Traumaheilung

Ernährungsverhalten und Bindung

Wie frühe (Bindungs-) Prägungen Dein Ernährungsverhalten steuern

Ein beeinträchtigtes Ernährungsverhalten ist weit verbreitet und betrifft Menschen aller Altersgruppen und sozialer Hintergründe, wobei Frauen besonders häufig betroffen sind. Was viele nicht wissen, ist, dass die Ursachen für unser Ernährungsverhalten und unsere Körperwahrnehmung oft tief in den frühen Prägungen unserer Kindheit verwurzelt sind. In diesem Beitrag zeige ich auf welche Einflussfaktoren unser Ernährungsverhalten bestimmen und wie diese zur Entstehung von destruktiven Ernährungsmustern oder Essstörungen sowie zu einer negativen Körperwahrnehmung beitragen. Am Ende wird deutlich, dass die Aufarbeitung von Kindheitstraumata unerlässlich ist, um Frieden mit uns selbst und unserer Ernährung zu finden. Bis Du professionelle Hilfe gefunden hast, bekommst Du von mir sechs Tipps zur Selbsthilfe.

Ist Dein Ernährungsverhalten problematisch?

Bist Du unsicher, ob dieser Beitrag für Dich relevant ist? Dann schau doch mal, ob Du Dich in den folgenden Punkten wiedererkennst:

  • Du wirst unruhig, gereizt und kannst nicht mehr klar denken, wenn Du hungrig bist?
  • Du belohnst Dich mit leckerem Essen, wenn Du einen harten Tag oder herausfordernde Aufgaben hinter Dir hast?
  • Du greifst zum Essen, wenn Du gestresst, wütend, gelangweilt oder traurig bist?
  • Du leidest unter Heißhungerattacken, die oft in einem unkontrollierbaren Fressanfall ausarten?
  • Du greifst häufig zu ungesunden Lebensmitteln wie Süßigkeiten und Fettigem und hast danach ein schlechtes Gewissen?
  • Du neigst zum Überessen und erkennst zu spät, dass Du gar keinen Hunger mehr hast?
  • Du hältst Dich an strenge Ernährungsregeln, die Dich manchmal im Alltag einschränken?
  • Du fastest regelmäßig, weil Du Dich dann stark und kontrolliert fühlst?
  • Du kämpfst unablässig um ein selbst auferlegtes Idealgewicht, zählst ständig Kalorien und machst eine Diät nach der anderen? 
  • Du treibst exzessiv Sport und fühlst Dich schlecht, wenn Du dem mal nicht nachgehen kannst?

Wenn Du Dich in diesen Beschreibungen wiederfindest, fragst Du Dich nun, ob Dein Ernährungsverhalten und Dein Umgang mit Hunger oder Emotionen normal oder bedenklich ist. Um das herauszufinden, sollten wir uns zuerst eine grundlegende Frage stellen: Worum geht es beim Essen eigentlich?

Die eigentliche Bedeutung von Nahrungsaufnahme

Nahrungsaufnahme dient dem Menschen im eigentlichen Sinne zur Versorgung des Körpers mit den notwendigen Nährstoffen, die für das Überleben und die Gesundheit essenziell sind. Nahrung liefert Energie, die unser Körper benötigt, um grundlegende Funktionen wie Atmung, Kreislauf, Wachstum und Zellreparatur aufrechtzuerhalten. Makronährstoffe wie Kohlenhydrate, Fette und Proteine liefern die Energie, während Mikronährstoffe wie Vitamine und Mineralstoffe zahlreiche biochemische Prozesse unterstützen.

Darüber hinaus spielt das Essen in unserer Gesellschaft auch eine wichtige Rolle in der sozialen und kulturellen Interaktion. Gemeinsame Mahlzeiten fördern ein Gemeinschaftsgefühl, Austausch und soziale Bindungen. Ist Nahrungsaufnahme also doch viel mehr als eine physiologische Notwendigkeit? Das folgende Kapitel lässt uns dieser Frage genauer auf den Grund gehen.

Wie und wann wird unser Ernährungsverhalten geprägt?

Unser Ernährungsverhalten ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren. Besonders entscheidend sind dabei die frühkindlichen Erfahrungen, die wir im Umgang mit Nahrung machen. Diese prägen nicht nur unsere heutigen Ernährungsgewohnheiten, sondern auch, wie wir unseren Körper wahrnehmen und bewerten.

Frühe Ernährung

Vorgeburtliche und frühe Prägungen durch Trauma

Frühkindliche Bindungstraumatisierungen können zu destruktiven Ernährungsgewohnheiten, Essstörungen und einer negativen Körperwahrnehmung führen. Doch in welchen Entwicklungsphasen sind wir besonders anfällig für solche Prägungen?

Transgenerationales Trauma
Unser Ernährungsverhalten kann tatsächlich bereits vor unserer Geburt durch Traumatisierungen früherer Generationen beeinflusst werden – etwa wenn unsere Vorfahren in Kriegszeiten Hunger litten. Wenn solche existenziellen Traumata in der Familie nicht aufgearbeitet wurden, können deren Auswirkungen noch heute in Form von Essstörungen und einem verzerrten Körperbild in uns weiterwirken.

Vorgeburtliches Bindungstrauma
Während wir im Mutterleib heranwuchsen, wurden wir über unsere Mutter mit Nahrung versorgt. Ihre Verfassung spielte dabei eine entscheidende Rolle für unser Wohlbefinden. Da wir eins mit ihr waren, wurden wir nicht nur von ihrer physischen Gesundheit beeinflusst, sondern auch von ihren emotionalen Zuständen und ihrer Einstellung zum Essen. Nahm sie gesunde Nahrungsmittel zu sich oder eher ungesunde, begleitet von Schuldgefühlen? Hat sie das Essen genossen, oder hatte sie Angst, zu dick zu werden? Stresshormone wie Cortisol können über die Plazenta auf das ungeborene Kind übertragen werden, was dessen Entwicklung beeinflussen und zu einer erhöhten Anfälligkeit für Stress und Angstzustände führen kann. Es wird also deutlich, dass diese frühen Einflüsse das spätere Ernährungsverhalten und Körperbild prägen können.

Bindungstrauma nach der Geburt
Nach der Geburt erfolgt die Nahrungsaufnahme meist über das Stillen, das jedoch weit mehr als nur Ernährung ist. Der Stillvorgang fördert auch die Bindung zwischen Mutter und Kind, da Hautkontakt, liebevoller Blickkontakt und emotionale Nähe essenziell für das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit sind. Fehlt diese emotionale Nahrung, kann dies ein Ungleichgewicht im Ernährungsverhalten und der Körperwahrnehmung auslösen. Kinder, die emotional vernachlässigt wurden, suchen oft Ersatz in Nahrung, um das Gefühl der Leere zu füllen.

Wenn das Stillen ausblieb, fehlte die Erfahrung der natürlichsten Form von genährt werden, was sich ebenfalls auf das spätere Leben auswirken kann. Auch die Art und Weise, wie das Stillen erfolgte, spielt eine Rolle: War es ein Moment der Freude und Verbindung, oder war es von Stress und Widerstand geprägt? Wurden wir unmittelbar gestillt, wenn wir Hunger hatten, oder mussten wir uns hungrig in den Schlaf weinen?  

Deshalb werden wir emotional, wenn wir Hunger haben!

Hast Du Dich schon mal gefragt, warum viele von uns innere Unruhe, Reizbarkeit oder sogar Angst verspüren, wenn sie hungrig sind? Der Grund dafür liegt in der tiefen Verbindung zwischen Hunger und den emotionalen Zuständen, die in unseren frühen Lebensphasen geprägt wurden.

Als Säuglinge und Kleinkinder waren wir vollständig auf unsere Bezugspersonen angewiesen, um unsere Grundbedürfnisse, einschließlich Nahrung, erfüllt zu bekommen. Wenn wir hungrig waren und unsere Bezugsperson nicht zuverlässig auf dieses Bedürfnis reagiert hat, entstand in uns eine Todesangst. Wir fühlten uns ohnmächtig, hilflos und verlassen. Kognitiv konnten wir nicht begreifen,  dass wir früher oder später wieder Nahrung erhalten werden. Durch solche frühen Erfahrungen wurde unsere emotionale Reaktion auf Hunger nachhaltig geprägt, sodass wir auch im Erwachsenenalter mit innerer Unruhe reagieren, wenn wir hungrig sind. Der physische Zustand des Hungers wird zum Trigger, der die tief verwurzelte Gefühle von Ohnmacht und Angst reaktiviert.
Die Ernährungsberaterin Madeleine Dähling bringt es in ihrem Blog-Beitrag treffend auf den Punkt:

„Wenn der Fokus auf die Ernährung immer größer wird, dann liegt das daran, dass das Essen zur Projektionsfläche für ein anderes Thema wird.“ (Dähling, Madeleine 2024).

Das unsere Ernährungsgewohnheiten bereits in der Kindheit geprägt werden, belegt auch eine Studie der Ernährungswissenschaftlerinnen Aida Faber und Laurette Dubé von der McGill University in Montreal (Kanada). Sie untersuchten, wie die Bindung zwischen Eltern und Kindern das spätere Essverhalten beeinflusst. Dazu befragten sie 213 Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren zu ihrer Beziehung zu den Eltern und ihrer Ernährung. Die Ergebnisse zeigten: Kinder mit einem unsicheren Bindungsstil griffen häufiger zu hochkalorischen Lebensmitteln und hatten weniger Kontrolle über ihr Ernährungsverhalten im Vergleich zu Kindern mit einem sicheren Bindungsstil. Der unsichere Bindungsstil schien Stress auszulösen, der durch emotionales Essen – insbesondere durch den Konsum von fettigen, süßen oder salzigen Speisen – kompensiert wurde. Zudem befragten die Forscherinnen 216 Erwachsene, die rückblickend ihren Bindungsstil in der Kindheit und ihr aktuelles Ernährungsverhalten beschrieben. Auch hier zeigte sich, dass die Kindheit nachwirkte: Erwachsene mit einer unsicheren Bindung an die Eltern konsumierten mehr Kalorien als diejenigen, die als Kinder eine sichere Bindung entwickelt hatten.

Einfluss des familiären und sozialen Umfelds

Auch im weiteren Verlauf unserer Kindheit werden wir durch unsere Familie, andere nahestehende Bezugspersonen und Institutionen wie Kitas, Schulen oder Vereine etc. im Zusammenhang mit Ernährung und Körperwahrnehmung geprägt. Die folgenden Beispiele und Fragen kannst Du nutzen, um Dir über Deine Prägungen klar zu werden.

Die Rolle der Eltern als Vorbild
Unsere Eltern oder andere nahe Bezugspersonen sind oft die ersten und prägendsten Vorbilder in Sachen Ernährung und Körperwahrnehmung. Wie haben wir sie im Umgang mit Ernährung erlebt? Fühlten sie sich wohl in ihrem Körper? Aßen sie gerne, oder waren Diäten und Selbstkritik an der Tagesordnung? Verglichen sie sich mit anderen, oder sprachen sie negativ über ihre eigene Figur oder die anderer? Wenn unsere Eltern ein negatives Verhältnis zum Essen und ihrem Körper hatten, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir diese Muster übernommen haben.

Weitere Erfahrungen in der Kindheit
Auch andere Erfahrungen mit Ernährung innerhalb und außerhalb der Familie spielen eine große Rolle. Was haben wir über Ernährung im Kindergarten oder der Schule gelernt? Wurden Nahrungsmittel als Belohnung oder Bestrafung eingesetzt? Wurden wir ermahnt, mehr oder weniger zu essen? Wurden wir für unsere Figur gelobt oder kritisiert? Solche Erlebnisse führen dazu, dass das Essen nicht nur als Nahrungsmittel gesehen wird, sondern als Instrument zur Kontrolle und Bewertung. Wenn Du Dich auch heute noch mit Nahrungsmitteln belohnst, zum Beispiel nach einem anstrengenden Tag, hast Du solche Erfahrungen vermutlich verinnerlicht. 

Medien und Werbung als Einflussfaktor
Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss von Film, Fernsehen und Werbung auf unsere Körperwahrnehmung und unser Ernährungsverhalten. Von klein auf wird uns in Filmen, Serien und Werbespots vermittelt, welche Körper als schön gelten und welche nicht. Mithilfe von Werbespots wird versucht, bestimmte Lebensmittel mit Gefühlen oder Lebenssituationen zu verknüpfen, um uns so zu konditionieren und unser Kaufverhalten zu beeinflussen. Wer kennt sie nicht, die Bilder von Menschen, die bei Liebeskummer Eiscreme oder Schokoladenkuchen essen, oder die Szenen, in denen im freudigen Kontext Alkohol getrunken wird? Doch welche menschlichen Vorgänge macht sich die Werbung hier zunutze? 

Wann wird unser Ernährungsverhalten zum Problem?

Wir wissen nun bereits, dass das Essen eng mit sozialer Bindung verknüpft ist, die für uns Menschen genauso lebenswichtig ist wie Nährstoffe selbst. Problematisch wird unser Ernährungsverhalten dann, wenn es als Ersatz für menschliche Nähe dient oder zur Hauptstrategie wird, um emotionale Belastungen zu bewältigen. Auch wenn Essen oder der Verzicht darauf die einzige Methode ist, um sich in herausfordernden Momenten zu regulieren und besser zu fühlen, spricht das für tieferliegende Probleme.

Ein ungesundes Verhältnis zum Essen zeigt sich ebenfalls, wenn die Nahrungsaufnahme den Alltag dominiert: sei es durch übermäßiges Essen, extremes Fasten oder den ständigen Konsum ungesunder Lebensmittel. Es verhält sich ähnlich wie bei einer Sucht: Man tut etwas, obwohl man weiß, dass es einem schadet – und dennoch kann man nicht damit aufhören.

Wenn gesundheitliche Beschwerden wie Über- oder Untergewicht, Magen-Darm-Probleme, Diabetes oder Entzündungen auftreten, kann das ebenfalls auf ein problematisches Ernährungsverhalten zurückgeführt werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass unser Ernährungsverhalten problematisch wird, wenn es zu einem spürbaren Leidensdruck führt oder gesundheitliche Schäden verursacht.

Allgemeines Verständnis von Essstörungen

Essstörungen gelten im allgemeinen Verständnis als ernsthafte psychische Erkrankungen, die in verschiedenen Formen auftreten, wie Magersucht (Anorexia nervosa), Bulimie (Bulimia nervosa) oder Binge-Eating-Störung. Auch emotionales Essen, bei dem Menschen auf Emotionen wie Stress, Angst oder Einsamkeit mit Essen reagieren, kann als Essstörung betrachtet werden. Dabei greifen Betroffene oft zu kalorienreichen, zuckerhaltigen oder fettigen Lebensmitteln, dem sogenannten “Comfort Food”, selbst wenn kein physischer Hunger besteht. Diese Form des Essens bietet jedoch nur kurzfristige Erleichterung und wird häufig von Schuldgefühlen oder Scham abgelöst.

Essstörungen

Was alle Essstörungen gemeinsam haben, ist ein ungesundes Ernährungsverhalten und ein verzerrtes Körperbild, das Betroffene in einem Kreislauf von negativen Gefühlen und Essgewohnheiten gefangen hält. Doch sind Essstörungen wirklich Erkrankungen? Oder können sie vielmehr als Überlebensmechanismen verstanden werden, die sich aus frühkindlichen Traumata entwickeln?

Essstörungen als Überlebensstrategien

Ich persönlich betrachte Essstörungen und schlechte Ernährungsgewohnheiten als Symptome von frühen Entwicklungs- und Bindungstraumatisierungen. Diese Verhaltensweisen sind Versuche, sich an ein destruktives Umfeld anzupassen und Kontrolle über eine ansonsten ohnmächtige Lebenssituation zu erlangen. Betroffene versuchen durch strenge Disziplin und spezifische Ernährungsgewohnheiten, die Kontrolle zurückzugewinnen, die ihnen im traumatischen Umfeld entzogen wurde.

Das Erreichen eines gewünschten Körpergewichts durch strenge Ernährungspläne, Diäten, Fastenkuren oder exzessiven Sport erscheinen als Wege, um etwas zu bewirken, das vermeintlich Glück und Erfüllung bringt.

Doch in Wahrheit sind diese Bemühungen oft Illusionen, die von der eigentlichen inneren Not ablenken. Essstörungen können somit als Vermeidungsstrategie dienen, um die schmerzhaften Gefühle zu verdrängen, die mit den Traumatisierungen verbunden sind.

Essstörungen als Schutzmechanismus bei Missbrauch

Besonders im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch kann das Hungern oder Überessen als Schutzmechanismus betrachtet werden. Ein Mädchen, das sexuelle Übergriffe erleidet, könnte versuchen, sich durch drastisches Abnehmen ihres weiblichen Körpers zu entledigen. Ein Junge, der Missbrauch erfährt, könnte übermäßig essen, um durch Gewichtszunahme unattraktiv für seine Täter zu werden und diese von sich fernzuhalten.

Tragischerweise verstärken Betroffene ihre Not durch die Essstörung noch weiter. Diese ist bereits ein Überlebensmechanismus, der viel Energie und Kraft kostet. Werden dem Körper dann zusätzlich gesunde Nährstoffe entzogen oder wird er durch exzessives Verhalten belastet, kann dies langfristig zu Erschöpfung, Depressionen und anderen gesundheitlichen Problemen führen.

Um ein ungesundes Ernährungsverhalten zu verändern, darf das Thema Essen nicht isoliert betrachtet werden. Deshalb führt es langfristig nicht zum Erfolg, wenn Gelüste zwanghaft unterdrückt werden oder immer wieder gegen Essanfälle angekämpft wird. Auf einer tiefen Ebene scheinen diese Dinge noch lebensnotwendig für das Nervensystem. Erst wenn die Bereitschaft da ist, die Ursache dieser Überlebenskämpfe zu ergründen, können sie wirklich losgelassen werden.

Ernährungsverhalten ändern - Ganzwerdung

Warum sich Essen so gut als Überlebensstrategie eignet

Ein weiterer Grund, warum wir oft zum Essen greifen, um emotionale Herausforderungen und Stress zu bewältigen, liegt in den körperlichen und psychologischen Reaktionen, die bestimmte Lebensmittel in uns auslösen. Ich halte es für sinnvoll, diese Mechanismen kurz zu betrachten:

Körperliche Reaktionen:
Der Verzehr von Nahrungsmitteln setzt Neurotransmitter und Hormone frei, die unser Wohlbefinden beeinflussen. Genussvolles Essen aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn, was zur Freisetzung von Dopamin führt und uns Zufriedenheit und Wohlbefinden spüren lässt. Besonders kohlenhydratreiche Lebensmittel fördern die Produktion von Serotonin, das stimmungsaufhellend wirkt. Zuckerhaltige Lebensmittel lassen den Blutzuckerspiegel rasch ansteigen, was kurzfristig Energie und ein gutes Gefühl gibt, jedoch oft von einem schnellen Abfall des Blutzuckerspiegels gefolgt wird.

Psychologische Reaktionen:
Bestimmte Lebensmittel sind oft mit positiven Erinnerungen verknüpft, sei es durch besondere Lebensmomente oder durch den Einfluss von Werbung, die emotionale Assoziationen schafft. Der Verzehr solcher Lebensmittel kann dann ein Gefühl von emotionaler Sicherheit und Nostalgie hervorrufen. Bei Stress neigt unser Körper dazu, uns dazu zu veranlassen, nach Energiequellen zu suchen, um den Stress zu bewältigen – daher rührt der häufige Heißhunger auf kalorienreiche Lebensmittel in stressigen Zeiten.

