ist die Verbindung zu seiner Mutter, weil es sie kennt. Es kennt ihren Geruch, ihre Berührung, wie sie sich anfühlt, schmeckt und klingt“. (Vivian Broughton, 2016)

Wie Bindung unseren Bindungsstil prägt

Mit zunehmender Entwicklung konnten wir mehr als nur weinen, um die Nähe zu unserer Mutter, zu unserem Vater oder zu anderen Bindungspersonen sicherzustellen. Je nachdem, wie erfolgreich wir mit unserem Bindungsverhalten in Form von z. B.: Suchen, Nachlaufen oder Festklammern waren, haben wir ein Bindungsmuster entwickelt, dass alle weiteren Beziehungen in unserem Leben beeinflusst. Vor, während und nach der Geburt sowie im Kindesalter wird also der Grundstein für den Bindungsstil gelegt, den wir im Erwachsenenleben pflegen.

Welche Bindungsstile gibt es?

In der Bindungstheorie wird von vier Bindungsstilen ausgegangen: sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent und unsicher-desorganisiert. Die Diplom Psychologin und Bestseller Autorin Stefanie Stahl ergänzt diese Bindungsstile um zwei Weitere, die ich aufgrund ihrer Wichtigkeit in die Beschreibung mit aufnehme: gleichgültig-gebunden und Nähe-Überflutung.

Aus diesen sechs Bindungsstilen lassen sich Rückschlüsse über unser Beziehungsverhalten im Erwachsenenalter ziehen, die uns dabei helfen können, neue Beziehungsmuster zu etablieren und unsere Beziehungsangst aufzugeben.

Sicherer Bindungsstil

Ein sicherer Bindungsstil entwickelt sich, wenn die Bedürfnisse eines Kindes jederzeit gehört und gestillt werden. Wenn es seine Bezugsperson als verlässliche Basis wahrnehmen kann, von der es sich einerseits entfernen, zu der es bei Gefahr oder Bedrohung aber jederzeit zurückkehren kann, um Hilfe oder Trost zu bekommen. Das Kind hat von Anfang an Zuwendung, Wärme, Verlässlichkeit, Schutz und emotionale Stabilität erfahren. Dadurch konnte es seine Umwelt selbstständig erkunden und Lernerfolge erzielen.

Im Erwachsenenalter verfügen Menschen mit diesem Bindungsstil über ein Grundvertrauen in sich, andere Menschen und die Welt. Sie sind kontaktfreudig, kennen ihre Fähigkeiten und verfügen über Lernbereitschaft. Aufgrund ihres gesunden Selbstwertgefühls sind sie in der Lage, ihre Gefühle und Bedürfnisse adäquat auszudrücken und mit Konflikt- oder Stresssituationen konstruktiv umzugehen.

Unsichere Bindungsstile

Unsichere Bindungsstile sind das Resultat mangelnder Fürsorge oder emotionaler Präsenz durch die Bindungspersonen. Kinder machen hier die Erfahrung, dass die Bezugspersonen unzuverlässig sind und nicht auf ihre Bedürfnisse eingehen.

Unsicher-vermeidender Bindungsstil

Menschen mit einem unsicher-vermeidenden Bindungsstil haben früh gelernt, dass sie für sich allein sorgen müssen, weil kein verlässlicher Kontakt zur Bindungsperson vorhanden war. Die eigenen Gefühle und Bedürfnisse wurden als unwichtig verinnerlicht, was zu einem geringen Selbstwertgefühl und der Annahme führt, nicht wichtig zu sein.

Bindungstrauma - Kind allein

Im Erwachsenenalter haben Menschen mit dieser Prägung sichtliche Bindungsangst. Sie sind überzeugt davon, nicht liebenswert zu sein und früher oder später verlassen zu werden, wenn sie ganz sie selbst sind. Je glücklicher und näher eine Beziehung wird, desto lauter wird ihre Angst vor Verlust oder Ablehnung. Aus diesem Grund fällt es ihnen schwer zu vertrauen, sodass Eifersucht ein häufiges Thema bei diesem Bindungsstil ist.