Das Verständnis dieser Zusammenhänge kann Dir helfen, bewusster mit Deinem Ernährungsverhalten umzugehen und die emotionalen Auslöser besser zu erkennen. So kannst Du gesündere Essgewohnheiten entwickeln und erste Schritte zur Vorbeugung oder Heilung von destruktiven Ernährungsgewohnheiten oder Essstörungen einleiten.

Traumabewältigung als Schritt zu einem gesunden Ernährungsverhalten

Du hast nun einen Überblick darüber erhalten, auf wie vielfältige Weise Dein Ernährungsverhalten beeinflusst wird, welche tiefsitzenden Ursachen dahinterstehen können und welche Folgen dies nach sich ziehen kann. Wenn Du selbst betroffen bist, fragst Du Dich jetzt wahrscheinlich, wie Du zu einem gesunden Umgang mit dem Essen zurückfinden kannst. Diese nachstehenden sechs Schritte können ein guter Anfang sein.

Selbsthilfe für ein gesundes Ernährungsverhalten

1. Akzeptiere, dass Dein Ernährungsverhalten beeinträchtigt ist
Der erste Schritt zur Veränderung ist das Eingeständnis, dass Dein aktuelles Ernährungsverhalten problematisch ist. Diese Erkenntnis erfordert Mut, ist aber entscheidend, um den Weg zur Heilung zu beginnen.

2. Ergründe die Ursachen Deines Ernährungsverhaltens
Verstehe, dass das Essen und Dein Körper nie das eigentliche Problem waren. Die Ursachen für Dein Ernährungsverhalten liegen in alten, tiefsitzenden Traumawunden. Solange Du nur die Symptome behandelst, bleibt die zugrundeliegende Ursache bestehen. Frage Dich, welche Gefühle Du mithilfe des Essens vermeidest und welche emotionalen Bedürfnisse Du Dir damit zu erfüllen versuchst und ergründe so die Ursachen für Deine Ernährungsprobleme.

3. Erweitere Dein Bewusstsein und Wissen
Verständnis ist der Schlüssel zur Veränderung. Beschäftige Dich mit den psychologischen und physiologischen Mechanismen hinter Deinem Ernährungsverhalten. Je mehr Du über die Zusammenhänge zwischen Trauma, Ernährung und Körperwahrnehmung weißt, desto besser kannst Du Dein Verhalten verstehen und ändern.

4. Reguliere Dein Nervensystem auf konstruktive Weise
Unverarbeitete Traumatisierungen halten Dein Nervensystem ständig auf Hochtouren. Dieser Zustand ist anstrengend und verlangt nach Regulierung. Oft greifen wir dabei zu Essen, weil es kurzfristig beruhigend wirkt. Es ist wichtig, dass Du jetzt alternative Wege findest, um Dein Nervensystem zu beruhigen, zum Beispiel durch Atemtechniken, Meditation oder Bewegung. Auch ein entspannendes Bad, ein Spaziergang in der Natur oder das Lesen eines guten Buches können Dir helfen, Dich selbst zu nähren, ohne auf Essen zurückzugreifen.

In meinem Beitrag über den Vagusnerv gebe ich Dir acht einfache Übungen an die Hand, um Dein Nervensystem zu regulieren. Außerdem findest Du darin Buchempfehlungen, um Dein Wissen zu diesem Thema zu vertiefen.

Vagusnerv stimulieren

Der Vagusnerv und die Bedeutung der Polyvagal-Theorie für die Traumaheilung

5. Lerne, Dich selbst zu lieben und gut für Dich zu sorgen
Oft versuchen wir, durch Anpassung an andere Menschen die Liebe und Anerkennung zu bekommen, die wir früher nicht erhalten haben. Doch das führt nur zu einem Teufelskreis aus Frustration und emotionalem Essen. Es ist wichtig, dass Du lernst, Dir selbst die Fürsorge zu geben, die Du brauchst. Werde die Person, die Du Dir als Kind oder in Beziehungen gewünscht hast, und fülle Deine innere Leere nicht länger mit Essen. Akzeptiere auch Deinen Körper so, wie er ist, und konzentriere Dich auf seine Fähigkeiten und Stärken, anstatt nur auf das äußere Erscheinungsbild.

6. Verändere bewusst Deine Ernährungsgewohnheiten
Beobachte genau, wann und warum Du zu bestimmten Lebensmitteln greifst. Welche Gefühle oder Situationen lösen Dein Verlangen aus? Wurdest Du durch Werbung oder emotionale Trigger dazu animiert, zu essen? Gibt es eine gesündere Weise, Dein Bedürfnis zu stillen? Lerne, Dein Essverhalten zu hinterfragen und auf die Signale Deines Körpers zu hören, statt aus Gewohnheit oder emotionalen Impuslen heraus zu essen. Wenn Du zum Beispiel aus Langeweile isst, ersetze das Essen durch eine andere Aktivität, die Dir Freude bereitet und guttut.

Therapeutische Unterstützung für ein gesundes Ernährungsverhalten

Da Dich Deine Überlebensmechanismen je nach Zeitpunkt und Schwere der Traumatisierungen womöglich schon Dein ganzes Leben begleiten, empfehle ich, Deine frühen Prägungen und lebenslangen Konditionierungen mithilfe einer Therapie aufzuarbeiten. Unter fachmännischer Betreuung kannst Du ein neues Ernährungsverhalten etablieren. Die folgenden therapeutischen Ansätze können dabei hilfreich sein:

  • Kognitive Verhaltenstherapie (CBT): Diese Therapieform hilft Dir, ungesunde Denkmuster zu erkennen und zu verändern, die zu einem beeinträchtigten Ernährungsverhalten führen.
  • Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT): Ursprünglich zur Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen entwickelt, kann DBT auch bei Essstörungen helfen, indem sie emotionale Regulation und Achtsamkeit fördert.
  • Traumatherapie: Traumatherapeutische Ansätze wie EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) können Dir helfen, tief verwurzelte emotionale Wunden zu heilen und ein Leben frei von alten Belastungen zu leben.
  • Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann Dir das Gefühl geben, verstanden zu werden und weniger allein zu sein. Außerdem kann Dir eine Gruppentherapie helfen, herauszufinden, welche Unterstützung für Dich am besten ist.

Es ist wichtig zu wissen, dass Heilung nicht von heute auf morgen geschieht. Sie ist ein Prozess, der Geduld, Selbstmitgefühl und professionelle Unterstützung erfordert. Doch wenn Du diesen Weg einschlägst, Dich Deiner Vergangenheit stellst, um neue, gesunde Überzeugungen zu entwickeln, kannst Du ein harmonisches Verhältnis zum Essen und zu Deinem Körper herstellen.

Ich hoffe, dass Dir mein Beitrag neue Einblicke in die Ursachen deiner Ernährungsprobleme gegeben hat und Du nun weißt, wo Du ansetzen kannst. Mich interessiert sehr, ob Du beim Lesen Aha-Momente hattest und wie Du Dich jetzt fühlst. Hinterlasse gerne einen Kommentar, um zu zeigen, dass wir viele sind.

Danke und schön, dass Du da bist!

Quellenverweise: 

Ruppert, Franz (2019): Liebe, Lust und Trauma: Auf dem Weg zur gesunden sexuellen Identität, 1. Aufl., München

Dähling, Madeleine (2024): Erlösung durch die (richtige) Ernährung? Abgerufen am 14.08.2024, von https://www.madeleinedaehling.de/blogartikel/erloesung-durch-die-richtige-ernaehrung/

Ärzteblatt (2015): Ernährung und Bindungsstil: Unsichere Bindung fördert Essstörungen. Abgerufen am 12.08.2024 von https://www.aerzteblatt.de/archiv/172998/Ernaehrung-und-Bindungsstil-Unsichere-Bindung-foerdert-Essstoerungen

Borderline-Persönlichkeit - mehr, als eine Diagnose

Borderline-Persönlichkeit – Du bist mehr als eine Diagnose!

An was denkst Du, wenn Du den Begriff Borderline-Persönlichkeit hörst? Vielleicht geht es Dir ähnlich wie mir und Du reduzierst ihn auch auf selbstzerstörerisches Verhalten. Vor einiger Zeit habe ich Dario Lombardi über Instagram kennengelernt, der sich in seinen Beiträgen diesem Thema zuwendet, weil er im Alter von 23 Jahren selbst die Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung bekommen hat. Im Interview verrät er uns unter anderem, welchen Herausforderungen er durch diese Diagnose begegnet ist, warum er es für notwendig hält, den Begriff zu entstigmatisieren und welche Therapieformen ihm bisher geholfen haben. Egal, ob Du selbst betroffen bist oder nicht. Es lohnt sich, dieses Interview zu lesen!

Was ist eine Borderline-Persönlichkeit?

Lieber Dario, magst Du kurz erklären, was klassischerweise unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung verstanden wird?

Es gibt verschiedene Klassifikationen für psychische Störungen die das Störungsbild unterschiedlich beschreiben. In dem aktuellen Klassifikationssystem der American Psychiatric Association (DSM-5) handelt es sich bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) um ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität.

International gilt das ICD-10, aber ich entscheide mich für das amerikanische Klassifikationssystem DSM-5, weil es in meiner Wahrnehmung die Kriterien der BPS präziser widerspiegelt. Laut diesem Klassifikationssystem müssen fünf der folgenden Kriterien erfüllt sein, um von einer Borderline-Persönlichkeitsstörung auszugehen:

  1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden.
  2. Ein Muster instabiler und intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
  3. Störung der Identität: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.
  4. Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen, z.  Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Essanfälle“. 
  5. Wiederholtes suizidales Verhalten, Suizidandeutungen oder -Drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.
  6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung, z.  hochgradige episodische Misslaunigkeit, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern.
  7. Chronische Gefühle von Leere.
  8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren, z.  häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen.
  9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative  Symptome.

Wie würdest Du mit eigenen Worten die klassischen Merkmale der BPS beschreiben?

Zu den klassischen Symptomen zählen starke Emotionen, die nur schwer regulierbar sind, häufige Stimmungsschwankungen, Schwarz-weiß-Denken, destruktives/selbstschädigendes Verhalten, massive Ängste vor dem Verlassenwerden mit einer gleichzeitigen Angst vor dem Verschlungenwerden (Selbstverlust), innere Leere und Dissoziation.

Betroffene leiden unter einer hohen inneren Anspannung, die gerade am Anfang des eigenen Genesungswegs häufig durch dysfunktionales Verhalten abgebaut wird. Dazu zählen zum Beispiel Drogenkonsum oder selbstverletzendes Verhalten.

Das Gefühl, anders als alle anderen zu sein und sich auch in Gruppen einsam und nicht zugehörig zu fühlen, spielt auch eine Rolle. Menschen mit einer BPS haben eine wahnsinnige Sehnsucht nach einer emotional sättigenden Bindung und seelischer Verschmelzung (Symbiose) und gleichzeitig halten sie diese Nähe und Intensität nicht lange aus (Nähe–Distanz Problematik). 

Das Alleinsein mit sich selbst erscheint Betroffenen als existenziell bedrohlich. Die Instabilität des eigenen Selbstbildes zeigt sich darin, dass sie häufig nicht wissen, wer sie eigentlich wirklich sind. Es bestehen Unsicherheiten bei Themen wie den eigenen Zielen, Werten, dem Berufswunsch oder der sexuellen Orientierung.

Wenn Du Dich in den genannten Merkmalen wiederfindest, muss es nicht bedeuten, dass Du automatisch unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidest. Auch andere Ursachen können zu derartigen Ausprägungen führen. Zudem ist es an dieser Stelle wichtig, Dir vor Augen zu führen, dass es für alles Hilfe gibt und Du nicht ein Leben lang darunter leiden musst.

Wie kann man die BPS von anderen Diagnosen z.B. Suchtkrankeiten, die ja auch selbstzerstörerisch sind, abgrenzen?

Meines Wissensstandes nach sind Suchterkrankungen immer eine Bewältigungs- und Kompensationsstrategie für eine innere seelische Not.

Eine klare Abgrenzung der Diagnosen kann in meinen Augen nicht erfolgen, weil das Suchtverhalten zu den Merkmalen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung zählen kann. Menschen mit einer BPS haben häufig eine gewisse Neigung zu Suchtverhalten, um ihre Bedürftigkeit nach emotionaler Nähe zu kompensieren. Besonders dann, wenn die gewünschte Nähe durch zwischenmenschliche Beziehungen nicht erreichbar ist.

Umgang mit der Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung

Willst Du mit den Leser/innen teilen, wann und wie es zu Deiner Diagnose gekommen und wie es Dir damit ergangen ist?

Ja, gerne. Ich befinde mich bereits seit 2011 in therapeutischer Behandlung, weil ich unter Abhängigkeit, Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen, Schwierigkeiten in der Ausbildung, Wutausbrüchen, Ängsten und depressiven Symptomen gelitten habe. Im Jahr 2015 entschied ich mich zu einem Klinikaufenthalt in der Parlandklinik in Bad Wildungen, um mich zu stabilisieren und meine anhaltenden, belastenden Symptome abklären zu lassen. Dort bekam ich relativ schnell die Diagnose der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Im ersten Moment war mir das ziemlich gleichgültig, weil ich in den Jahren davor schon alle möglichen Diagnosen bekommen hatte. 

Als ich mich in Internetforen zu diesem Störungsbild informierte, wurde ich dann aber sehr instabil. In den Berichten von Angehörigen oder Menschen, die gefährliches Halbwissen verbreiten, fand ich nur negative Beschreibungen zu dieser Diagnose. Es gab Warnungen davor, mit sogenannten „Borderlinern“ in Beziehung zu treten, weil sie anderen emotional schaden würden. Es wurde oftmals verallgemeinert mit Manipulation, emotionaler und/oder körperlicher Gewalt, Untreue, Promiskuität und Übergriffigkeit. Ich war schockiert darüber, dass Borderline fast ausschließlich mit einem radikalen negativen Bild assoziiert wurde.

Ich fing an zu glauben, dass alles in mir und meiner gesamten Persönlichkeit falsch und nicht erwünscht sei. Ich dachte unheilbar krank zu sein und dass für mich kein lebenswertes Leben mehr möglich ist. Das führte bei mir zu großer Hoffnungslosigkeit und am Ende zu einer Krise mit Selbstabwertung und Selbsthass. 

Borderline-Persönlichkeit - Ganzwerdung

Auch in Gesprächen mit Fachärzten habe ich erlebt, dass ich allein durch die Diagnose anders und negativ wahrgenommen wurde. Es gab Therapeut/innen, die mir gesagt haben, dass sie keine “Borderliner” aufnehmen wollen.
Sowohl im persönlichen Kontakt als auch in Medienberichten oder Youtube-Videos wurde ich mit Sätzen wie diesen konfrontiert: „Borderline hat man nicht, Borderline ist man.“ Oder auch „Borderline hat man ein Leben lang.“ Mir schien es so zu sein, dass von diesen Personen gar nicht mehr der Mensch hinter der Diagnose gesehen wird, der selbstverständlich auch positive Eigenschaften hat. Es hat lange gedauert, bis ich mir neues Wissen angeeignet habe, durch das ich mich neu orientieren und von solchen Stigmatisierungen abgrenzen konnte.

Hilfe für Betroffene einer Borderline-Persönlichkeitsdiagnose

Wie können Betroffene von Borderline Hilfe finden? Welche Therapiemethoden haben Dir besonders geholfen und welche Schritte würdest Du empfehlen?

Ich denke, man kann keine pauschalen Empfehlungen aussprechen. Betroffene mit Borderline haben jedoch in der Regel massive negative Beziehungserfahrungen gemacht, wodurch sie negative Schemata entwickelt haben. Wie zum Beispiel: „In Beziehungen werde ich immer verletzt und deshalb lohnen sie sich nicht“ oder „So wie ich wirklich bin, kann mich niemand lieben“. Ich selbst bin deshalb ein großer Fan der Schematherapie. Diese wurde von Jeffrey E. Young entwickelt und gehört neben der Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) und der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) zur dritten Welle der Verhaltenstherapie, also um eine weiterentwickelte Form der klassischen Verhaltenstherapie.

In der Schematherapie spielt die Beziehungsebene eine entscheidende Rolle. Die Bedürfnisse der Betroffenen, die in der Kindheit frustriert wurden, erfahren in der Therapiebeziehung mithilfe des sogenannten “limited reparenting” häufig zum ersten Mal Wahrnehmung, Anerkennung und eine positive Antwort. Dadurch sind korrigierende Beziehungserfahrungen, also die Veränderung negativer Beziehungsschemata möglich.

Borderline-Persönlichkeit - Therapie
Wenn man diese Form der Zuwendung und Akzeptanz nicht gewohnt ist, kann das am Anfang sehr herausfordernd und triggernd sein. Dranbleiben lohnt sich aber. Für mich kam hier zum ersten Mal in meinem Leben eine gute zwischenmenschliche Beziehung zustande, in der ich mich akzeptiert fühlte, so wie ich bin.

Durch die Arbeit mit den eigenen Persönlichkeitsanteilen, die in der Schematherapie Modi genannt werden, entwickelt man ein besseres Verständnis für sich selbst und schafft es, sich mit einer wohlwollenden Haltung zu begegnen. Auf lange Sicht schafft man es so sich irgendwann selbst eine gute Mutter und/oder ein guter Vater zu sein (Selbstbeelterung). Seine bedürftigen inneren Kind-Anteile auf diese Weise nachnähren zu können, ist ein wichtiger Schritt auf dem eigenen Genesungsweg. Dadurch gelingt es einem, die starke Abhängigkeit von externen Faktoren (z.B. anderen Menschen) zu verringern.

Dario`s Buchempfehlungen zur Schematherapie

Seit ein paar Jahren arbeite ich auch mit körperorientierten Ansätzen wie dem Somatic Experiencing (SE) und dem Neuroaffektiven Beziehungsmodell (NARM). Insbesondere Übungen zur Selbstregulation des Nervensystems, zur Stärkung der Selbstwahrnehmung und zur Steigerung des Körpergewahrseins helfen mir sehr. Auch das Erarbeiten und Setzen von Grenzen sowie das Schaffen innerer und äußerer Ressourcen ist erlernbar.

Der erste Schritt ist auf jeden Fall die Bereitschaft, sich selbst kennen und reflektieren zu lernen. Auch wenn einem in der Vergangenheit eventuell Schlimmes widerfahren ist, trägt man jetzt trotz allem selbst die Verantwortung für das eigene Leben. Diese Verantwortung zu übernehmen, bedeutet natürlich auch Arbeit.

Warum gehst Du seit einiger Zeit mit dem Thema in die Öffentlichkeit? Was ist Dein Herzensanliegen dabei?

Ich war in der Vergangenheit einige Zeit als Co-Moderator einer Borderline-Selbsthilfegruppe tätig und wollte mit meinen Instagram-Beiträgen Aufmerksamkeit auf unsere Gruppe lenken. Zudem geht es mir darum, zu einem differenzierteren Bewusstsein anzuregen. Ich möchte zur Entstigmatisierung des Störungsbildes BPS beitragen.

Ebenso möchte ich dazu anzuregen, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen und die Mechanismen zu verstehen, die hinter den belastenden Gefühlen und Verhaltensweisen stehen. Ich will dazu appellieren, dass die Bezeichnung “Borderliner” durch “Mensch” ersetzt wird – ein Mensch, der sich seine Geschichte nicht ausgesucht hat und mit der Lebensaufgabe konfrontiert ist, seine Gefühle und Gedanken neu zu definieren, um ein selbsterfüllendes Leben führen zu können, das jeder von uns verdient hat.

Gibt es noch etwas, den Du meinen Leser/innen und/oder Betroffenen gerne mit auf den Weg geben möchtest?

Ja, Du bist MEHR als deine Diagnose(n)! Du bist MEHR als deine Symptome! Du bist MEHR als deine Emotionen! Du bist MEHR als deine Verletzungen und Traumata! Du bist MEHR als deine Unzulänglichkeiten! Du bist MEHR als deine Geschichte! Du bist MEHR als das, was andere über dich reden und denken! Du bist MEHR als du in dir siehst! Alles Liebe Dario

Borderliner-Persönlichkeit - Du bist genug

Danke lieber Dario für dieses aufschlussreiche Interview und Deinen Mut, Dich mit Deiner persönlichen Geschichte zu zeigen.

Wie einleitend bereits erwähnt, habe auch ich den Begriff Borderline-Persönlichkeit immer ganz pauschal mit selbstzerstörerischen Verhalten gleichgesetzt.  Durch Deine Beiträge auf Instagram wurde mir klar, wie komplex dieses Themengebiet ist und dass ich selbst noch vor einigen Jahren wahrscheinlich diesem Störungsbild entsprochen hätte. Demnach sehe ich da auch eine Verbindung zum  Entwicklungs- und Bindungstrauma. In diesem Zusammenhang finde ich auch Deine Erläuterungen zur Schematherapie wertvoll, weil sie mir und vielleicht auch anderen noch eine weitere Möglichkeit für den eigenen Heilungsweg aufzeigen.

Für Deinen weiteren Weg der Heilung sowie für Deine berufliche Entwicklung wünsche ich Dir alles Liebe. Ich bin sicher, dass Du noch vielen Menschen helfen wirst.,

Vagusnerv stimulieren

Der Vagusnerv und die Bedeutung der Polyvagal-Theorie für die Traumaheilung

Die Polyvagal-Theorie ist eine von dem US-amerikanischen Psychiater und Neurowissenschaftler Stephen W. Porges entwickelte Theorie, die sich mit dem Vagusnerv und dessen Einfluss auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen beschäftigt. Sie schenkt uns eine neue Sicht auf das autonome Nervensystem (ANS) und seinen Einfluss auf die Traumaheilung. In diesem Beitrag gebe ich Dir einen Überblick über die Funktionsweise des ANS und die Polyvagal Theorie. Du erfährst, warum ein Gefühl von Sicherheit für Deine Heilung maßgeblich ist und bekommst Übungen an die Hand, mit denen Du Deinen Vagusnerv stimulieren kannst, um dieses Gefühl zu stärken. Zu guter Letzt darfst Du Dich auch in diesem Beitrag über Buchempfehlungen freuen, um Dein Wissen zu diesem Thema noch mehr zu vertiefen. 

Das autonome Nervensystem (ANS)

Das autonome Nervensystem (ANS) ist Teil des komplexen Nervensystems des Menschen, das den ganzen Körper durchzieht. Ohne unseren Einfluss steuert und reguliert es lebenswichtige Körperfunktionen wie etwa Stoffwechsel, Blutkreislauf, Herzschlag, Verdauung und Wärmehaushalt.

Das Hauptziel aller Aktivitäten unseres ANS ist es, unser Überleben zu sichern. Bisher ist man davon ausgegangen, dass es sich zu diesem Zweck zweier Systeme bedient: dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem oder anders ausgedrückt dem Sympathikus und dem Parasympathikus.

Der Sympathikus aktiviert den Körper in Situationen, die eine erhöhte Aufmerksamkeit oder eine schnelle Reaktion erfordern, wie beispielsweise Stresssituationen oder bei körperlicher Anstrengung. Der Parasympathikus wirkt im Gegensatz dazu beruhigend und fördert Regenerations- und Erholungsprozesse im Körper, wodurch Heilung und ein Zustand von Gesundheit möglich werden.

Im Normalfall, so die Annahme, sorgt die autonome Regulation des ANS dafür, dass wir situationsbedingt zwischen diesen beiden Zuständen hin und her pendeln. Der Psychiater und Neurowissenschaftler Stephen W. Porges fand durch die Erforschung des Vagusnervs als wesentlichen Teil des Parasympathikus jedoch heraus, dass diese Zweiteilung nicht dem wahren Aufbau unseres Nervensystems entspricht.

Der Vagusnerv in der Polyvagal-Theorie

Der Vagusnerv spielt als längster Nerv im Körper eine entscheidende Rolle. Er verläuft vom Hirnstamm bis zum Bauchraum und beeinflusst eine Vielzahl von Organen und Körperfunktionen. In über 40 Jahren Forschung erkannte Porges, dass es sich beim Vagusnerv nicht um einen einzelnen Nerv handelt, sondern das dieser wiederum in zwei Stränge aufgeteilt ist, die anatomisch in unterschiedlichen Körperregionen verlaufen und dadurch verschiedene Aufgaben erfüllen.

Der dorsale (hintere) Vagus beeinflusst überwiegend die inneren Organe, die unterhalb des Zwerchfells liegen: Magen, Darm, Leber und Nieren. Er ist mit dem sympathischen Nervensystem verbunden, das wie bereits erwähnt für die Mobilisierung von Energie zuständig.

Der ventrale (vordere) Vagus beeinflusst hingegen die Bereiche oberhalb des Zwerchfells, vor allem die, die wir für soziale Aktivitäten benötigen: Herz, Kehlkopf, Rachen, Mund, Gesicht und Mittelohr. Er ist für die Aktivierung des parasympathischen Nervensystems verantwortlich und spielt eine entscheidende Rolle in sozialen Interaktionen und der Verbindung zu anderen Menschen. So beeinflusst er unsere Fähigkeit, mit anderen in Beziehung zu treten, soziale Signale wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren.

In der Polyvagaltheorie geht Porges also davon aus, dass unser ANS aus drei Systemen besteht, die je nach Situation autonom aktiviert werden und unser Verhalten steuern. Die Theorie besagt außerdem, dass unser ANS unsere Umgebung permanent daraufhin untersucht, ob sie sicher, gefährlich oder sogar lebensbedrohlich ist. Dazu verwendet es Signale, die sowohl aus der Umgebung als auch aus den inneren Organen an das ANS übermittelt werden. Dieser Vorgang, Neurozeption genannt, läuft ebenfalls weitgehend unbewusst ab.

Verhaltensstrategien der drei Nervensysteme

Im Folgenden nenne ich die drei Nervensysteme und die entsprechenden Verhaltensstrategien, die je nach Einschätzung einer Situation unabhängig von unserem bewussten Verstand (also völlig autonom) aktiviert werden: 

1. Sozialer Kontakt (Ventraler Vagus)

Wird eine Situation als sicher eingeschätzt, kommt es zu einer Aktivierung des ventralen Vagus. Unsere Herzfrequenz sinkt, die Atmung wird langsamer  und es entsteht ein Zustand der Entspannung und Ruhe. Dieser Zustand ermöglicht es, uns sicher und verbunden zu fühlen und unterstützt die Fähigkeit zur Kommunikation und Empathie. In diesem Zustand und tatsächlich nur in diesem Zustand ist soziale Interaktion und Bindung möglich.

Vagusnerv - Soziale Interaktion

2. Mobilisierung (Sympathikus)

Kommt unser Nervensystem zu der Einschätzung, dass die Situation unsicher ist, wird der Sympathikus mit Kampf-Flucht-Mechanismen aktiviert. Unsere Herzfrequenz erhöht sich, die Atmung beschleunigt sich, die Pupillen werden weit, die Verdauung wird gehemmt und die Freisetzung von Adrenalin und Noradrenalin wird angeregt.

3. Immobilisation (Dorsaler Vagus)

Wird eine Situation sogar als lebensbedrohlich eingeschätzt, weil weder Kampf noch Flucht möglich erscheinen, kommt es zu einer Aktivierung des dorsalen Vagus. Dabei wird unsere Atmung flach, die Herzfrequenz sinkt auf ein Minimum, die Muskelspannung wird äußert gering und die Magen-Darm-Tätigkeit kommt fast zum Erliegen. Es kommt sozusagen zu einem Notfallprogramm, indem unser System in den „Shutdown“ geht. Wir kennen diesen Zustand auch als Totstellreflex, Erstarrung oder Freeze (Einfrieren).

Um unser Überleben zu sichern, werden diese drei Verhaltensstrategien in Stress- oder Bedrohungssituationen der Reihenfolge nach aktiviert. Das heißt, wenn wir uns bedroht fühlen, versuchen wir die Gefahr zunächst durch Interaktion und Kommunikation zu bannen. Gelingt dies nicht oder erscheint der Versuch von vornherein aussichtslos, schaltet unser System um auf „Kampf oder Flucht“. Ist auch dies nicht möglich, bleibt nur noch der Shutdown.

Diese Erkenntnisse schenken einen ganz neuen Zugang zum menschlichen Kontaktverhalten. Wir können daraus ableiten, dass das menschliche Nervensystem grundsätzlich auf Kontakt und Kommunikation ausgerichtet ist. Außerdem wird deutlich, dass Kontakt und Nähe ausschließlich bei einem aktivierten ventralen Vagus möglich sind, was insbesondere in Bezug auf die Heilung von Trauma von Relevanz ist.

Auswirkung von Trauma auf den Vagusnerv und das eigene Leben

Von Trauma ist die Rede, wenn ein Mensch bedrohlichen und überwältigenden Erfahrungen ausgesetzt ist, welche so viel Stress auslösen, dass er diesen mit seinen klassischen Bewältigungsmechanismen nicht mehr begegnen kann. Die Folge ist eine Dysregulation des ANS, einschließlich des Vagusnervs, bei der der Sympathikus überaktiv und der Parasympathikus (ventraler Vagus), unteraktiv ist.

Traumafolge - Dysregulation Vagusnerv

Das heißt, solange ein Trauma nicht verarbeitet werden konnte, kommt das ANS dauerhaft zu der Einschätzung, dass unsere Lebenssituation unsicher oder gar lebensgefährlich ist, obwohl das vielleicht rein objektiv betrachtet gar nicht der Fall ist.

Folgendes Beispiel soll das Ganze veranschaulichen:

Nehmen wir an, wir wurden in unserer Kindheit durch Gewalt seitens des eigenen Vaters traumatisiert. Als Kind waren wir den brutalen Übergriffen vollkommen ausgeliefert. Weder soziale Interaktion noch Flucht-Kampf-Mechanismen konnten unser Überleben sichern. Um zu überleben, mussten wir uns totstellen, womit nicht nur die Abspaltung körperlicher Empfindungen einherging, sondern auch eine psychische Spaltung.

Wir gehen also auch im Erwachsenenalter von einer Bedrohung in unserem Leben aus. Vielleicht ganz allgemein oder ausgelöst durch den Kontakt zu Männern, die Parallelen zum Vater aufweisen. Sogar das bloße In-Beziehung-Sein kann an die schlechten Erfahrungen aus dem Familienumfeld erinnern und die beschriebenen Mechanismen auslösen. 

Zu den klassischen Symptomen eines Lebens in solchen Überlebensmodi zählen eine erhöhte Erregbarkeit, Angstzustände, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen, Schwierigkeiten bei der Regulation von Emotionen sowie Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen (Angst vor Nähe). Im Prinzip stehen Menschen mit unverarbeiteten Traumata also entweder ständig unter Strom, weil sie im Flucht-Kampf-Modus sind oder sie sind aus dem Shutdown-Modus heraus ständig erschöpft.

Damit unser ANS aufhört auf Gefahren zu reagieren, die in Wahrheit nicht mehr existent sind, müssen wir uns der Traumaheilung zuwenden, wobei uns die Polyvagal Theorie unterstützen kann. 

Die Bedeutung der Polyvagal-Theorie für die Traumaheilung

Die Polyvagal Theorie betont die Bedeutung eines sicheren und unterstützenden Umfelds für die Regulation des autonomen Nervensystems und die Förderung gesunder sozialer Beziehungen. Denn nur, wenn unser ANS zur Einschätzung kommt, dass unsere Umgebung sicher ist, kann Heilung geschehen. Nicht nur, weil unser ANS unser Sozialverhalten beeinflusst, sondern auch, weil es unsere Fähigkeit zum Zuhören und verarbeiten von Informationen steuert.

Je größer die subjektiv empfundene Gefahr eingeschätzt wird, desto weniger Gehirnbereiche stehen uns zur Verfügung. Wird der ventrale Vagus in seiner Aktivität reduziert, sind weite Bereiche unseres kognitiven Verstandes nicht mehr zugänglich. Und wenn wir in einen dorsal-vagalen Zustand verfallen, geht es wortwörtlich nur noch ums blanke Überleben.

Wie wir uns im Alltag verhalten oder zu welchen Verhaltensweisen wir fähig sind, hängt demnach nicht nur von unserem „Wollen“ ab, sondern oftmals auch vom „Können“. Das subjektive Empfinden von Sicherheit ist demnach einer der wichtigsten Punkte auf dem Weg der Ganzwerdung

Das Gefühl von Sicherheit wiederfinden

Vagusnerv stärken für Gefühl von Sicherheit

Um ein Gefühl von Sicherheit in Deinem Leben zu stärken, gilt es zum einen ein äußeres Umfeld zu schaffen, von dem keine Gefahr ausgeht. In diesem Beitrag soll es jedoch um den Vagusnerv gehen, durch dessen Stimulation Du ebenfalls zu Deinem Gefühl von Sicherheit zurückfinden kannst. 

Durch die Stärkung des Vagusnervs förderst Du nämlich die Regulationsfähigkeit Deines Nervensystems und kannst gesündere Verbindungen zu anderen Menschen aufbauen, was sich wiederum vorteilhaft auf Deine Traumaheilung auswirkt.

Darüber hinaus kann die Vagusnerv-Stimulation dazu beitragen, Deine Neuroplastizität zu fördern. Neuroplastizität bezieht sich auf die Fähigkeit Deines Gehirns, sich im Laufe Deines Lebens zu verändern und anzupassen. Es ist ein grundlegender Mechanismus, durch den Dein Gehirn auf neue Erfahrungen und Umweltreize reagiert. Einfach ausgedrückt kann Dein Gehirn also lernen, dass im Hier und Jetzt keine Gefahr mehr besteht.

Welche Möglichkeiten der Vagusnerv-Stärkung gibt es?

Es gibt verschiedene Ansätze zur Stärkung des Vagusnervs, darunter nicht-invasive Techniken wie Atemübungen, Yoga und Meditation, sowie invasive Verfahren durch implantierte Geräte. Im Fokus dieses Beitrags stehen die nicht invasiven Techniken. Jedoch möchte ich der Vollständigkeit halber nur kurz auf beide Ansätze eingehen.

Invasive Techniken

Ein invasiver Ansatz ist die sogenannte Vagusnerv-Stimulation (VNS), bei der ein Gerät implantiert wird, das schwache elektrische Impulse an den Vagusnerv sendet. Diese Impulse aktivieren den dorsalen Vagus und fördern eine verbesserte Regulation und Entspannung. Studien zu Folge soll diese Technik bei der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und anderen traumabezogenen Symptomen eine gute Wirkung gezeigt haben.

Nicht invasive-Techniken

Doch auch ohne die Implantation eines Geräts können wir unseren Vagusnerv stimulieren. Es gibt eine Reihe einfacher Übungen, die bei regelmäßiger Anwendung helfen können. Ich persönlich schätze den letzten Punkt „Soziale Interaktion“ als am erfolgversprechendsten ein, weil hier der Ursprung von Entwicklungs- und Bindungstrauma liegt. In diesem Zusammenhang empfehle ich das Ehrliche Mitteilen nach Gopal (EM) und verlinke Dir meinen dazugehörigen Beitrag. Vorab erläutere ich aber kurz einige andere, heilsame und leicht anzuwendenden Alltagsübungen:

1. Langsames, tiefes Atmen
Mit einem langsamen, tiefen Atem kannst Du Deinen Vagusnerv stimulieren. Amte dazu langsam und tief in Deinen Bauch ein und aus. Versuche länger auszuatmen, als Du einatmest. Wenn Du magst, kannst Du dabei Sekunden zählen (4 Sekunden einatmen, 8 Sekunden ausatmen). Achte darauf, dass sich Deine Bauchdecke hebt und senkt und Du wirklich gut in den Bauch atmest.

2. Laut Tönen oder Summen
Beim bewussten Summen entstehen Schwingungen und es kommen Muskeln im Rachen und Gaumen zum Einsatz, die mit dem Vagusnerv verbunden sind und ihn stärken können. Du kannst zum Beispiel im Wechsel die Buchstaben A-U-M laut tönen oder summen.

3. Nach rechts und links schauen
Da unsere Augen mit dem Vagusnerv verbunden sind, wirkt sich das starke nach rechts und links schauen positiv auf ihn aus. Wenn Du dabei Deinen Kopf jeweils zur rechten oder linken Schulter neigst, verstärkt es die Wirkung noch.

4. Zunge herausstrecken
Diese Übung wirkt direkt beruhigend auf den Vagusnerv. Öffne dazu Deinen Mund und strecke Deine Zunge so weit Du kannst nach außen unten. Rolle sie dann ein, sodass Deine Zungenspitze fast den Gaumen berührt. Wiederhole das 10-20 Mal.

5. Akupressur und Massage
Ein sanfter Druck auf bestimmte Punkte am Hals oder den Bereich hinter dem Ohrläppchen kann den Vagusnerv stimulieren. Auch die Massage der Ohren ist empfehlenswert. Forme dazu mit Deinem Zeige und Mittelfinger ein V. Setze dann den Zeigefinger hinter dem Ohr und den Mittelfinger vor Deinem Ohr an und streiche hier mit sanftem Druck nach oben und unten.

6. Tiefe, entspannende Klänge
Das Hören von entspannenden, tiefen Klängen, binauralen Beats oder Naturgeräuschen kann ebenfalls zur Stimulation des Vagusnervs beitragen. Auf Youtube findest Du eine große Auswahl solcher Klänge.

7. Achtsamkeitsübungen und Meditation
Entspannungsfördernde Praktiken wie Yoga und Meditation können ebenfalls zur Vagusnerv-Stimulation beitragen. Bestimmte Yoga-Stellungen wie der Fisch oder die Brücke sollen besonders wirksam sein.

8. Soziale Interaktionen
Traumatisierten Menschen fällt Kontakt zu anderen häufig schwer, weil der Ursprung der Entwicklungstraumata in der Verbindung zu anderen Menschen liegt. Positive soziale Interaktionen tragen jedoch in großem Maße zur Stimulation des Vagusnervs bei und Fördern ein Gefühl von Sicherheit. Deshalb liegt hier meiner Einschätzung nach der größte Erfolg, wenn die Interaktion in einem geeigneten und sicheren Rahmen stattfindet. In diesem Zusammenhang möchte ich Dir das Ehrliche Mitteilen (EM) nach Gopal empfehlen, wozu ich bereits einen eigenen Blog-Beitrag verfasst habe. 