Unsicher-ambivalente Bindungsstil

Dieser Bindungsstil ist die Folge von unberechenbaren Verhaltensweisen der Bindungspersonen. Mal reagierten die sie liebevoll und im nächsten Moment womöglich aggressiv oder emotional distanziert. Für das Kind gab es keinen verlässlichen Kontakt und keinen sicheren Halt. Auch die Nähe- und Autonomiebedürfnisse des Kindes wurden nicht ausreichend befriedigt. In bindungsrelevanten Situationen hat es zu wenig Sicherheit und Nähe erfahren und beim Versuch, sich selbst auszudrücken, wurde es zurückgehalten.

Menschen mit diesem Bindungsstil suchen sich unbewusst Partner/innen, die sie genauso schlecht behandeln wie einst ihre Bindungspersonen. Sie haben verinnerlicht, dass ihre eigenen Bedürfnisse nicht von Bedeutung sind und sie nur geliebt werden, wenn sie die Erwartungen ihres Gegenübers erfüllen. Sie sind abhängig von der Zustimmung und Anerkennung anderer, weshalb sie sich unterordnen und zu anklammernden Beziehungsverhalten neigen. Am meisten Angst macht Ihnen die Vorstellung, allein und unabhängig zu sein, deshalb haben sie Schwierigkeiten, sich aus destruktiven Beziehungen zu lösen.

Unsicher-desorganisierter Bindungsstil

Der unsicher-desorganisierte Stil ist von Widersprüchlichkeiten im Verhalten von Kindern gekennzeichnet. Sie zeigen Stimmungsschwankungen, Aggression oder gar keine Gefühlsäußerungen, was auf eine generelle Überforderung mit dem Bindungsumfeld und den eigenen Gefühlen zurückzuführen ist. Dieser Bindungsstil ist häufig eine Folge von sehr frühen traumatischen Erlebnissen wie Gewalt oder Missbrauch durch eine Bindungsperson. Diese wird dann nicht als Quelle von Sicherheit, sondern als Auslöser von Angst und Stress wahrgenommen.

Unsicher-desorganisiert geprägte Menschen sind häufig psychisch labil und leiden an starken Traumafolgen. Sie haben oft Schwierigkeiten, soziale Kontakte zu knüpfen und sich überhaupt auf Nähe einzulassen. Beziehungspartner/innen werden genau wie einst die Bezugsperson als potenzielle Gefahr wahrgenommen, sodass ein harmonisches Zusammenleben ohne therapeutische Auseinandersetzung meist gar möglich ist.

Gleichgültig-gebundener Bindungsstil

Stefanie Stahl schreibt Menschen mit diesem Bindungsstil eine Gefühlsarmut zu, die auf eine traumatisierende Kindheit zurückzuführen ist. Als Kind hatten sie gefühllose und distanzierte Eltern, sodass sie ihre eigenen Gefühle auch abgespalten haben.

Im Erwachsenenalter können sie problemlos Bindungen eingehen, fühlen aber nicht besonders viel. Sie empfinden deshalb wenig Leidensdruck und haben keine Motivation, etwas an sich oder ihren Beziehungen zu verändern. Nach außen wirken Menschen mit diesem Bindungsstil häufig stark, lebendig und humorvoll. Sie beschäftigen sich oft ununterbrochen und können im Alltag gut funktionieren. Ihrer inneren Leere und Einsamkeit sind sie sich in der Regel selbst nicht bewusst.

Nähe-Überflutung-Bindungsstil

Menschen, die diesen Bindungsstil entwickeln, wurden in ihrer Kindheit regelrecht von der Bindungsperson vereinnahmt. Sie wurden mit positiver oder negativer Aufmerksamkeit oder mit Liebe, die an Bedingungen geknüpft war, überschüttet. Die kindlichen Bedürfnisse nach Autonomie und Selbstausdruck wurde von den Bindungspersonen ignoriert und unterdrückt, sodass sie wenig Eigenständigkeit und mangelndes Vertrauen in die eignen Fähigkeiten entwickeln konnten.  