Ehrliches Mitteilen (EM) - Heilung von Entwicklungstrauma

Ehrliches Mitteilen (EM) als Schlüssel zur Heilung des Nervensystems

In diesem Beitrag erkläre ich Dir, was genau das Ehrliche Mitteilen ist und wie es Entwicklungstrauma heilen kann. Abschließend lass ich Dich sogar an meinen persönlichen Erfahrungen auf meiner inzwischen knapp 4-jährigen EM-Reise teilhaben.

Wenn Du die Übungen eine Zeitlang ausprobieren möchtest, beachte bitte, dass sie individuell unterschiedlich wirken können. Grundsätzlich solltest Du Dich im Anschluss jedoch wohl, ruhig und entspannt  fühlen. 
Wenn Du bei bestimmten Übungen gesundheitliche Bedenken hast, weil Du an einer Erkrankung leidest, konsultiere bitte vorab einen Arzt oder Therapeuten. Berücksichtige bitte auch, dass die Vagusnerv-Stimulation allein keine Therapie ersetzt, sondern vielmehr als Ergänzung zu anderen psychotherapeutischen Ansätzen betrachtet werden kann.

Buchempfehlungen

Ich hoffe, dass Dir der Beitrag geholfen hat zu erkennen, dass die Stimulation Deines Vagnusnervs eine unterstützende Rolle bei der Regulation Deines autonomen Nervensystems spielt und dadurch positive Auswirkungen auf die emotionale Verarbeitung von Trauma hat. 

Wenn Dich das Thema neugierig gemacht hat und Du mehr darüber erfahren möchtest, empfehle ich Dir  zum Abschluss noch folgende drei Bücher:

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Sucht und Trauma

Ist Sucht eine Folge von Trauma und kann man sich nachhaltig davon befreien?

Sucht und Trauma – beides Themen, die mich betreffen und beschäftigen. Viele Jahre meines Lebens war ich süchtig nach Rausch- und Betäubungsmitteln. Ich kenne die inneren Leidenszustände, die damit einhergehen: Der verzweifelte Kampf davon loszukommen sowie Gefühle von Wertlosigkeit und Scham, weil man es trotz fester Vorsätze nicht schafft.

Vor inzwischen genau 10 Jahren hatte ich großes Glück, weil ich eine Therapeutin fand, die trotz meiner Sucht mit mir zusammenarbeiten wollte und mir half, davon loszukommen. Leider ist das jedoch keine Selbstverständlichkeit, denn in der klassischen Psychologie und Psychotherapie werden Sucht und Trauma meist immer noch getrennt voneinander betrachtet. Lassen sich die hohen Rückfallquoten bei Menschen mit Suchtverhalten darauf zurückführen? Ist Sucht etwas, womit man ein Leben lang “kämpfen” muss oder gibt es Möglichkeiten, sich nachhaltig davon zu befreien?

Ich freue mich sehr, dass ich Prof. Dr. Franz Ruppert zu all meinen Fragen rund um dieses Thema interviewen durfte. Er ist als Autor zahlreicher Bücher und durch die Identitätsorientierte Psychotraumatherapie (IoPT) bekannt, mit der ich in den letzten fünf Jahren große Fortschritte auf meinem Weg der Ganzwerdung gemacht habe.

Allgemeines zu Sucht

Lieber Herr Ruppert, begegnen Ihnen in Ihrer Arbeit mit traumatisierten Menschen häufig Suchtthematiken?

Franz Ruppert: Ja, es kommt ab und zu vor, dass ich mit Menschen arbeite, die unter Sucht oder süchtigen Verhaltensweisen leiden. Einige der zahlreichen Fallbeispiele in meinen Büchern, in denen Menschen das Anliegen äußern, von Zigaretten-, Alkohol- oder Spielsucht loszukommen, spiegeln das wieder.

Welche Formen von Sucht sind Ihnen bekannt und was kennzeichnet diese Süchte?

Franz Ruppert: Sucht gibt es meiner Meinung nach in zweierlei Formen:

  • Als ungehemmten Konsum von Getränken, Nahrungsmitteln, Tabak, Medikamenten oder Chemikalien und
  • Als exzessive Verhaltensweisen wie Arbeiten, Spielen, sexuelle Betätigung, Sport treiben, Fernsehen, Einkaufen und anderes mehr.
Suchtformen - Ganzwerdung

Gekennzeichnet werden süchtige Verhaltensweisen meiner Meinung nach durch:
  • Zwanghaftigkeit,
  • Toleranzentwicklung,
  • Dosissteigerung,
  • Entzugserscheinungen,
  • Weitermachen, trotz negativer Konsequenzen,
  • Verschleierung der Realität des Süchtigseins,
  • Völligen Kontrollverlust.

In all diesen Fällen verhalten sich Menschen konträr zu ihren eigenen existentiellen Interessen. Sie achten nicht darauf, gut und ausreichend zu essen, saubere Luft zu atmen, ihren Körper vor Schädigungen zu schützen, Daseinsfreude zu empfinden und ihr Leben wirklich zu genießen. Statt aus vollem Herzen zu leben und zu lieben, über-leben sie.

Der Zusammenhang von Sucht und Trauma

Gibt es Ihrer Beurteilung nach einen Zusammenhang zwischen Sucht und Trauma und wenn ja, welchen?

Franz Ruppert: Ja, meiner Meinung nach ist Sucht eine Form von Überlebensstrategie, um sich mit den unangenehmen Gefühlszuständen nicht auseinandersetzen zu müssen, die aus abgespaltenen Traumagefühlen herrühren.

Negative Gefühlslagen wie Ängste, Schamgefühle oder Schmerzen werden von süchtig gewordenen Menschen, sobald sie spürbar werden, sofort durch den Konsum von Alltagsdrogen (Alkohol, Zigaretten, Kaffee, Zucker etc.), Medikamente (Schlaf- und Beruhigungsmittel), die Zufuhr gesetzlich verbotener narkotisierender Drogen (Marihuana, Heroin) oder aufputschender chemischer Substanzen (Amphetamine, Kokain) überlagert.

Wie bereits erwähnt sind auch bestimmte Verhaltensweisen geeignet, um hochkommende Traumagefühle wegzudrücken. Zum Beispiel versuchen Soldaten durch Bordellbesuche ihre Ängste durch sexuelle Stimulation zu übertönen.

Das Abspalten der eigenen Gefühle führt wiederum zu innerer Leere, die dann durch künstlich erzeugte Körpersensationen und durch Überaktivität gefüllt wird. Weil der innere Bezug fehlt, gibt es bei alledem keine natürliche Sättigung und kein inneres Empfinden dafür, wann es genug ist.

Sucht und Trauma - Alkohol und Medikamente

Viele Menschen setzen mit ihrer Sucht ihre ursprünglichen Traumatisierungen erneut in Szene. Sie verletzen und vergiften sich selbst, sie nehmen keine Rücksicht auf ihren Körper, sie versuchen, den Dauerstress, unter dem sie in Folge ihrer Traumatisierungen stehen, mit Hilfe der Drogen auszuhalten.

Manche Süchtige erinnern nicht zufällig an kleinkindhaftes Verhalten in der Forderung, Bedürfnisse von außen und ohne Aufschub befriedigt zu bekommen. Die Motive des Suchtverhaltens haben ihre Wurzeln in vielen Fällen in einem Symbiosetrauma, weil die ursprünglichen symbiotischen Bedürfnisse nach Wärme, Geborgenheit und Umsorgtsein niemals befriedigt wurden. Daher sind Alkohol, Cannabis und Heroin beliebte Drogen bei symbiotisch bedürftigen Menschen. Sie können sie kurzfristig wärmen und in Watte packen.

Welchen Nutzen hat die Sucht noch für ein traumatisiertes Nervensystem und was für negative Auswirkungen sind Ihnen bekannt?

Franz Ruppert: Für ein traumatisierendes Nervensystem kann ein Suchtmittel angstlösend, schmerz- und angstbetäubend sein. Die Gefühle von Einsamkeit und Alleinsein, unter dem die meisten Traumatisierten leiden, werden überlagert. Drogen (von Alkohol bis Zucker) vermitteln, zumindest für kurze Zeit die Illusion, alles wäre gut oder zumindest halb so schlimm. Sie erzeugen eine emotionale Scheinwelt von innerer Harmonie.

Jede Droge oder süchtige Verhaltensweise hat jedoch auch vielfältige und langfristige negative Auswirkungen auf den Körper, das Gehirn, die psychischen Leistungen und die sozialen Beziehungen. Die Überlebensstrategien wollen diese Zusammenhänge nicht anerkennen und bringen die negativen Folgen nicht in einen Zusammenhang mit dem Drogenkonsum oder ihren süchtigen Verhaltensweisen. Im Gegenteil, die Droge oder das süchtige Verhalten wird als das Heilmittel für die unerträglichen emotionalen und körperlichen Zustände benutzt, die jedoch immer mehr von der Droge selbst hervorgerufen werden, je länger der Suchtprozess voranschreitet.

Dadurch entstehen die bekannten Aufschaukelungsprozesse, die zwangsläufig zu einer Dosissteigerung des Konsums und der süchtigen Handlungen führen, die im Endstadium dann nur noch die Entzugserscheinungen überdecken können.

Süchtiges Verhalten ist somit eine Überlebensstrategie, die bis an die Grenzen der seelischen, körperlichen und sozialen Ressourcen eines Menschen geht und zuweilen weit darüber hinaus. Dies belegen die vielen körperlich schwer kranken Alkoholiker und nikotinabhängigen Raucher und die zahlreichen Herointoten.

Können anhand des Ausmaßes einer Sucht Rückschlüsse auf die Schwere der erlebten Traumata gezogen werden?

Franz Ruppert: Je schwerwiegender die ursprünglichen Traumatisierungen sind, desto „härter“ sind die von einem Süchtigen verwendeten Drogen und desto intensiver ist ihr Konsum. Auch bei den süchtigen Verhaltensweisen ist ein Rückschluss zwischen dem Ausmaß der zwanghaft durchgeführten Handlungen und der Schwere der Traumatisierung möglich.

Man kann das Ausmaß einer der Sucht zugrundeliegenden Traumatisierung auch daran abschätzen, wie schwer oder leicht es jemandem fällt, seinen Drogenkonsum oder sein Suchtverhalten aufzugeben. Wer z.B. aus einer schlechten Angewohnheit heraus zum Zigarettenraucher geworden ist, kann relativ schnell auf das Rauchen wieder verzichten. Wer hingegen mit dem Nikotin seine Übererregungszustände kontrolliert, sich betäubt und ablenkt, um seine negativen Gefühle nicht spüren zu müssen, seine innere Leere aufzufüllen versucht oder darüber Gefühle erzeugt, die seine symbiotische Verstrickung in seiner Familie widerspiegeln, steht unter dem Einfluss eines schweren Traumas.

Sucht und Trauma in der klassischen Psychotherapie

In der Psychologie und Psychotherapie werden Sucht und Trauma häufig isoliert voneinander betrachtet und es wird behauptet, dass zunächst die Sucht bewältigt werden muss, bevor man sich seinen Traumata zuwenden kann.

1. Liegt hier Ihrer Meinung nach eine fundamentale Fehleinschätzung vor?

Franz Ruppert: Sucht und Trauma sind miteinander verwoben und können meiner Meinung nach nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Folgesymptome müssen deshalb immer im Zusammenhang gesehen und therapiert werden.

2. Kann die hohe Rückfallquote bei traumatisierten Abhängigen dadurch erklärt werden?

Franz Ruppert: Meiner Meinung nach ja. Solange unverarbeitete Traumata in der Therapie keine Beachtung finden und das Symptom „Sucht“ isoliert behandelt wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem Rückfall kommt. In vielen Fällen torpedieren die süchtigen Überlebensanteile aber auch eine Psychotherapie oder machen sie nur aus Berechnung mit, um z.B. richterliche Auflagen zu erfüllen.

3. Welche Folgen können durch die isolierte Betrachtung von Sucht in der Diagnostik auftreten?

Franz Ruppert: Häufig werden Menschen z.B. durch eine bestimmte Form der psychiatrischen und psychologischen Diagnostik zu Unrecht in eine Täterrolle gebracht und dann durch die Art der Behandlung in einer Opferrolle gehalten. Wird etwa bei einem Mädchen, welches nichts mehr isst, die Diagnose „Magersucht“ gestellt, geschieht folgendes:

    • Man definiert sie als eine kranke Person.
    • Indem man ihr Verhalten der Essensverweigerung von seinen Ursachen isoliert, wird letztendlich alleine dem Mädchen die Schuld darangegeben, dass sie sich „nicht normal“ verhält.
    • Durch diese Diagnostik wird das Mädchen notfalls mit Gewalt gezwungen, wieder „normal“ zu essen.

Wenn wir jedoch wissen, dass die Essensverweigerung eine Reaktion auf die Ablehnung und Lieblosigkeit seitens der Mutter und auf die Gewalt und den sexuellen Missbrauch seitens des Vaters ist, so wird die Absurdität einer solchen Diagnostik offenbar, dieses Mädchen wäre „süchtig“ danach, „mager“ zu sein.

In Wirklichkeit bringt das Mädchen durch seine Essenverweigerung eine Täter-Opfer-Spaltung in sich selbst zum Ausdruck, indem ihr eigener Täteranteil, der abgespalten in ihrem Kopf sitzt, den Opferanteil, den ihr eigener Körper repräsentiert, unterdrückt und auslöschen möchte.

Magersucht und Trauma - Ganzwerdung

Können Sie die Täter-Opfer-Spaltung an einem weiteren Beispiel erklären?

Franz Ruppert: Ja, gerne am Fallbeispiel “Das Zigarettenrauchen stoppen” von meiner Klientin Marlene:

Marlene möchte ihr süchtiges Rauchen beenden. Immer wenn sie das jedoch versucht, gerät sie in ein Panikgefühl. In ihrer IoPT-Aufstellung (siehe unten) zeigte dieser Anteil, den sie für ihr süchtiges Rauchen aufstellte, eine Doppelnatur. Es war ein Mann, der einerseits jemand repräsentierte, der sie als Jugendliche brutal vergewaltigt hatte. Sie hatte dies bis dato vollkommen aus ihrem Bewusstsein verdrängt, da sie während der Vergewaltigung ihren Köper die ganze Zeit bewusst verlassen hatte. Andererseits brachte der Stellvertreter für dieses süchtige Rauchen zum Ausdruck, dass er sterben wollte. Im Rauchen spiegelte sich also die Täter-Opfer-Spaltung von Merlene wieder. Mit dem Rauchen reinszenierte sie ihre orale Vergewaltigung (Zigarette in den Mund stecken und Gifte = Sperma inhalieren und hinunterschlucken) und zugleich dient das Einatmen von Nikotin dazu, ihre Panik zu narkotisieren.

Ist eine Befreiung aus der Sucht möglich?

Bei Alkoholabhängigkeit wird von einer Krankheit ausgegangen, die ein Leben lang besteht. Teilen Sie diese Definition und Ansicht? Wird eine Sucht ein Leben lang bestehen bleiben?

Franz Ruppert: Ich persönlich bin der Meinung, dass wenn man an der Ursache seiner Sucht arbeitet, man auch ganz aus der Suchtdynamik aussteigen kann. Wenn wir davon ausgehen, dass es sich bei Sucht um eine Überlebensstrategie handelt, dann wird diese nicht mehr benötigt, sobald die Ursache Beachtung findet. Wenn die abgespaltenen Traumagefühle gesehen und gefühlt werden, besteht keine Notwendigkeit mehr, sie mithilfe der Sucht zu verdrängen.

Was ist Ihrer Ansicht nach nötig, um sich nachhaltig von Sucht und Abhängigkeit zu befreien? 

Franz Ruppert: Um die Zusammenhänge von Sucht und Trauma zu verstehen und den Willen zu entwickeln, aus Suchtprozessen auszusteigen, braucht es zunächst Persönlichkeitsanteile, die trotz jahrzehntelangen Drogenkonsums noch gesund geblieben sind.

Der erste Schritt besteht dann darin, sich die Sucht einzugestehen und sie nicht länger zu verdrängen oder zu bagatellisieren. Dann müssen aus Eigeninitiative heraus weitere Schritte gegangen werden, um sich von der Sucht zu befreien. Meiner Meinung nach funktioniert das über das Fühlen der Gefühle, die im Zusammenhang mit der eigenen Traumabiografie früher nicht gefühlt werden konnten, heute aber durchaus gefühlt werden können.

Wenn Sucht als bevorzugte Überlebensstrategie in Familien über Generationen hinweg gelebt wird, ist es eine besondere Herausforderung, sich aus diesen Dynamiken zu befreien. Dabei geht es nicht nur um das Suchtverhalten, sondern auch um die vielfältigen Formen der Traumaverdrängung, die durch Arbeits-, Konsum-, Spiel- oder Sexsucht ausgelebt werden.

Wie kann die IoPT Menschen mit Suchtproblematik helfen?

Trauma heilen und von Sucht befreien

Franz Ruppert: Die IoPT ist eine Form der Selbstbegegnung, die es ermöglicht, Zugang zu den eigenen abgespaltenen und unterdrückten Traumagefühlen zu bekommen und destruktive familiäre Verstrickungen sichtbar zu machen. Jeder, der diese Therapieform wählt, bringt ein selbst formuliertes Anliegen mit und geht dadurch in die Selbstverantwortung. Auf dieses Weise können unbewusste und unverarbeitete Traumata und Überlebensmechanismen zutage treten und Schritt für Schritt geheilt werden. Das Suchtverhalten, das bisher dazu diente, die Traumagefühle nicht zu fühlen, kann so langfristig aufgegeben werden. Neulich z.B. hat ein Mann an seiner Pornosucht gearbeitet, die dann völlig in den Hintergrund getreten ist, sobald er sich in der Aufstellung mit seinem gesunden Ich verbunden hatte.

Möchten Sie meinen LeserInnen abschließend noch etwas mit auf den Weg geben?

Franz Ruppert: Wichtig ist, sich seiner Suchtthematik offen zu stellen. Wenn Scham- oder Schuldgefühle mit der Sucht einhergehen, ist es notwendig, diese zu überwinden und z.B. in einer Gruppe die eigene Suchtthematik offen einzugestehen. Außerdem sollte man Geduld mit sich haben. Traumabewältigung braucht Zeit.

 

Vielen Dank Herr Ruppert für dieses aufschlussreiche Interview!

Wer ist Prof. Dr. Franz Ruppert?

Franz Ruppert ist ein Psychotraumatologe, der als Professor für Psychologie an der katholischen Stiftungshochschule und als psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis in München tätig ist. Er hat die Identitätsorientierte Psychotraumatherapie (IoPT) entwickelt und ist Autor zahlreicher Bücher, in denen er sich mit dem Thema Trauma auseinandersetzt.

Bevor er die IoPT entwickelte, arbeitete er viele Jahre mit dem Familienstellen nach Hellinger, bemerkte jedoch im Laufe der Zeit immer größere Unstimmigkeiten. Durch seine intensive Beschäftigung mit der Bindungstheorie von John Bowlby erkannte er in den Aufstellungen kindliche Bindungsmuster, die sich in späteren Beziehungen ständig wiederholten. Er schlussfolgerte daraus, dass ein Großteil aller Probleme durch frühe Traumata hervorgerufen werden. 

Die IoPT, die auf dem Verfahren „Selbstbegegnung mit dem Anliegensatz“ fußt, ist eine wirkungsvolle Methode, um die psychische Spaltung in Folge von frühen Traumatisierungen zu erkennen und durch das Benennen und Fühlen wieder Kontakt zu den eigenen, abgespaltenen Anteilen aufzunehmen.

Negative Glaubenssätze transformieren

Negative Glaubenssätze transformieren in vier Schritten

Wusstest Du, dass unser Fühlen, Denken und Handeln unablässig von negativen Glaubenssätzen beeinflusst wird? Viele dieser Glaubenssätze wirken sich nachteilig auf unser Leben und unsere Beziehungen aus. Deshalb lohnt es sich, auf Forschungsreise nach diesen meist unbewussten Überzeugungen zu gehen, um sie nachhaltig zu transformieren. Ich selbst arbeite seit fast 20 Jahren erfolgreich mit meinen Glaubenssätzen und zeige Dir in diesem Beitrag, wie ich vorgehe, um negative Glaubenssätze gegen neue, positive zu ersetzen.  

Was sind Glaubenssätze?

Glaubenssätze oder auch Glaubensmuster sind tief verwurzelte Überzeugungen, die wir als Reaktion auf unsere Umwelt verinnerlicht haben, um mit den Gegebenheiten in unserem Leben zurechtzukommen. Sie können sowohl positiv (Ich werde geliebt) als auch negativ (Niemand liebt mich) sein.

Wie entstehen Glaubenssätze?

Glaubenssätze entstehen als Schlussfolgerung auf wiederholt gemachte Erfahrungen oder auch durch Aneignung von Wissen und Fähigkeiten. Die meisten unserer Glaubenssätze, vor allem die, die unbewusst unser Leben beeinflussen, haben wir uns nicht selbst ausgesucht. Sie sind das Resultat früher Prägungen in unserer Kindheit.

Ein Kind wird völlig frei von Wissen, Überzeugungen und Glaubenssätzen geboren. Es ist wie ein unbeschriebenes Blatt, dass ungefiltert alles aus seiner Umgebung aufnimmt. Die Eltern und andere Bezugspersonen sind für das sich entwickelnde Kind ein Vorbild. Es ahmt Verhaltensweisen nach, die ihm vorgelebt werden und übernimmt Aussagen als eigene Wahrheit, die es in seinem Umfeld immer wieder zu hören kriegt. Auf diese Weise eignet sich ein heranwachsender Mensch seine ersten Glaubenssätze an, die mit der Zeit zu Glaubensmustern werden.

Welchen Einfluss haben Glaubenssätze auf unser Leben?

Unsere Glaubenssätze funktionieren wie eine Art Bewertungsmechanismus, der in sämtlichen Situationen aktiv ist, sich aber völlig unserer Kontrolle entzieht. Wir nehmen Dinge im Außen wahr und ohne uns dessen bewusst zu sein, findet eine innere Bewertung statt, welche die Grundlage für unser Denken, Fühlen und Handeln darstellt. Glaubensmuster sind also wie eine Brille, durch die wir die Welt sehen und die Dinge bewerten, die sich vor unseren Augen oder in unserem Inneren abspielen.

Angeeignete Glaubenssätze können auch als eine Art Überlebensstrategie oder Schutzfunktion angesehen werden. Wir nehmen eine Überzeugung aus unserem Familiensystem an, um geliebt und geschützt zu werden. Oder wir versuchen uns vor Kritik, Enttäuschung oder Verletzung zu schützen, indem wir zum Beispiel den negativen Glaubenssatz verinnerlichen: „Ich schaffe das sowieso nicht“.

Wie wirken negative Glaubenssätze?

Hast Du nur positive Glaubenssätze über Dich, das Leben und andere Menschen verinnerlicht, besteht vermutlich kein Anlass zur Veränderung, weil Dein Denken, Fühlen und Handeln positiv beeinflusst wird. Es sind die negativen Glaubensmuster, die ein Problem darstellen, weil sie Deine Lebensqualität beeinträchtigen.

Um das zu verstehen, kannst Du negative Glaubenssätze auch mit selbst erfüllenden Prophezeiungen vergleichen. Wenn Du zum Beispiel glaubst, etwas nicht zu schaffen, dann behältst Du damit mit großer Wahrscheinlichkeit auch recht. Denn Du traust Dir selbst nichts zu, fühlst Dich unsicher und wirst bestimmte Dinge gänzlich vermeiden. 

Negative Glaubenssätze schwächen Dich und schränken Dein Potenzial ein, wohingegen positive Glaubenssätze Dich stark machen und Möglichkeiten eröffnen.

Glaubenssätze transformieren

Negative Glaubenssätze unterteilen

Wenn Du unsicher bist, wo Du bei der Arbeit mit Deinen negativen Glaubenssätzen überhaupt anfangen sollst, hilft es Dir, Deine Glaubenssätze in Bereiche zu unterteilen. Ich selbst unterscheide folgende zwei Kategorien:

  • Glaubenssätze über mich selbst (Selbstwert, Fähigkeiten, Aussehen etc.)
  • Glaubenssätze über das Leben, die Welt, andere Menschen oder bestimmte Lebensbereiche außerhalb von mir selbst (z.B.: Liebe, Ehe, Sexualität, Freundschaft, Gesundheit, Geld, Arbeit, Sport, Politik etc.)

Solltest Du Dich noch nie mit Deinen Glaubensmustern auseinandergesetzt haben, empfehle ich Dir mit denen über Dich selbst anzufangen, denn sie haben Einfluss auf alle Deine Lebensbereiche. So wird Deine innere Überzeugung wertlos, dumm oder hässlich zu sein, ziemlich sicher Einfluss auf Deine Beziehungen, Deine Sexualität, Deine Jobsituation und auch Deinen Umgang mit Geld nehmen.

Damit Du eine Vorstellung davon bekommst, wie solche negativen Glaubenssätze aussehen, findest Du nachstehend einige Beispiele aus den beiden Kategorien:

Negative Glaubenssätze über Dich selbst:
  • Ich bin nicht gut genug
  • Ich bin ein/e Versager/in
  • Ich bin ein Schwächling
  • Ich bin nicht normal
  • Ich bin krank
  • Ich bin wertlos
  • Ich bin dumm
  • Ich bin nervig
  • Ich bin hässlich
  • Ich bin eklig
  • Ich bin Zuviel
  • Ich bin Ballast
  • Ich darf nicht da sein
  • Ich bringe allen nur Pech
  • Ich werde von allen gehasst
  • Ich verdiene es nicht glücklich zu sein
  • Ich verdiene es nicht geliebt zu werden
  • Ich werde nur geliebt/gesehen, wenn…
  • Ich kann nicht (gut) vorlesen, singen, tanzen, reparieren….
Negative Glaubenssätze über das Leben, die Welt, andere Menschen oder bestimmte Lebensbereiche:
  • Die Welt ist ein gefährlicher Ort
  • Das Leben ist anstrengend
  • Man kann niemandem vertrauen
  • Andere Menschen wollen mir Böses
  • Alle anderen sind besser als ich
  • Nichts und niemand kann mir helfen
  • Mein Körper ist gegen mich
  • Sport ist Mord
  • Alle reichen Menschen sind Betrüger
  • Für Geld muss man Opfer bringen
  • Alle wollen nur mein Geld
  • Bei Geld hört die Freundschaft auf
  • Liebe verursacht Schmerz
  • Beim Sex geht es nur um den/die andere/n
  • Ich bin ein/e schlechte Ehefrau/Ehemann
  • Ich bin ein/e schlechte/r Mutter/Vater

Negative Glaubenssätze transformieren in vier Schritten

Besonders wenn Du Schwierigkeiten in bestimmten Lebensbereichen wahrnimmst oder Du Dein Selbstwertgefühl steigern willst, lohnt es sich, auf Forschungsreise nach den eigenen negativen Glaubenssätzen zu gehen. Es handelt sich dabei wirklich um eine Art Forschungsreise, weil wir Überzeugungen beleuchten wollen, die bisher in unserem Unterbewusstsein ihr Unwesen getrieben haben.

Glaubenssätze erforschen

Sei Dir im Klaren darüber, dass dieser Prozess mit schmerzlichen Einsichten und Gefühlen einhergehen kann. Dir einzugestehen, dass Du niemandem vertraust und Dich daran zu erinnern, warum Du so einen Glaubenssatz verinnerlicht hast, kann wehtun. Aber nur, wenn Du Dir Deiner negativen Glaubensmuster bewusst bist, kannst Du sie mithilfe der folgenden vier Schritte transformieren: 

Schritt 1: Bestandsaufnahme Deiner negativen Glaubenssätze

Für die Bestandsaufnahme Deiner negativen Glaubenssätze brauchst Du einen Zettel und einen Stift. Dann entscheide Dich zunächst für eine der beiden Kategorien. Möchtest Du Dich Deinen Glaubenssätzen über Dich selbst zuwenden? Oder wählst Du einen bestimmten Lebensbereich, in dem Du Dich weiterentwickeln willst?

Zur Veranschaulichung dieser Anleitung wähle ich den Bereich Geld. Solltest Du Glaubensmuster über Dich selbst oder einen anderen Bereich gewählt haben, dann versuche das Folgende auf Dein gewähltes Thema zu übertragen.
Es geht letztlich darum, zu Deinen frühesten Erinnerungen und Prägungen zu Deinem gewählten Thema vorzudringen. Begib Dich dafür auf eine kleine Reise in Deine Kindheit und gehe innerlich die folgenden Fragen durch, indem Du Dir Notizen machst:

  • Was hast Du in Deiner Kindheit über Geld gelernt? Wurde Geld als schlecht angesehen oder als etwas Gutes, mit dem man Gutes bewirken kann?
  • Wurde Dir beigebracht und erklärt, wie Du sinnvoll und gewinnbringend mit Geld umgehst und welchen Nutzen es Dir bringt?
  • Wie wurde in Deiner Familie über Geld gesprochen? War es ein Streitthema oder wurde es gänzlich gemieden?
  • Wie wurde über wohlhabende Menschen gesprochen? Wurden sie als gleich angesehen, bewundert oder abgewertet?
  • Wie wurde in Deiner Familie mit Geld umgegangen? War immer genug Geld da? Wurde es gern ausgegeben? Wurde es gespart? Wurde gut damit umgegangen (z.B. durch Buchführung)? 
  • Wann hast Du das erste Mal Geld bekommen und erinnerst Du Dich noch, wie das für Dich war? Musstest Du Dir Geld erst verdienen? Hat es sich gut angefühlt, Geld zu haben? Hast Du es schnell ausgegeben oder lieber gespart?
  • Haben Deine Geschwister mehr oder weniger Geld gehabt als Du? Was hast Du dadurch womöglich verinnerlicht?

Komm im Anschluss zurück ins Hier und Jetzt und versuche mittels Deiner Erinnerungen und Notizen negative Glaubenssätze abzuleiten, die Du Dir zum Thema Geld angeeignet hast. Schreibe so viele Glaubenssätze wie möglich auf Deinen Zettel.  

Wenn Deine Eltern zum Beispiel viel über Geld gestritten haben, könnte einer Deiner Glaubenssätze lauten: „Geld bringt nur Ärger“. Vielleicht musstest Du Dir Geld durch Arbeit im Haushalt erst verdienen. Dann glaubst Du womöglich: „Für Geld muss man hart arbeiten“. Wurde in Deiner Familie schlecht über wohlhabende Menschen gesprochen, trägst Du vielleicht die Überzeugung: „Reiche sind alles Betrüger“ in Dir.

Schritt 2: Formulierung neuer Glaubenssätze (Affirmationen)

Affirmationen aufschreiben

Im zweiten Schritt kannst Du all die Glaubenssätze, die sich begrenzend oder sogar schmerzlich anfühlen, verabschieden, indem Du neue formulierst und aufschreibst. Dabei kannst Du den negativen Glaubenssatz in sein positives Gegenteil umwandeln oder ganz neue Glaubenssätze formulieren, die Dir von jetzt an dienlicher erscheinen.

Nimm Dir Zeit und überlege Dir ganz bewusst, wie Du ab sofort über Geld denken und vor allem, wie Dich mit Geld fühlen willst. Wie würde es sich anfühlen, wenn unendlich viel Geld hättest und das auch genießen könntest? Würdest Du Dich frei, sicher und freudvoll fühlen? Dann schreib das auf: „Ich fühle mich frei, sicher und freundvoll mit Geld an meiner Seite“.

Weitere Beispiele:

Geld bringt nur Ärger                                    –              Geld eröffnet neue Möglichkeiten

Geld ist nicht wichtig                                     –              Geld ist mir von jetzt an wichtig

Scheiß Geld                                                       –              Ich mag Geld (und Geld mag mich)

Über Geld spricht man nicht                       –              Ich beschließe über Geld zu sprechen, weil ich so neues lernen kann

Das kann ich mir nicht leisten                    –              Ich kann mir von jetzt an alles leisten

Bei Geld hört die Freundschaft auf          –              Durch Geld können neue Freundschaften entstehen

Geld muss man sich erst verdienen        –              Geld ist ein natürlicher Bestandteil meines Lebens

Für Geld muss man hart arbeiten             –              Geld fließt mit Leichtigkeit in mein Leben

Ich habe nie genug                                         –              Es ist immer genug für mich da

Reiche Menschen sind unmoralisch        –              Reiche Menschen können gut mit Geld umgehen

Geld stresst mich                                            –              Ich fühle mich wohl mit Geld

Schritt 3: Überprüfung auf Glaubwürdigkeit

Damit die Transformation Deiner Glaubensmuster wirklich zu nachhaltigen Veränderungen in Deinem Leben führt, musst Du Deine Affirmationen im dritten Schritt einer Überprüfung unterziehen.

Wenn die Wirkung von Affirmationen angezweifelt wird, liegt das meiner Auffassung nach daran, dass dieser wichtige Punkt außer acht gelassen wurde. Um das zu vermeiden gilt es zwei Aspekte sicherzustellen. Du musst Dir Deine Affirmationen selbst glauben können und sie müssen sich beim Lesen gut anfühlen.  

a.) Kannst Du Deinen neuen Glaubenssatz glauben?

Um zu überprüfen, ob Du Deine neuen Glaubenssätze wirklich glauben kannst, gehe Deine Liste gewissenhaft durch und stelle Dir bei jedem Satz diese Zauberfrage:

Ist das wirklich wahr?

Nehmen wir an Du bist gerade nicht gut auf Geld zu sprechen und wählst dann die Affirmation „Ich liebe Geld“. Wenn Du Dich jetzt fragst, ob das wirklich wahr ist, wird die Antwort vermutlich Nein lauten. Im Folgeschluss musst Du Dir eingestehen, dass Du vielleicht sogar gerade Groll auf Geld hegst. Wähle stattdessen die Formulierung „Ich bin gewillt, Geld zu lieben“. Oder „Ich will ab jetzt eine liebevolle Beziehung mit Geld führen“. Wenn Du Dich bei so einem Satz fragst, ob das wirklich wahr ist, wirst Du das bejahen können. Du hast also eine gelungene Affirmation formuliert.

Manchmal hilft es auch, einen neuen Blickpunkt einzunehmen. Vielleicht fühlt es sich nicht wie die Wahrheit an, wenn Du sagst „Es ist immer mehr als genug Geld für mich da“. Aber überleg mal, wie viel Geld dort draußen im Umlauf ist. Wieso sollte das nicht auch für Dich da sein?

b.)  Fühlt sich Dein neuer Glaubenssatz gut an?

Das Fühlen spielt bei der Transformation alter Glaubensmuster eine elementare Rolle. Denn unser Gehirn ist darauf programmiert, Schmerz zu vermeiden und Freude herbeizuführen. Dein Denken und Handeln folgt also dem guten Gefühl!

Sollte die Affirmation „Es ist immer genug für mich da“ sich für Dich nicht gut anfühlen, weil Du beim Lesen sofort daran denkst, dass Du gerade Pleite bist, überlege Dir unbedingt eine passendere Formulierung wie z.B.: “Es wird von Tag zu Tag mehr für mich da sein”.

Versuche also darauf zu achten, dass Dich Deine Affirmationen beim Lesen beflügeln und Du Optimismus und Vorfreude empfindest. 

Schritt 4: Üben, üben, üben

Mit den Schritten 1-3 hast Du nun den Grundstein für große Veränderungen in Deinem Leben gelegt. Jetzt heißt es dranbleiben und fleißig mit den neu gewonnenen Affirmationen üben. Denn die alten Überzeugungen, die bisher Einfluss auf Dein Fühlen, Denken und Handeln genommen haben, hast Du ein Leben lang einstudiert. Um sie nachhaltig von Deiner Festplatte zu löschen und zu überschreiben, brauchst Du Geduld und Durchhaltevermögen. Wenn Du jedoch Deine Affirmationen oft genug wiederholst, werden sie irgendwann auch zu Glaubensmustern übergehen. 

Neuronale Rekonditionierung

Es heißt, dass es 21 Tage dauert, bis ein neuer Gedanke ins System übergegangen ist. Da unser Unterbewusstsein abends vorm Einschlafen und direkt morgens nach dem Aufwachen am aufnahmefähigsten ist, solltest Du Dir Deine Sätze so lange besonders dann durchlesen.

Ich persönlich spreche mir meine neuen Affirmationen immer auf und höre sie so oft es geht. Beim Sport machen, Autofahren, Essen kochen, vor allem aber abends beim Einschlafen. Ich nutze auch gerne Affirmationskarten, die ich schön gestalte und in meiner Wohnung verteile. Vielleicht findest Du in meinem Affirmationskalender im Bereich “Für Dich” ja bereits einige für Dich passende Affirmationskarten zum Ausdrucken und Üben? 

Ich wünsche Dir nun viel Freude bei der Aktualisierung Deiner negativen Glaubenssätze. Du wirst sehen, dass diese Arbeit sehr wertvoll ist und Dich in Deiner Persönlichkeitsentwicklung sowie Deiner Ganzwerdung enorm stärkt und voranbringt. Alles, was bisher in unserem Unbewussten schlummert, bietet durch Bewusstwerdung das Potenzial für Ent-wicklung und Wachstum. ♥

Schön, dass Du da bist!

Bindungstrauma - Entstehung, Folgen und Überwindung

Bindungsangst – Entstehung, Folgen und Überwindung

Genau wie ich wünschen sich die meisten Menschen glückliche Beziehungen in ihrem Leben. Bleibt dieser Wunsch unerfüllt, weil sich Konflikte und Probleme ständig wiederholen und wir uns am Ende doch wieder allein vorfinden, kann eine unbewusste Bindungsangst als Folge von Bindungstrauma die Ursache sein. Wie Bindung entsteht, welche Bindungsstile es gibt und woran Du erkennst, ob Du Bindungsangst hast, erkläre ich in diesem Beitrag. Außerdem erläutere ich die vier wichtigsten Voraussetzungen zur Überwindung von Bindungsangst.

Was ist die Ursache von Bindungsangst?

Bindungsangst ist in der Regel die Folge von frühen Bindungstraumatisierungen. Anders als beim Schocktrauma ist der Auslöser beim Bindungstrauma nicht ein einmaliges Ereignis, sondern wiederholte Erfahrungen im Entwicklungsprozess eines Menschen. Zum Beispiel, wenn wir in einem Umfeld aufwachsen, das uns ablehnt, nicht ernst nimmt, nur unter bestimmten Voraussetzungen liebt oder uns mit Gewalt und Missbrauch konfrontiert.