Menschen mit diesem Bindungsstil leiden oft unter Schuldgefühlen gegenüber der Bindungsperson oder späteren Stellvertretern (Beziehungspartnern). Auch sie fühlen sich verpflichtet, die Bedürfnisse anderer zu erfüllen und glauben kein Recht auf eigene Bedürfnisse zu haben. Statt zu klammern, flüchten sie jedoch eher, weil sie sich nur so abgrenzen können. Eine Liebesbeziehung assoziieren sie mit Verpflichtung und Selbstaufgabe. Sie fühlen sich schnell eingeengt und haben Angst vor erneuter Nähe-Überflutung.

Wenn Du Dich intensiver mit der Entstehung und den Auswirkungen von Bindungsstilen auseinandersetzen möchtest, empfehle ich Dir das Buch *Vom Jein zum Ja! Bindungsängste überwinden und endlich bereit sein für eine tragfähige Partnerschaft von Stefanie Stahl (2020).

„Mit ihrem Buch “Jein!” entwickelte Stefanie Stahl ein Standardwerk zum Thema Bindungsangst. In “Von Jein zum Ja!” entwickelt die Bestsellerautorin diesen Ansatz weiter. Sie beleuchtet die typischen Bindungsstile, die Beziehungen immer wieder aufs Neue scheitern lassen….”

 

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Bindungsangst als Folge eines unsicheren Bindungsstils

Bindungsangst ist das, was alle Menschen mit einem unsicheren Bindungsstil gemeinsam haben. Da sie bereits so früh im Leben ihren Ursprung hat und Bindung nie anders kennengelernt wurde, ist diese Angst jedoch meist unbewusst. Mithilfe ausgeklügelter Strategien haben wir gelernt mit dieser Angst zu leben. Es kommt deshalb vor, dass Bindungsängstliche ihre Angst vor Nähe vehement abstreiten oder leugnen. Dabei ist Bindungsangst nichts, wofür wir uns schämen müssen. Sie ist im Prinzip ein Mechanismus zum Schutz vor Ablehnung, Verlust oder Vereinnahmung, den wir in unserer Kindheit tatsächlich nötig hatten.

Wenn Du Deine bisherigen Beziehungen als unbefriedigend erfährst, kann es sich lohnen, Dich der Möglichkeit zu öffnen, dass Du und/oder Dein/e Partner/in womöglich auch unbewusste Bindungsängste habt. Doch woran lässt sich Bindungsangst erkennen? 

Bindungsangst erkennen

Bindungsangst in ausgeprägter Form führt so weit, dass sich Menschen überhaupt nicht auf Bindungen einlassen. Sie fliehen vor Nähe, bevor sie entstehen kann. Entweder indem sie sich in unerreichbare Menschen verlieben oder das Verlieben ganz vermeiden und sich, wenn überhaupt nur auf oberflächliche Affären einlassen.

Da jedoch auch bindungsängstliche Menschen ein angeborenes Bedürfnis nach Nähe haben, lassen auch sie sich auf Beziehungen und Ehen ein. Ja, richtig gelesen. Auch bindungsängstliche Menschen heiraten. Es gibt zahlreiche Strategien, um in einer Beziehung zu sein, aber wirkliche Nähe zu vermeiden. Die gängigsten Strategien sind dieselben, die wir als Trauma-Überlebensmechanismen kennen: Flucht, Kampf und Totstellen.

Flucht
Der Fluchtmechanismus äußert sich bei Bindungsängstlichen häufig durch vieles Arbeiten oder eine Aufopferung in Hobbys. Auch durch Affären oder Dreiecksbeziehungen kann echte Nähe in einer Partnerschaft vermieden werden. Dazu braucht es nicht mal zwingend eine reale dritte Person, sondern nur die Gedanken oder Fantasien an andere Menschen. Fernbeziehungen gehören ebenfalls zu den gängigen Strategien von Bindungsängstlichen, um sich vor zu viel Nähe oder den eigenen Ängsten zu schützen. Weiter kann sexuelle Lustlosigkeit, Unverbindlichkeit oder eine unpersönliche und sachliche Kommunikation auch auf Bindungsängste hindeuten.