Neuere Erkenntnisse aus Epigenetik, Medizin und Psychologie belegen sogar, dass Bindung nicht erst nach der Geburt entsteht, sondern bereits viel früher. Demzufolge kann sich ein Bindungstrauma bereits vor und während unserer Geburt entwickeln.

Wie entsteht Bindung?

Im Folgenden beschreibe ich die drei Lebensphasen, in denen Bindung entsteht und wir besonders anfällig für Bindungstraumatisierungen sind: vor der Geburt, während der Geburt und nach der Geburt. Diese frühen Lebensphasen prägen unseren späteren Bindungsstil und können die Ursache unserer Bindungsangst sein. Der Kontakt zu unserer Mutter spielt dabei eine zentrale Rolle, denn sie ist unser erster Bezugspunkt, und an sie sind wir durch die Nabelschnur gebunden.

Vor der Geburt

Vor der Geburt ist unser Überleben von unserer Mutter abhängig, denn wir sind vollkommen eins mit ihr. Entgegen früherer Annahmen fühlten wir bereits alles, was unsere Mutter fühlte. Wenn sie enormen Stress ausgesetzt war, Gewalt erfuhr oder uns ablehnte, dann haben wir das als lebensbedrohlich wahrgenommen. Ein gescheiterter Abtreibungsversuch ist deshalb auch eine der schlimmsten Traumatisierungen eines Menschen überhaupt.

Unsere Bindung wurde auch durch das beeinflusst, was unsere Mutter zu sich nahm. Konsumierte sie während der Schwangerschaft Drogen, Alkohol oder Zigaretten, vergiftete sie uns damit und wir fühlten uns in unserer Existenz bedroht. Bindung haben wir demnach von Beginn an als toxisch und unsicher erfahren.

Während der Geburt

Auch der Geburtsprozess hatte maßgeblichen Einfluss auf das Bindungsverhalten zwischen uns und unserer Mutter. Während einer Schwangerschaft und beim Einsetzen der Wehen werden verschiedene Hormone ausgeschüttet, die die Bindung zwischen Mutter und Kind sicherstellen sollen. Kommt es zu Komplikationen wie einer zu frühen Geburt, dem Einsatz starker Medikamente oder einem Kaiserschnitt, wird diese Hormonproduktion unterbrochen.

Wurde unser Eintritt in diese Welt durch den Einsatz von Saugglocke oder eine um den Hals liegende Nabelschnur als bedrohlich oder sogar schmerzhaft erlebt, kommt das einem Schocktrauma gleich. Um dieses unmittelbar zu verarbeiten, sind wir auf die physische und emotionale Zuwendung und Nähe unserer Mutter angewiesen.
Da viele Frauen die Geburt selbst als traumatisch erleben oder währenddessen an ihr eigenes, unverarbeitetes Geburtstrauma erinnert werden, besteht die Gefahr, dass sie für den Säugling nicht verfügbar sind. Wenn sie zum Selbstschutz
emotional distanziert oder gar dissoziiert reagieren, wird sich das neugeborene Kind von ihnen verlassen fühlen und keine sichere Bindung erfahren.

Nach der Geburt

Bindungstrauma vermeiden durch Mutter-Kind-Bindung

Nachdem wir das Licht der Welt erblickt haben, wollen wir nichts als geliebt und versorgt werden. Wir sind voller Unschuld und möchten uns genährt, sicher und willkommen geheißen fühlen. Um mit unserer Mutter oder einer anderen Bindungsperson in Verbindung zu treten, konnten wir zu diesem Zeitpunkt nur weinen und schreien. Auf diese Weise haben wir deutlich gemacht, dass ein oder mehrere der folgenden Bedürfnisse befriedigt werden wollen:

    • Bedürfnis nach Nahrung
    • Bedürfnis nach Wärme
    • Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz
    • Bedürfnis nach emotionaler und körperlicher Verbundenheit (Zugehörigkeit und Liebe)

Wurden diese Bedürfnisse nicht erfüllt, war das für unsere Existenz lebensbedrohlich. Unser autonomes Nervensystem war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage zur Selbstregulation. Wir waren auf unsere Mutter oder eine andere Bezugsperson angewiesen, die uns versorgte und durch Nähe, Berührungen und Blickkontakt beruhigte oder tröstete.  

Ab einem gewissen Entwicklungsstadium entwickelten wir noch ein weiteres wichtiges Bedürfnis und zwar nach Autonomie. Wir wollten unsere Umgebung erkunden und unsere zunehmenden Fähigkeiten ausprobieren. Auch wenn dieses Bedürfnis ignoriert oder durch Überbehüten übergangen wurde, hat das unsere Entwicklung und unser Bindungsverhalten negativ beeinflusst. 

„Die Zustände des menschlichen Kleinkinds im Mutterleib und in den ersten Lebensphasen sind tatsächlich genau die Vorbedingungen für ein Trauma: Das Kind ist hilflos und kann sich schnell überwältig fühlen. Sein Leben hängt von einem anderen Menschen ab und es kann absolut nichts anderes tun als weinen. Niemand kann ihm intellektuell vermitteln, dass es sicher und geschützt ist. Es fühlt alles, was es erlebt, ohne es kognitiv zu verstehen. Das Einzige, was zu Beginn seines Lebens Sinn für es macht, ist die Verbindung zu seiner Mutter, weil es sie kennt. Es kennt ihren Geruch, ihre Berührung, wie sie sich anfühlt, schmeckt und klingt“. (Vivian Broughton, 2016)

Wie Bindung unseren Bindungsstil prägt

Mit zunehmender Entwicklung konnten wir mehr als nur weinen, um die Nähe zu unserer Mutter, zu unserem Vater oder zu anderen Bindungspersonen sicherzustellen. Je nachdem, wie erfolgreich wir mit unserem Bindungsverhalten in Form von z. B.: Suchen, Nachlaufen oder Festklammern waren, haben wir ein Bindungsmuster entwickelt, dass alle weiteren Beziehungen in unserem Leben beeinflusst. Vor, während und nach der Geburt sowie im Kindesalter wird also der Grundstein für den Bindungsstil gelegt, den wir im Erwachsenenleben pflegen.

Welche Bindungsstile gibt es?

In der Bindungstheorie wird von vier Bindungsstilen ausgegangen: sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent und unsicher-desorganisiert. Die Diplom Psychologin und Bestseller Autorin Stefanie Stahl ergänzt diese Bindungsstile um zwei Weitere, die ich aufgrund ihrer Wichtigkeit in die Beschreibung mit aufnehme: gleichgültig-gebunden und Nähe-Überflutung.

Aus diesen sechs Bindungsstilen lassen sich Rückschlüsse über unser Beziehungsverhalten im Erwachsenenalter ziehen, die uns dabei helfen können, neue Beziehungsmuster zu etablieren und unsere Beziehungsangst aufzugeben.

Sicherer Bindungsstil

Ein sicherer Bindungsstil entwickelt sich, wenn die Bedürfnisse eines Kindes jederzeit gehört und gestillt werden. Wenn es seine Bezugsperson als verlässliche Basis wahrnehmen kann, von der es sich einerseits entfernen, zu der es bei Gefahr oder Bedrohung aber jederzeit zurückkehren kann, um Hilfe oder Trost zu bekommen. Das Kind hat von Anfang an Zuwendung, Wärme, Verlässlichkeit, Schutz und emotionale Stabilität erfahren. Dadurch konnte es seine Umwelt selbstständig erkunden und Lernerfolge erzielen.

Im Erwachsenenalter verfügen Menschen mit diesem Bindungsstil über ein Grundvertrauen in sich, andere Menschen und die Welt. Sie sind kontaktfreudig, kennen ihre Fähigkeiten und verfügen über Lernbereitschaft. Aufgrund ihres gesunden Selbstwertgefühls sind sie in der Lage, ihre Gefühle und Bedürfnisse adäquat auszudrücken und mit Konflikt- oder Stresssituationen konstruktiv umzugehen.

Unsichere Bindungsstile

Unsichere Bindungsstile sind das Resultat mangelnder Fürsorge oder emotionaler Präsenz durch die Bindungspersonen. Kinder machen hier die Erfahrung, dass die Bezugspersonen unzuverlässig sind und nicht auf ihre Bedürfnisse eingehen.

Unsicher-vermeidender Bindungsstil

Menschen mit einem unsicher-vermeidenden Bindungsstil haben früh gelernt, dass sie für sich allein sorgen müssen, weil kein verlässlicher Kontakt zur Bindungsperson vorhanden war. Die eigenen Gefühle und Bedürfnisse wurden als unwichtig verinnerlicht, was zu einem geringen Selbstwertgefühl und der Annahme führt, nicht wichtig zu sein.

Bindungstrauma - Kind allein

Im Erwachsenenalter haben Menschen mit dieser Prägung sichtliche Bindungsangst. Sie sind überzeugt davon, nicht liebenswert zu sein und früher oder später verlassen zu werden, wenn sie ganz sie selbst sind. Je glücklicher und näher eine Beziehung wird, desto lauter wird ihre Angst vor Verlust oder Ablehnung. Aus diesem Grund fällt es ihnen schwer zu vertrauen, sodass Eifersucht ein häufiges Thema bei diesem Bindungsstil ist.

Unsicher-ambivalente Bindungsstil

Dieser Bindungsstil ist die Folge von unberechenbaren Verhaltensweisen der Bindungspersonen. Mal reagierten die sie liebevoll und im nächsten Moment womöglich aggressiv oder emotional distanziert. Für das Kind gab es keinen verlässlichen Kontakt und keinen sicheren Halt. Auch die Nähe- und Autonomiebedürfnisse des Kindes wurden nicht ausreichend befriedigt. In bindungsrelevanten Situationen hat es zu wenig Sicherheit und Nähe erfahren und beim Versuch, sich selbst auszudrücken, wurde es zurückgehalten.

Menschen mit diesem Bindungsstil suchen sich unbewusst Partner/innen, die sie genauso schlecht behandeln wie einst ihre Bindungspersonen. Sie haben verinnerlicht, dass ihre eigenen Bedürfnisse nicht von Bedeutung sind und sie nur geliebt werden, wenn sie die Erwartungen ihres Gegenübers erfüllen. Sie sind abhängig von der Zustimmung und Anerkennung anderer, weshalb sie sich unterordnen und zu anklammernden Beziehungsverhalten neigen. Am meisten Angst macht Ihnen die Vorstellung, allein und unabhängig zu sein, deshalb haben sie Schwierigkeiten, sich aus destruktiven Beziehungen zu lösen.

Unsicher-desorganisierter Bindungsstil

Der unsicher-desorganisierte Stil ist von Widersprüchlichkeiten im Verhalten von Kindern gekennzeichnet. Sie zeigen Stimmungsschwankungen, Aggression oder gar keine Gefühlsäußerungen, was auf eine generelle Überforderung mit dem Bindungsumfeld und den eigenen Gefühlen zurückzuführen ist. Dieser Bindungsstil ist häufig eine Folge von sehr frühen traumatischen Erlebnissen wie Gewalt oder Missbrauch durch eine Bindungsperson. Diese wird dann nicht als Quelle von Sicherheit, sondern als Auslöser von Angst und Stress wahrgenommen.

Unsicher-desorganisiert geprägte Menschen sind häufig psychisch labil und leiden an starken Traumafolgen. Sie haben oft Schwierigkeiten, soziale Kontakte zu knüpfen und sich überhaupt auf Nähe einzulassen. Beziehungspartner/innen werden genau wie einst die Bezugsperson als potenzielle Gefahr wahrgenommen, sodass ein harmonisches Zusammenleben ohne therapeutische Auseinandersetzung meist gar möglich ist.

Gleichgültig-gebundener Bindungsstil

Stefanie Stahl schreibt Menschen mit diesem Bindungsstil eine Gefühlsarmut zu, die auf eine traumatisierende Kindheit zurückzuführen ist. Als Kind hatten sie gefühllose und distanzierte Eltern, sodass sie ihre eigenen Gefühle auch abgespalten haben.

Im Erwachsenenalter können sie problemlos Bindungen eingehen, fühlen aber nicht besonders viel. Sie empfinden deshalb wenig Leidensdruck und haben keine Motivation, etwas an sich oder ihren Beziehungen zu verändern. Nach außen wirken Menschen mit diesem Bindungsstil häufig stark, lebendig und humorvoll. Sie beschäftigen sich oft ununterbrochen und können im Alltag gut funktionieren. Ihrer inneren Leere und Einsamkeit sind sie sich in der Regel selbst nicht bewusst.

Nähe-Überflutung-Bindungsstil

Menschen, die diesen Bindungsstil entwickeln, wurden in ihrer Kindheit regelrecht von der Bindungsperson vereinnahmt. Sie wurden mit positiver oder negativer Aufmerksamkeit oder mit Liebe, die an Bedingungen geknüpft war, überschüttet. Die kindlichen Bedürfnisse nach Autonomie und Selbstausdruck wurde von den Bindungspersonen ignoriert und unterdrückt, sodass sie wenig Eigenständigkeit und mangelndes Vertrauen in die eignen Fähigkeiten entwickeln konnten.  

Menschen mit diesem Bindungsstil leiden oft unter Schuldgefühlen gegenüber der Bindungsperson oder späteren Stellvertretern (Beziehungspartnern). Auch sie fühlen sich verpflichtet, die Bedürfnisse anderer zu erfüllen und glauben kein Recht auf eigene Bedürfnisse zu haben. Statt zu klammern, flüchten sie jedoch eher, weil sie sich nur so abgrenzen können. Eine Liebesbeziehung assoziieren sie mit Verpflichtung und Selbstaufgabe. Sie fühlen sich schnell eingeengt und haben Angst vor erneuter Nähe-Überflutung.

Wenn Du Dich intensiver mit der Entstehung und den Auswirkungen von Bindungsstilen auseinandersetzen möchtest, empfehle ich Dir das Buch *Vom Jein zum Ja! Bindungsängste überwinden und endlich bereit sein für eine tragfähige Partnerschaft von Stefanie Stahl (2020).

„Mit ihrem Buch “Jein!” entwickelte Stefanie Stahl ein Standardwerk zum Thema Bindungsangst. In “Von Jein zum Ja!” entwickelt die Bestsellerautorin diesen Ansatz weiter. Sie beleuchtet die typischen Bindungsstile, die Beziehungen immer wieder aufs Neue scheitern lassen….”

 

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Bindungsangst als Folge eines unsicheren Bindungsstils

Bindungsangst ist das, was alle Menschen mit einem unsicheren Bindungsstil gemeinsam haben. Da sie bereits so früh im Leben ihren Ursprung hat und Bindung nie anders kennengelernt wurde, ist diese Angst jedoch meist unbewusst. Mithilfe ausgeklügelter Strategien haben wir gelernt mit dieser Angst zu leben. Es kommt deshalb vor, dass Bindungsängstliche ihre Angst vor Nähe vehement abstreiten oder leugnen. Dabei ist Bindungsangst nichts, wofür wir uns schämen müssen. Sie ist im Prinzip ein Mechanismus zum Schutz vor Ablehnung, Verlust oder Vereinnahmung, den wir in unserer Kindheit tatsächlich nötig hatten.

Wenn Du Deine bisherigen Beziehungen als unbefriedigend erfährst, kann es sich lohnen, Dich der Möglichkeit zu öffnen, dass Du und/oder Dein/e Partner/in womöglich auch unbewusste Bindungsängste habt. Doch woran lässt sich Bindungsangst erkennen? 

Bindungsangst erkennen

Bindungsangst in ausgeprägter Form führt so weit, dass sich Menschen überhaupt nicht auf Bindungen einlassen. Sie fliehen vor Nähe, bevor sie entstehen kann. Entweder indem sie sich in unerreichbare Menschen verlieben oder das Verlieben ganz vermeiden und sich, wenn überhaupt nur auf oberflächliche Affären einlassen.

Da jedoch auch bindungsängstliche Menschen ein angeborenes Bedürfnis nach Nähe haben, lassen auch sie sich auf Beziehungen und Ehen ein. Ja, richtig gelesen. Auch bindungsängstliche Menschen heiraten. Es gibt zahlreiche Strategien, um in einer Beziehung zu sein, aber wirkliche Nähe zu vermeiden. Die gängigsten Strategien sind dieselben, die wir als Trauma-Überlebensmechanismen kennen: Flucht, Kampf und Totstellen.

Flucht
Der Fluchtmechanismus äußert sich bei Bindungsängstlichen häufig durch vieles Arbeiten oder eine Aufopferung in Hobbys. Auch durch Affären oder Dreiecksbeziehungen kann echte Nähe in einer Partnerschaft vermieden werden. Dazu braucht es nicht mal zwingend eine reale dritte Person, sondern nur die Gedanken oder Fantasien an andere Menschen. Fernbeziehungen gehören ebenfalls zu den gängigen Strategien von Bindungsängstlichen, um sich vor zu viel Nähe oder den eigenen Ängsten zu schützen. Weiter kann sexuelle Lustlosigkeit, Unverbindlichkeit oder eine unpersönliche und sachliche Kommunikation auch auf Bindungsängste hindeuten.

Kampf
Verlust- oder Nähe Ängste treten oft besonders dann auf, wenn eine Beziehung sehr eng wird. Dies löst Stress in Menschen mit Bindungstrauma aus, der sich in Wut und Aggression äußern kann. Vielleicht hast Du selbst schon harmonische oder romantische Situationen erlebt, in denen Du Deinem Partner/Deiner Partnerin sehr nahe warst und wie aus dem Nichts hat ein Streit die ganze Idylle zerstört.

Die tief sitzende Wut ist eine unbewusste Abwehrstrategie Bindungsängstlicher gegen etwaige Besitz- oder Näheansprüche. Häufig ist das die Notlösung für die mangelnde Fähigkeit, Grenzen zu setzen. Weil sie insgeheim glauben, kein Recht auf eigene Bedürfnisse zu haben, bleiben nur Kampf und Angriff, um die eigenen Grenzen zu schützen.

Bindungsangst - Angriff oder Kampf

Totstellen
Der Totstellreflex ist eine weitere Strategie, sich vor Nähe-Überflutung oder Verlustangst zu schützen. Dieser Überlebensmechanismus kann dazu führen, dass sich die Gefühle des Bindungsängstlichen aus heiterem Himmel verabschieden und er oder sie nicht mehr richtig anwesend erscheint.  

Anders als bei sicher gebundenen Menschen haben Menschen mit Bindungstrauma keinen kontinuierlichen Zugang zu ihren Liebesgefühlen. Es ist, als müssten sie sich ab und zu Verschnaufpausen verschaffen. Diese Pausen können eine Beziehung natürlich sehr belasten, denn für den Partner/die Partnerin ist schwer verständlich, warum der oder die andere plötzlich nicht mehr anwesend ist. 

Ein Hauptmerkmal an dem Du eine Beziehung mit mindestens einem Bindungsängstlichen erkennst, ist ein Wechselbad der Gefühle. Solch eine Beziehung beginnt oft sehr romantisch oder leidenschaftlich, denn zu Beginn fühlen sich Bindungsängstliche noch frei und es gibt keinen Grund für Flucht, Kampf oder Totstellen. Stattdessen kompensieren sie ihr Selbstwertdefizit mit der Eroberung und den Komplimenten in der Verliebtheitsphase. Sobald die Beziehung jedoch fester wird, kommen die zuvor beschriebenen Mechanismen zum Tragen. Dadurch entsteht eine typische Dynamik, in der die eine Seite ausweicht und die andere Seite klammert. Gopal Norbert Klein beschreibt diese beiden Ausprägungen in seinem Buch *„Der Vagus Schlüssel zur Traumaheilung“ als Autonomie- versus Verschmelzungstypen.