Kampf
Verlust- oder Nähe Ängste treten oft besonders dann auf, wenn eine Beziehung sehr eng wird. Dies löst Stress in Menschen mit Bindungstrauma aus, der sich in Wut und Aggression äußern kann. Vielleicht hast Du selbst schon harmonische oder romantische Situationen erlebt, in denen Du Deinem Partner/Deiner Partnerin sehr nahe warst und wie aus dem Nichts hat ein Streit die ganze Idylle zerstört.

Die tief sitzende Wut ist eine unbewusste Abwehrstrategie Bindungsängstlicher gegen etwaige Besitz- oder Näheansprüche. Häufig ist das die Notlösung für die mangelnde Fähigkeit, Grenzen zu setzen. Weil sie insgeheim glauben, kein Recht auf eigene Bedürfnisse zu haben, bleiben nur Kampf und Angriff, um die eigenen Grenzen zu schützen.

Bindungsangst - Angriff oder Kampf

Totstellen
Der Totstellreflex ist eine weitere Strategie, sich vor Nähe-Überflutung oder Verlustangst zu schützen. Dieser Überlebensmechanismus kann dazu führen, dass sich die Gefühle des Bindungsängstlichen aus heiterem Himmel verabschieden und er oder sie nicht mehr richtig anwesend erscheint.  

Anders als bei sicher gebundenen Menschen haben Menschen mit Bindungstrauma keinen kontinuierlichen Zugang zu ihren Liebesgefühlen. Es ist, als müssten sie sich ab und zu Verschnaufpausen verschaffen. Diese Pausen können eine Beziehung natürlich sehr belasten, denn für den Partner/die Partnerin ist schwer verständlich, warum der oder die andere plötzlich nicht mehr anwesend ist. 

Ein Hauptmerkmal an dem Du eine Beziehung mit mindestens einem Bindungsängstlichen erkennst, ist ein Wechselbad der Gefühle. Solch eine Beziehung beginnt oft sehr romantisch oder leidenschaftlich, denn zu Beginn fühlen sich Bindungsängstliche noch frei und es gibt keinen Grund für Flucht, Kampf oder Totstellen. Stattdessen kompensieren sie ihr Selbstwertdefizit mit der Eroberung und den Komplimenten in der Verliebtheitsphase. Sobald die Beziehung jedoch fester wird, kommen die zuvor beschriebenen Mechanismen zum Tragen. Dadurch entsteht eine typische Dynamik, in der die eine Seite ausweicht und die andere Seite klammert. Gopal Norbert Klein beschreibt diese beiden Ausprägungen in seinem Buch *„Der Vagus Schlüssel zur Traumaheilung“ als Autonomie- versus Verschmelzungstypen.

Und tatsächlich läuft es meist so ab, dass je mehr sich der Bindungsängstliche zurückzieht, desto mehr klammert der oder die andere. Weil sich aber auch der Bindungsängstliche insgeheim nach einer glücklichen Beziehung sehnt, fühlt er sich phasenweise doch wieder verliebt, woraufhin sich der oder die andere Hoffnung macht. Dieses Hin- und Her zwischen Gehen oder Bleiben kann sich über Jahre hinziehen und großen Leidensdruck verursachen.

Überwindung von Bindungsangst

Durch meine intensive Beschäftigung mit dem Thema Entwicklungstrauma sowie durch intensive Gespräche mit glücklichen Paaren habe ich vier Grundvoraussetzungen für die Überwindung von Bindungsangst zusammengefasst. 