Und tatsächlich läuft es meist so ab, dass je mehr sich der Bindungsängstliche zurückzieht, desto mehr klammert der oder die andere. Weil sich aber auch der Bindungsängstliche insgeheim nach einer glücklichen Beziehung sehnt, fühlt er sich phasenweise doch wieder verliebt, woraufhin sich der oder die andere Hoffnung macht. Dieses Hin- und Her zwischen Gehen oder Bleiben kann sich über Jahre hinziehen und großen Leidensdruck verursachen.

Überwindung von Bindungsangst

Durch meine intensive Beschäftigung mit dem Thema Entwicklungstrauma sowie durch intensive Gespräche mit glücklichen Paaren habe ich vier Grundvoraussetzungen für die Überwindung von Bindungsangst zusammengefasst. 

1. Die Bereitschaft, Dich mit Deiner Bindungsangst auseinanderzusetzen

Um Ängste in Deinem Leben aufzulösen, musst Du Dir zunächst bewusst darüber sein, dass Du sie hast. Erst wenn Du Dir selbst eingestehst, dass Du Bindungsangst hast, kannst Du Veränderungen einleiten. Du musst also akzeptieren, dass Du als Folge Entwicklungstrauma in Deiner Kindheit, im Hier und Jetzt unter Bindungsängsten leidest. Das setzt auch die Bereitschaft voraus, Dich den schmerzlichen Gefühlen Deiner Kindheit zu öffnen und irgendwann Deine Schutzmechanismen (Flucht, Kampf, Totstellen) aufzugeben. Die Arbeit mit dem Inneren Kind und tief verinnerlichten Glaubenssätzen kann dabei ein erster Schritt sein.

2. Ein klares Ja für Deine Beziehung 

Wenn Du Dich in einer Beziehung befindest und Deinen unsicheren Bindungsstil aufgeben willst, braucht es ein klares Ja zu der betreffenden Beziehung, sofern es keine destruktive Beziehung ist, mit der Du Dein Bindungstrauma reinszenierst. Das bedeutet, dass Du Dich wirklich auf den anderen Menschen einlässt und entgegen Deiner bisherigen Strategien dableibst, auch wenn es schwierig oder unangenehm wird. Andersherum muss Dein Partner oder Deine Partnerin dasselbe wollen. Du wirst Dir die Zähne ausbeißen, wenn Du versuchst, einen Bindungsängstlichen zu heilen, der nicht bereit ist hinzusehen.

Solltest Du aktuell in keiner Beziehung sein, nutze die Zeit, um Dich mit Deinen bisherigen Beziehungsmustern auseinanderzusetzen. Durch Bücher oder professionelle Hilfe kannst Du herausfinden, ob Du selbst unter Bindungsangst leidest und/oder warum Du immer wieder an bindungsängstliche Partner/innen gerätst. Werde Dir klar darüber, wie Deine Traumbeziehung aussehen soll, damit Du Dich beim nächsten Mal von Anfang an nur auf jemanden einlässt, der präsent ist und sich wirklich auf eine Bindung einlassen will.

Wenn ihr in eurer Partnerschaft ein klares Ja für euch habt, dann kann die Heilreise losgehen. Bitte vergesst aber nicht, dass eine erfüllte Partnerschaft auch mit Arbeit verbunden ist. Am besten betrachtet ihr eure Beziehung als Sprungbrett für eure Heilung. Die Geschenke von Nähe, Vertrauen und Wertschätzung innerhalb eurer Beziehung werden jeden Aufwand Wert sein!

Bindungsangst überwinden

3. Offene und ehrliche Kommunikation

Eine offene und ehrliche Kommunikation ist das Fundament einer jeden guten Beziehung. Tatsächlich scheitern die meisten Beziehungen genau daran. Weil wir früh gelernt haben, dass unsere Bedürfnisse nicht erfüllt werden, glauben wir, dass wir sie nicht haben dürfen. Wir haben uns verleugnet und angepasst, um geliebt zu werden. Diese Muster musst Du jetzt durchbrechen! Du darfst jetzt lernen, dass Du gut bist, genauso wie Du bist und das Du Dich für nichts zu schämen brauchst. Du hast ein Recht auf Deine Gefühle und Bedürfnisse und darauf, diese angemessen auszudrücken. Ansätze wie die gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg oder das ehrliche Mitteilen nach Gopal können hier eine wertvolle Stütze sein.

Nur wenn Du in der Lage bist mitzuteilen, was Du fühlst und was Du brauchst, kann Dein Gegenüber darauf reagieren. Schluck es nicht runter, wenn Dich etwas belastet, sondern bitte um ein Gespräch. Durch authentische, offene und ehrliche Kommunikation können innerhalb der Beziehung gemeinsam Lösungen gefunden werden. Im Alltag stellt das Miteinanderreden oft eine Herausforderung dar. Deshalb empfehle ich einen festen wöchentlichen Termin, bei dem ihr euch mitteilt, was euch auf dem Herzen liegt.

Offene Kommunikation für gute Bindung

4. Persönliche und gemeinsame Weiterentwicklung

Wir sind auf dieser Welt, um zu wachsen und uns weiterzuentwickeln. Wenn das mit der Erreichung eines bestimmten Alters aufhört, entspricht das in meinen Augen nicht unserer Natur. Auch Beziehungen gedeihen und festigen sich durch Weiterentwicklung, sowohl durch die Persönliche als auch durch die Gemeinsame.

Als Paar könnt ihr zum Beispiel Seminare besuchen, die eure Achtsamkeit schulen, eure Verbindung stärken oder euch bei bestimmten Themen (Kommunikation, Sexualität etc.) weiterhelfen. Um destruktive Muster aufzulösen, könnt ihr auch Coachings in Anspruch nehmen oder eine Paartherapie aufsuchen. Hilfe anzunehmen, ist meiner Meinung nach einer der größten Erfolgsfaktoren für eine glückliche Partnerschaft, vor allem, wenn Traumata und Bindungsängste das Leben geprägt haben.

Unabhängig von eurer Beziehung hat natürlich jeder von euch eigene Themen oder Interessen, denen ihr Aufmerksamkeit schenken dürft. Unterstützt euch in euren individuellen Prozessen und Erfahrungen, denn diese kommen eurem langfristigen Liebesglück nur zugute. Außerdem habt ihr euch so auch immer wieder etwas zu erzählen.

Zu guter Letzt darf natürlich auch die Leichtigkeit in eurer Partnerschaft nicht fehlen! Gemeinsame Reisen und Freizeitaktivitäten machen nicht nur Spaß, sie stärken auch eure Verbindung und fördern eure Weiterentwicklung.

Na, wie geht es Dir nach dem Lesen dieses Beitrags? Hast Du Dich oder Deinen Partner/Deine Partnerin vielleicht darin wiedergefunden? 

Für mich war es ein großer Mehrwert zu erkennen, dass ich durch Vor- und nachgeburtliche Traumatisierungen unter Bindungsangst leide und mich unbewusst auch immer wieder auf bindungsängstliche Partner eingelassen habe. Nur durch diese Erkenntnisse kann ich daran arbeiten, um meine Beziehungsqualität in Zukunft zu verbessern.

Ich freue mich, falls ich Dein Interesse für dieses Thema wecken konnte. Du bist herzlich eingeladen, einen Kommentar mit Deinen Eindrücken zu hinterlassen und den Beitrag mit anderen Menschen zu teilen. 

Danke und schön, dass Du da bist!

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Quellenverweise: 

Broughton, Vivian (2016): Zurück in mein Ich: Das kleine Handbuch zur Traumaheilung mit einem Nachwort von Franz Ruppert, 4. Edition, München

Klein, Gopal Norbert (2022): Der Vagus Schlüssel zur Traumaheilung: Wie “Ehrliches Mitteilen” unser Nervensystem reguliert, 4. Edition, München

Ruppert, Franz (2017): Symbiose und Autonomie: Symbiosetrauma und Liebe jenseits von Verstrickungen, 5. Auflage, Stuttgart

Schmitt, Tobias: Kindes- und Jugendalter: Soziale Entwicklung, abgerufen am 03.11.2022 von: http://entwicklung-psychologie.de/bindungsqualitaet.html

Stahl, Stefanie (2020): Vom Jein zum Ja: Bindungsängste überwinden und endlich bereit sein für eine tragfähige Partnerschaft, 1. Auflage, München

Stegmaier, Susanne: Grundlagen der Bindungstheorie, abgerufen am 01.11.2022 unter: https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/psychologie/1722/

Unbekannt: Bindungstheorie – Definition, Ansätze & Kritik, abgerufen am 03.11.2022 unter: http://www.bindungstheorie.net/#ainsworth

Lebenstraum

Vom Trauma zum Lebenstraum – Ein Interview, das Hoffnung macht

Corinne E. Sutter Meier bezeichnet sich selbst als Meisterin der Selbstheilung, Traumaheilerin aus Leidenschaft und Inspiratorin. In ihren Coaching-Programmen begleitet sie Frauen raus aus dem Stress, rein ins volle Selbstvertrauen und ein sinnerfülltes Leben. Durch meinen Beitrag über die Logosynthese ist sie auf Ganzwerdung aufmerksam geworden. Weil es ihre Lebensmission ist, eine positive Sichtweise über Trauma in die Welt zu bringen und mit ihrer Geschichte Mut zu machen, habe ich sie dazu befragt, wie sie es geschafft hat, trotz oder durch ihre Traumata ihren Lebenstraum zu verwirklichen.

Ein Lebenstraum - was ist das?

Liebe Corinne, was verstehst Du unter Lebensträumen? Sind das Träume, die uns schon von klein auf begleiten oder entwickeln sie sich erst im Laufe des Lebens?

Corinne: Wenn ich zurückschaue auf Klein-Corinne und ihre Träume, sticht ein Thema hervor: Klein-Corinne hat vom Prinz geträumt, der sie küsst, auf Händen trägt, in seine starken Arme schließt, einkuschelt und lustig ist. Stundenlang habe ich mit meinen Freundinnen „Barbie“ gespielt. Egal welche Abenteuer die Barbies erlebten, am Schluss küssten sie immer ihre Traumprinzen und waren bis ans Ende ihres Lebens glücklich verliebt.
Andere Menschen träumen von schönen Häusern, Leben am Meer, Autos, Geld, Weltraumstationen, Miss-Wahlen, Karrieren oder was es sonst für attraktive Träume geben kann. Ich träumte von der schönsten Liebesbeziehung.

Diese Tagträume, in denen man sich sein Leben ausmalt, bezeichne ich als Lebensträume. Sie führen zum Traumleben und stehen im direkten Zusammenhang mit unserer Lebensmission – nur erkennen wir das selten sofort.

Im Laufe des Lebens können sich Lebensträume verändern und neue können dazu kommen, manchmal sogar aus aktuellen Problemen heraus.  Etwas gefällt dir nicht in deinem Leben? Du willst es anders haben? Das ist eine wertvolle Erkenntnis! Sobald du weißt, was du nicht willst, kannst du erforschen, was du stattdessen willst. Bei mir zum Beispiel war das Problem „Dauerstress im Beruf“. Ich arbeitete eigentlich gern, sowohl als Führungskraft wie auch als Coach. Aber ich fühlte mich ständig unter Druck und hatte diffuse Ängste, nicht gut genug zu sein. Ich träumte also von Flow in meiner Arbeit und ging dafür, bis ich ihn fand.

Der Einfluss von Traumata auf die Lebensträume

Welchen Einfluss haben frühe Traumatisierungen auf unsere Lebensträume?

Corinne: Ein Trauma kann die Verwirklichung von einem Lebenstraum erschweren oder sogar ganz verhindern. Mein Lebenstraum war ja diese erfüllende, nährende Liebesbeziehung. Träumen konnte ich stundenlang davon. Doch in der Realität ließ ich keinen Mann an mich ran. Nur schon der Gedanke an einen Kuss ließ mich innerlich erstarren. Ekelhaft. Igitt! Als ich 19 Jahre alt war, hinterfragte ich mich stark. Bin ich frigide? Bin ich lesbisch? Was ist nur mit mir los? Ich verstand mich nicht. Alle meine Freundinnen hatten schon Liebesbeziehungen gehabt, nur ich nicht.

Auch mein Körper spielte verrückt. Seit meinem sechsten Lebensjahr hatte ich gravierende Knieschmerzen mit unklarer Ursache. Wachstumsstörungen, sagten die Ärzte. Später kamen Gelenksschwellungen und nervale Ausstrahlungen dazu – einfach aus dem Nichts. Ich war dauernd müde und fühlte mich erschöpft. Ebenso verwirrend war meine Entwicklung vom Mädchen zur Frau. Ich bekam keine Menstruation trotz starker Bauch- und Rückenschmerzen. Die Frauenärztin sagte mir, ich hätte verschrumpelte Eierstöcke wie eine 90-jährige Frau und ich werde nie Kinder bekommen können.

Irgendwann mit 21 Jahren zwang ich mich, eine Beziehung zu einem Mann zuzulassen. Ich liebte ihn sehr. Doch das körperliche Zusammensein war der absolute Horror. Irgendwann trennte ich mich deswegen. Ich wusste einfach nicht, was mit mir los war. Im Alter von 24 Jahren lernte ich meinen jetzigen Mann kennen. Um ihn nicht zu verlieren, erfüllte ich meine Pflichten als Liebespartnerin: mechanisch, innerlich tot, ohne Freude. Ich spielte eine Rolle. Irgendwann gewöhnte ich mich daran, auch wenn es sehr belastend war.  Ich funktionierte. Die Jahre verstrichen. Ich wusste nichts von einem Trauma. Ich spürte einfach, dass mich ETWAS innerlich auffraß. Irgendetwas blockierte mich von innen heraus.

Rückblickend weiß ich es waren Traumata, die mich aus dem Unterbewusstsein heraus steuerten und meinen Lebenstraum blockierten.

Wie hast Du damals erkannt, dass Traumatisierungen die Ursache für Deine Probleme waren?

Corinne: Im Alter von 37 Jahren näherte ich mich dem Burnout. Ich buchte einen Coach, um folgende Fragen zu klären: Was stimmt nicht mit mir? Ich bin intelligent. Ich bin gut ausgebildet. Ich bin talentiert. Ich habe Erfolge. Und doch bin ich gestresster als alle meine Berufskollegen? Wie komme ich raus aus dem Stress und rein in den Flow?

Im Rahmen von diesem Coaching mit Dr. Willem Lammers tauchten schockierende Flashbacks auf. Die wahre Ursache für den Stress im Beruf genauso wie für den Stress im Liebesleben zeigte sich:  Mit sechs Jahren wurde ich von zwei Jungs in einem Schrank eingesperrt und genötigt. Mit 14 Jahren missbrauchte mich mein Papa sexuell.
Diese Erfahrungen waren dermaßen belastend für mich als Mädchen, dass ich sie unbewusst komplett abgespalten hatte. Ich hatte kognitiv keinen Zugriff mehr auf diese Vorkommnisse. „Totalamnesie nach komplexen Traumata“ nennt man das in der Psychologie.

Da wurde mir klar, was mit mir los war. Diese traumatischen Erfahrungen trieben aus meinem Unterbewusstsein heraus ihr Unwesen. Die Abspaltungen hatten dazu geführt, dass ich getrennt war von meinem Urvertrauen. Diffuse Ängste plagten mich. Etwas in mir glaubte, das Leben sei gefährlich und ich müsse für die Erfüllung meiner Bedürfnisse kämpfen.  Ich hatte kaum mehr Zugriff auf mein Potential. Meine Lebenskraft schwand. Deshalb war mein Liebes- und Berufsleben so dermaßen belastend für mich.

Eindrücklich, oder? Abspaltung hilft, belastende Erfahrungen auszuhalten und „fürs Erste“ zu überleben. Wenn die Erfahrungen aber nicht geheilt werden, dann können sie zu einer unerträglichen Bürde werden.

Bist Du der Meinung, dass Deine Traumata das Tor zu Deinem Lebenstraum waren?

Corinne: Ja, davon bin ich überzeugt!

Um eine erfüllende, nährende Beziehung auf allen Ebenen wirklich leben zu können, war ich aufgefordert, den Stress im Liebesleben von der tiefsten Wurzel her zu heilen: von den sexuellen Übergriffe her. Das war schmerzhaft. Doch mein Lebenstraum war kraftvoll genug, um mir über alle Hindernisse hinweg zu helfen. Ich heilte und transformierte jede Berührung, die mich innerlich erstarren ließ. Liebevoll geduldig, über Jahre.

Heute leben mein Mann und ich genau diese lebendige, liebevolle, authentische Beziehung, von der ich als Klein-Corinne geträumt hatte. Wir lachen viel, tauschen uns aus, sind Mama und Papa von unserem wunderbaren Sohn Noah. Das Liebesleben ist eine unendliche Entdeckungsreise – die Liebe wird grösser, tiefer, weiter.
Ich weiß nicht, ob ich ohne diese traumatischen Erfahrungen und dieser bewussten Auseinandersetzung mit dem Thema „Liebesleben“ jemals in diese tiefe Erfüllung gefunden hätte. Ich glaube, diese Traumata haben meinen Lebenstraum unterstützt, auch wenn es holprig war.

Lebenstraum leben

Wie Traumatisierungen heilen können

Wie ist es Dir gelungen, deine Traumaerfahrungen weitestgehend zu heilen?

Corinne: Zuerst war externe Hilfe zentral. Dr. Willem Lammers half mir, den Schock zu verarbeiten und mit dieser neuen Wahrheit zurecht zu kommen. Diese sechs Monate im Jahr 2012 zählen zu den schlimmsten meines Lebens. Dank Willem fand ich Kraft, Vertrauen und die nötigen Tools, um meinen Weg zu finden.

Ich lernte das Modell der Logosynthese kennen und das Selbstcoaching damit. Was für ein Geschenk! Von da an ging es in meinem Leben zügig aufwärts: ich konnte Stress im Beruf, im Liebesleben, in der Beziehung zu meinem Vater etc. von der tiefsten Ursache her auflösen. Ich fühlte mich plötzlich selbstermächtigt. Ich war belastenden Situationen nicht mehr ausgeliefert, sondern verstand die Zusammenhänge zu meiner Vergangenheit und konnte Angst in Vertrauen wandeln.

Im Mai 2017 besuchten mein Mann und ich dann das einwöchige „Making Love Retreat“ von Diana & Michael Richardson. In diesem geschützten Rahmen wurden wieder unverarbeitete Aspekte vom Missbrauch aktiviert. Im Wissen um meine Fähigkeit der Selbstheilung konnte ich all den Schmerz zulassen und transformieren. Es war eine extreme Erfahrung, ich dachte, ich sterbe… und gleichzeitig konnte ich die traumatischen Erfahrungen weiter heilen, die „gefangene Energie“ freisetzen. Später an diesem Abend schrieb ich in mein Tagebuch „Es ist vorbei. Es gibt nichts mehr zu verzeihen. Die Liebe fließt. Papa, ich liebe dich!“

Wie wirkte sich die Selbstheilung auf Dein Leben und vor allem auf Deine Lebensträume aus?

Corinne: Mit der Selbstheilung kläre ich jeden Tag mein Körper-Geist-Energiesystem und staune, wie leicht und teilweise magisch meine Lebensträume in Erfüllung gehen.