1. Die Bereitschaft, Dich mit Deiner Bindungsangst auseinanderzusetzen

Um Ängste in Deinem Leben aufzulösen, musst Du Dir zunächst bewusst darüber sein, dass Du sie hast. Erst wenn Du Dir selbst eingestehst, dass Du Bindungsangst hast, kannst Du Veränderungen einleiten. Du musst also akzeptieren, dass Du als Folge Entwicklungstrauma in Deiner Kindheit, im Hier und Jetzt unter Bindungsängsten leidest. Das setzt auch die Bereitschaft voraus, Dich den schmerzlichen Gefühlen Deiner Kindheit zu öffnen und irgendwann Deine Schutzmechanismen (Flucht, Kampf, Totstellen) aufzugeben. Die Arbeit mit dem Inneren Kind und tief verinnerlichten Glaubenssätzen kann dabei ein erster Schritt sein.

2. Ein klares Ja für Deine Beziehung 

Wenn Du Dich in einer Beziehung befindest und Deinen unsicheren Bindungsstil aufgeben willst, braucht es ein klares Ja zu der betreffenden Beziehung, sofern es keine destruktive Beziehung ist, mit der Du Dein Bindungstrauma reinszenierst. Das bedeutet, dass Du Dich wirklich auf den anderen Menschen einlässt und entgegen Deiner bisherigen Strategien dableibst, auch wenn es schwierig oder unangenehm wird. Andersherum muss Dein Partner oder Deine Partnerin dasselbe wollen. Du wirst Dir die Zähne ausbeißen, wenn Du versuchst, einen Bindungsängstlichen zu heilen, der nicht bereit ist hinzusehen.

Solltest Du aktuell in keiner Beziehung sein, nutze die Zeit, um Dich mit Deinen bisherigen Beziehungsmustern auseinanderzusetzen. Durch Bücher oder professionelle Hilfe kannst Du herausfinden, ob Du selbst unter Bindungsangst leidest und/oder warum Du immer wieder an bindungsängstliche Partner/innen gerätst. Werde Dir klar darüber, wie Deine Traumbeziehung aussehen soll, damit Du Dich beim nächsten Mal von Anfang an nur auf jemanden einlässt, der präsent ist und sich wirklich auf eine Bindung einlassen will.

Wenn ihr in eurer Partnerschaft ein klares Ja für euch habt, dann kann die Heilreise losgehen. Bitte vergesst aber nicht, dass eine erfüllte Partnerschaft auch mit Arbeit verbunden ist. Am besten betrachtet ihr eure Beziehung als Sprungbrett für eure Heilung. Die Geschenke von Nähe, Vertrauen und Wertschätzung innerhalb eurer Beziehung werden jeden Aufwand Wert sein!

Bindungsangst überwinden

3. Offene und ehrliche Kommunikation

Eine offene und ehrliche Kommunikation ist das Fundament einer jeden guten Beziehung. Tatsächlich scheitern die meisten Beziehungen genau daran. Weil wir früh gelernt haben, dass unsere Bedürfnisse nicht erfüllt werden, glauben wir, dass wir sie nicht haben dürfen. Wir haben uns verleugnet und angepasst, um geliebt zu werden. Diese Muster musst Du jetzt durchbrechen! Du darfst jetzt lernen, dass Du gut bist, genauso wie Du bist und das Du Dich für nichts zu schämen brauchst. Du hast ein Recht auf Deine Gefühle und Bedürfnisse und darauf, diese angemessen auszudrücken. Ansätze wie die gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg oder das ehrliche Mitteilen nach Gopal können hier eine wertvolle Stütze sein.

Nur wenn Du in der Lage bist mitzuteilen, was Du fühlst und was Du brauchst, kann Dein Gegenüber darauf reagieren. Schluck es nicht runter, wenn Dich etwas belastet, sondern bitte um ein Gespräch. Durch authentische, offene und ehrliche Kommunikation können innerhalb der Beziehung gemeinsam Lösungen gefunden werden. Im Alltag stellt das Miteinanderreden oft eine Herausforderung dar. Deshalb empfehle ich einen festen wöchentlichen Termin, bei dem ihr euch mitteilt, was euch auf dem Herzen liegt.

Offene Kommunikation für gute Bindung

4. Persönliche und gemeinsame Weiterentwicklung

Wir sind auf dieser Welt, um zu wachsen und uns weiterzuentwickeln. Wenn das mit der Erreichung eines bestimmten Alters aufhört, entspricht das in meinen Augen nicht unserer Natur. Auch Beziehungen gedeihen und festigen sich durch Weiterentwicklung, sowohl durch die Persönliche als auch durch die Gemeinsame.

Als Paar könnt ihr zum Beispiel Seminare besuchen, die eure Achtsamkeit schulen, eure Verbindung stärken oder euch bei bestimmten Themen (Kommunikation, Sexualität etc.) weiterhelfen. Um destruktive Muster aufzulösen, könnt ihr auch Coachings in Anspruch nehmen oder eine Paartherapie aufsuchen. Hilfe anzunehmen, ist meiner Meinung nach einer der größten Erfolgsfaktoren für eine glückliche Partnerschaft, vor allem, wenn Traumata und Bindungsängste das Leben geprägt haben.

Unabhängig von eurer Beziehung hat natürlich jeder von euch eigene Themen oder Interessen, denen ihr Aufmerksamkeit schenken dürft. Unterstützt euch in euren individuellen Prozessen und Erfahrungen, denn diese kommen eurem langfristigen Liebesglück nur zugute. Außerdem habt ihr euch so auch immer wieder etwas zu erzählen.

Zu guter Letzt darf natürlich auch die Leichtigkeit in eurer Partnerschaft nicht fehlen! Gemeinsame Reisen und Freizeitaktivitäten machen nicht nur Spaß, sie stärken auch eure Verbindung und fördern eure Weiterentwicklung.

Na, wie geht es Dir nach dem Lesen dieses Beitrags? Hast Du Dich oder Deinen Partner/Deine Partnerin vielleicht darin wiedergefunden? 

Für mich war es ein großer Mehrwert zu erkennen, dass ich durch Vor- und nachgeburtliche Traumatisierungen unter Bindungsangst leide und mich unbewusst auch immer wieder auf bindungsängstliche Partner eingelassen habe. Nur durch diese Erkenntnisse kann ich daran arbeiten, um meine Beziehungsqualität in Zukunft zu verbessern.

Ich freue mich, falls ich Dein Interesse für dieses Thema wecken konnte. Du bist herzlich eingeladen, einen Kommentar mit Deinen Eindrücken zu hinterlassen und den Beitrag mit anderen Menschen zu teilen. 

Danke und schön, dass Du da bist!

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Quellenverweise: 

Broughton, Vivian (2016): Zurück in mein Ich: Das kleine Handbuch zur Traumaheilung mit einem Nachwort von Franz Ruppert, 4. Edition, München

Klein, Gopal Norbert (2022): Der Vagus Schlüssel zur Traumaheilung: Wie “Ehrliches Mitteilen” unser Nervensystem reguliert, 4. Edition, München

Ruppert, Franz (2017): Symbiose und Autonomie: Symbiosetrauma und Liebe jenseits von Verstrickungen, 5. Auflage, Stuttgart

Schmitt, Tobias: Kindes- und Jugendalter: Soziale Entwicklung, abgerufen am 03.11.2022 von: http://entwicklung-psychologie.de/bindungsqualitaet.html

Stahl, Stefanie (2020): Vom Jein zum Ja: Bindungsängste überwinden und endlich bereit sein für eine tragfähige Partnerschaft, 1. Auflage, München

Stegmaier, Susanne: Grundlagen der Bindungstheorie, abgerufen am 01.11.2022 unter: https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/psychologie/1722/

Unbekannt: Bindungstheorie – Definition, Ansätze & Kritik, abgerufen am 03.11.2022 unter: http://www.bindungstheorie.net/#ainsworth