Das Eindrücklichste für mich ist mein Körper! Meine jahrzehntelangen Symptome und die dauernde Müdigkeit verschwanden. Heute bin 46 Jahre alt und fit wie ein Turnschuh. Ich gehe wieder auf Skitouren, bin regelmäßig auf dem Bike unterwegs und walke dem Thunersee entlang. Ich brauche weniger Schlaf und sprudle meistens vor Energie. Und mein Mann und ich haben einen gesunden Sohn, entgegen der Prognose meiner Frauenärztin.

Lebenstraum Corinne E. Sutter

Auch die Veränderung im Beruf berührt mich zutiefst. Die unlogischen Selbstzweifel sind weg. Existentielle Ängste sind verschwunden. Das Vertrauen fließt: in meine Leistung, meine Kompetenz, in meine Kundinnen, in Erfolg und Geld. Ich verwirkliche meine Mission mit meinem Business und genieße es!

Und natürlich das Liebesleben! Ich fühle mich wie ein Teenager. Mein Mann und ich sind seit 22 Jahren zusammen und genießen uns gegenseitig mehr denn je. Die Schranken in mir sind gefallen. Hingabe. Fühlen. Frei von Scham. Und tritt mal eine Blockade auf – transformieren, gemeinsam lachen oder weinen und weitergehen.

Von einem solchen Leben voller Abenteuer und Leichtigkeit hatte ich geträumt. Schöpferin sein. Dem Leben vertrauen. Meine Berufung leben. Inspiratorin sein. Spaß haben!

Was rätst Du Menschen, die in ihrer persönlichen Entwicklung feststecken?

Corinne:

1. Mutig von der schönsten Version ihres Lebens zu träumen!

Denn Energie folgt immer den eigenen Gedanken und Gefühlen. Träumst du regelmäßig von deiner schönsten Version, gehst du automatisch in diese Richtung. Denkst du häufig über Dinge nach, die nicht gut funktionieren oder über Szenarien, was noch alles Schlechtes passieren könnte, ziehst du mehr davon in dein Leben. Deshalb: Träume mutig, groß und schön!

2. Mit Entschlossenheit jeden Tag den nächsten Schritt hin zu ihrem Lebenstraum zu tun und die kleinsten Erfolge großartig zu feiern!

Manchmal läuft es nicht so, wie du willst. Atme. Finde Frieden mit dem Status Quo. Richte dich aus auf deinen Lebenstraum, stelle die Frage „wie kann ich ihn verwirklichen?“ Tue den nächsten Schritt. Und feiere dich.

3. Sich für EINE Heilmethode zu entscheiden und damit in der Tiefe die Ursache für Stress zu transformieren.

Viele hüpfen von einer Heilmethode zur anderen, immer in der Hoffnung, einen noch besseren, wirksameren oder schnelleren Weg in den Flow zu finden. Doch genau durch dieses Rumhüpfen bleiben sie an der Oberfläche der Heilung. Es gibt unterschiedlichste, geniale Methoden. The Work. The HealingCode. Logosynthese. Schamanische Praktiken und viele mehr. Entscheide dich für eine. Übe. Vertiefe. Verfeinere.

Vom Trauma zum Lebenstraum

Lebenstraum - Corinne E. Sutter Meier

Was ist der Schwerpunkt Deiner Arbeit als Traumaheilerin und Coach?

Corinne: Ich entwickelte in den vergangenen Jahren meine ganz eigene Form der Selbstheilung. Sie integriert wesentliche Aspekte aus der Körperarbeit, dem Modell der Logosynthese und der„Kraft der Anziehung“. Diese einfache Art der Selbstheilung befähigt dich, die innere Handbremse selbständig zu lösen und die eigene Lebensaufgabe entspannt zu verwirklichen.

In meist mehrwöchigen Programmen vermittle ich die Bausteine, damit du selbständig und zuverlässig belastende Erlebnisse heilen und verarbeiten kannst. Denn es ist doch oft so: Viele Menschen wünschen sich den „großen Durchbruch“ in die Leichtigkeit. Wieder und wieder buchen sie eine Fachperson, machen Fortschritte und freuen sich darüber, nur um einige Wochen später frustriert festzustellen, dass sie doch immer noch im Stressstrudel gefangen sind. Das ist zermürbend.

Meiner Erfahrung nach ist eine Fachperson wertvoll und manchmal sogar nötig, um Schritte zu tun, die einem im Alleingang verwehrt bleiben. Die Transformation von Stress in Flow geschieht jedoch am schnellsten und zuverlässigsten, wenn du direkt in deinem Alltag selbständig ansetzen kannst. Dann, wenn eine Blockade auftritt, wenn Ängste und Zweifel nagen, wenn die Symptome überhandnehmen.
Diese „Arbeit“ kann einem niemand abnehmen. Heilung geschieht von innen, nicht von außen. Man muss sich selber auf den Weg machen.

Heilung oder eben Selbstheilung findet mitten im Leben statt. Und genau hier unterstütze ich Frauen. Ich öffne den Raum für Transformation auf der tiefsten Ebene und gebe ihnen das Rüstzeug mit für ihre Heilreise. Meine Geschichte und die damit verbundene Lebenserfahrung begleiten uns dabei und beschleunigen das individuelle Wachstum.

Wie ist ein Coaching bei Dir aufgebaut?

Corinne: Das Basisprogramm für Selbstheilung dauert 10 Wochen und ist exklusiv für Frauen. Das Coaching findet in der Gruppe statt, denn die Gruppe ist ein wesentliches Arbeitsinstrument. Die „Energie“ ist hoch und beschleunigt die Transformation. Es ist ein ideales „Trainingsfeld“, denn individuelle Blockaden aus dem realen Leben zeigen sich schnell und konkret: Angst vor Sichtbarkeit, Angst Fehler zu machen oder etwas Falsches zu sagen, sich ausgeschlossen oder nicht geliebt fühlen, Stress mit Überflutung und Abgrenzung etc. Diese Blockaden lösen sich während diesen Wochen immer mehr auf, ohne viel Zeitaufwand. Mit Hilfe von Lernvideos und regelmäßigen Coachings vermittle ich dabei insbesondere die vier folgenden Schritte: 

1. Wir öffnen mit einfachen und effektiven Körperübungen die inneren „Barrieren“, die du unbewusst aufgebaut hast. Du spürst deine weibliche Urkraft auf eine neue, lebendige Art. Dein Verstand kommt zur Ruhe. Dein Körper wird weicher und empfänglicher – das ist die Basis für Flow in deinem Leben.

2. Du lernst mit einer einfachen Technik aus dem Modell der Logosynthese, aktuelle Belastungen selbständig und sicher zu reduzieren bzw. ganz aufzulösen.

Die Technik jedoch ist nicht das Entscheidende. Ich lege besonderen Fokus auf die Unterscheidung von Stressreaktionen und der URSACHE dafür. Viele Heilmethoden setzen bei den Stressreaktionen an, während die Ursachen unverarbeitet bleiben und weiterhin ihr Unwesen treiben. Das kann anstrengend und frustrierend sein. Sobald du jedoch Stressreaktion und Auslöser differenziert wahrnehmen kannst, ist die Methode, wie du Heilung geschehen lässt, sekundär. Einige Kundinnen haben diesen Ansatz auf ihre vertrauten Methoden angewendet und wunderbare Ergebnisse erreicht.

Im Verlauf des Programms tauchen wir dann gemeinsam ein in die schmerzhafteste Erfahrung, die sich bei dir zeigt. Weshalb? Weil in diesem Trauma am meisten Energie befreit werden kann und weil die Heilung dieses Traumas dir im Moment am meisten Leichtigkeit zurückbringt. Wir lösen deine innere Handbremse und befreien Urvertrauen. Du fühlst immer klarer, dass du alles erreichen kannst, was du dir von Herzen wünschst.

Lebenstraum Erfüllung

3. Wir geben der Stimme deiner Seele bewusst Raum. Wir widmen uns deinen Lebensträumen und du erkennst deine Lebensmission. Du findest Antwort auf die Frage „wozu bin ich hier auf dieser Welt“. Warum ist diese Antwort wichtig für deine Heilung? Diese Klarheit beflügelt dein Wirken, sie gibt dir positive Orientierung. Dein Fokus richtet sich darauf aus und ist nicht länger gefangen in Angst und Drama.

4. Schließlich stärken wir deine Intuition, damit du die Schritte hin zu deinen Lebensträumen auf die leichtmöglichste, schönste und effektivste Art tun kannst. Warum solltest du weiterhin mit dem Verstand durchs Leben kämpfen, wenn es einen einfacheren Weg gibt? Diesen Weg zeige ich dir.  

Hast du Lust, die Selbstheilung zu lernen? Stress aufzulösen und dein Leben aus dem Urvertrauen heraus zu gestalten? Hier findest du weitere Informationen zu mir und meinen Angeboten: www.flowmastercoaching.com

Danke liebe Corinne für dieses authentische und inspirierende Interview. Da unsere Geschichten einige Parallelen aufweisen, habe ich durch Deine Worte Hoffnung, dass auch ich schon bald meine Lebensträume verwirklicht haben werde.  

Corinne: Liebste Janine, vielen, vielen Dank für unseren Austausch! Deine Fragen haben auch in mir einiges sortiert – voll schön!

Logosynthese Sitzung

Logosynthese® zur Unterstützung der Traumaheilung

Der Weg der Ganzwerdung ist ein Weg der Transformation, der viele Veränderungen mit sich bringt. Wir begegnen verschiedenen Gefühlen und stoßen gelegentlich auch auf Schwierigkeiten oder Blockaden. Heute stelle ich Dir eine leichte und effektive Methode vor, die genau dort ansetzt, indem sie Deine Entwicklung unterstützt. Dafür habe ich Karsten Blauel interviewt, der Menschen mithilfe der Logosynthese bei der Bewältigung von Herausforderungen unterstützt.

Wer ist Karsten Blauel? 

Karsten ist zertifizierter Trainer in Logosynthese®, systemischer Coach, Trainer in Stressmanagement und Berufspädagoge. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Auflösen von Blockaden und Konflikten in Beruf, Bildung, persönlicher Entwicklung sowie bei stressbedingten körperlichen Belastungen, wozu auch Trauma-Folgesymptome zählen können.  

In Einzelcoachings, Gruppensitzungen und Supervisionen begleitet Karsten Erwachsene und Jugendliche bei der Auflösung belastender Themen. Zudem ermöglicht er seinen Klienten, die Logosynthese in seinen Selbstcoaching-Kursen für die eigene Anwendung zu erlernen, um eine effektive Möglichkeit der Selbstregulation zu erhalten.

Karsten Blauel

Was ist Logosynthese

Janine: Lieber Karsten, was ist Logosynthese?

Karsten: Die Logosynthese® dient der persönlichen Entwicklung. Sie wird eingesetzt in Coaching, Beratung, Pädagogik und therapeutischer Begleitung – und als Hilfe zur Selbsthilfe.

Entwickelt wurde die Logosynthese von Dr. Willem Lammers, der die Grundannahme vertritt, dass jedes Symptom, also belastende Gedanken, emotionales Ungleichgewicht oder störende Verhaltensweisen einen oder mehrere Auslöser haben. Diese Auslöser sind im Unterbewusstsein gespeichert, etwa als Erinnerungen, Glaubenssätze oder Zukunftsfantasien. Bei der Logosynthese wird dieser Auslöser mit der Macht von Worten neutralisiert, sodass die belastende Reaktion darauf in Zukunft ausbleibt. Dadurch können nachhaltig positive Veränderungen in der Persönlichkeit eines Menschen herbeigeführt werden.

Janine: Was heißt mit der Macht von Worten?

Karsten: Genau das macht die Logosynthese so besonders und einfach. Es wird mit speziellen Lösungssätzen gearbeitet, um den Auslöser für Belastungssymptome oder Stress zu neutralisieren. Diese spezifischen Sätze haben eine ordnende und befreiende Wirkung. Durch das laute Aussprechen fühlt sich der Klient oder die Klientin augenblicklich erleichtert. Belastende Bilder oder Erinnerungen und die damit bisher verbundenen Reaktionen sind entkräftet und das System kommt wieder ins Fließen.

Oftmals braucht es nur eine oder sehr wenige Sitzungen, um Belastungsreaktionen nachhaltig aufzulösen. Immer wieder ernte ich verwunderte Blicke, wenn ich erkläre, dass spezifische Ängste manchmal in nur 30 Minuten Coaching vollständig und nachhaltig aufgelöst werden können.

Worte haben Macht

Für wen ist Logosynthese geeignet?

Janine: Mit welchen Themen wenden sich die Menschen an Dich?

Karsten: Als Berufspädagoge bin ich beinahe täglich mit den Themen Prüfungsangst, Vortragsblockaden, Aufschieberitis sowie fehlendem Selbstwertgefühl aufgrund negativer Erfahrungen mit Lehrpersonal und Lehreinrichtungen konfrontiert.

Außerdem wenden sich Menschen sehr häufig mit Ängsten an mich, unter denen sie im Alltag leiden. Weitere Belastungsthemen, die mir regelmäßig begegnen, sind Probleme in Beziehungen und Sexualität, Folgen von Gewalterfahrungen sowie beruflicher Leistungsdruck, verbunden mit Stressempfinden.

Janine: Was ist Deiner Erfahrung nach die häufigste Ursache von den Ängsten, Blockaden und Konflikten Deiner Klienten?

Karsten: Tatsächlich ist es so, dass bei einem Großteil der Sitzungen, die ich mit der Logosynthese durchgeführt habe, die Auslöser für persönliche Leiden auf frühe Erfahrungen und Prägungen zurückzuführen sind, wozu teilweise auch traumatische Erlebnisse gehören.

Da die Menschen sehr häufig wegen Ängsten zur mir kommen, möchte ich darauf kurz eingehen. Es ist ja so, dass die meisten Menschen nicht bereits mit Ängsten geboren werden. Sie erlernen ängstliches Verhalten z. B. durch ihre Vorbilder. Erlebt zum Beispiel ein kleines Kind, dass die Mutter mit Angst und Schrecken auf eine Spinne reagiert, spürt es die Überwältigung, Überforderung oder sogar die Handlungsunfähigkeit, die von ihr ausgeht. Das Kind speichert die Spinne als gefährlich oder sogar als lebensbedrohlich ab und wird womöglich die Reaktion der Mutter auf die Spinne übernehmen. Es ist auch möglich, dass eigene Reaktionen dazukommen, zum Beispiel starke Emotionen, Schweißausbrüche, Zittern bis hin zu körperlicher Erstarrung. Es kann schon ein Foto von einer Spinne ausreichen, um diese im System gespeicherten Reaktionen auf diese Tiere zu reaktivieren.

Genauso verhält es sich auch bei traumatischen Erfahrungen. Bestimmte Auslöser im Hier und Jetzt lösen dieselben Reaktionen aus, die während des traumatischen Erlebnisses gefühlt und teilweise unterdrückt wurden.
Mit der Logosynthese haben wir die Möglichkeit, diesen Auslöser für unsere Reaktionen auf etwas oder jemanden zu identifizieren und aufzulösen. Dadurch bleibt dann die belastende Reaktion aus. Bei dem Beispiel mit der Spinne wird diese dann nur noch als Solche wahrgenommen und löst nicht mehr die bekannten Stressreaktionen aus. 

Wie kann Logosynthese die Traumaheilung unterstützen?

Janine: Können also Deiner Meinung nach auch Traumafolgesymptome mit der Logosynthese nachhaltig geheilt werden?

Karsten: Meine Arbeit mit der Logosynthese ersetzt natürlich keine Psychotherapie, kann aber definitiv eine wertvolle Unterstützung bei der Traumaheilung sein, wenn sie in ein traumasensibles Coaching eingebettet wird. Auch wenn beispielsweise Psychotherapeuten oder Psychiater in der Anwendung der Logosynthese ausgebildet sind und Erfahrung in der Anwendung bei Traumafolgesymptomen haben, kann dies zu einer spürbar schnelleren Verbesserung der persönlichen Entwicklung und psychischen Gesundheit führen.

Logosynthese in der Therapie

Die Logosynthese verfolgt das Ziel, belastende Erinnerungen durch Bilder, Szenen, Begegnungen und Situationen des Alltags ausfindig zu machen und zu neutralisieren. In den von mir angebotenen traumasensiblen Coachings setze ich sie ein, um der Klientin oder dem Klienten dazu zu verhelfen, den Lebensalltag selbstständig und gut zu bewältigen. Sie sind in der Lage, über ihre belastenden Erlebnisse und Erfahrungen zu sprechen, Gefühle wiederzugeben und Fragen diesbezüglich zu beantworten. Sie können erkennen, in welchen Lebensbereichen die Erfahrungen der Vergangenheit einen störenden Einfluss im Hier und Jetzt haben, ohne eine Retraumatisierung zu erfahren.

Janine: Ist es möglich durch Logosynthese unbewusste oder vergessene Traumatisierung festzustellen?

Karsten: Das ist durchaus möglich. Deshalb lege ich großen Wert darauf, vor einem Coaching mit Logosynthese eine normale psychische Belastbarkeit bei dem Klienten oder der Klientin sicherzustellen. 

Ich hatte mal einen Klienten, der unter starker Flugangst gelitten hat. Während der Logosynthese Sitzung stellte sich heraus, dass die Quelle dieser Angst in seiner Kindheit lag. Als Kind war er im Internat, wo er körperliche und psychische Gewalt erfahren musste.
Die Kontrollen am Flughafen erinnerten ihn unbewusst an diese frühen Erfahrungen und reaktivierten die Gefühle von Ohnmacht und Überwältigung, die ihren Ursprung vor über 15 Jahren hatten.

Eine andere Klientin wandte sich an mit dem Thema „Aufschieberitis bei der Masterarbeit“ an mich. Während der Sitzung kamen dann plötzlich Erinnerungen an einen sexuellen Übergriff in ihrer Vergangenheit an die Oberfläche.

Es kann für heilsame Klarheit sorgen, wenn derartige Bilder zurück in das Bewusstsein kommen. Mit der Logosynthese können diese Bilder sanft und schnell aufgelöst werden und mit ihnen auch die daraus resultierende Belastung (Flugangst, Aufschieberitis).

Buchtipp:

*Stressfrei in Beruf und Lebensalltag – Anwendung der Logosynthese® in der Persönlichkeitsentwicklung.

In unserem 2. Buch haben Mathias Egger und ich sehr viele Fallbeispiel zusammengetragen und gezeigt, wie die Logosynthese wirkungsvoll angewendet werden kann. 

Janine: Wie viele Logosynthese-Coachings sind nötig?

Karsten: Das ist natürlich sehr individuell und hängt von dem bearbeiteten Thema sowie vom Klienten ab. Es gibt Belastungen, die bereits nach einer Sitzung aufgehoben sind, und andere, die mehrere Sitzungen oder eine längerfristige Begleitung erfordern.

Auch wenn die Logosynthese oftmals schnell wirkt, ist es sehr wichtig, dass die Klientinnen und Klienten die Zeit bekommen, die sie benötigen. Manchmal dauert es eine Weile, bis man sich dem Coach oder den eigenen Themen öffnen kann. Auch die Integration der Ergebnisse in das eigene Leben erfordert Zeit, Ruhe und Geduld.

Wenn sich während eines Coachings Traumaerinnerungen auftun, empfehle ich zudem eine therapeutische Begleitung durch einen erfahrenen Psycho- oder Traumatherapeuten.

Ablauf einer Logosynthese-Sitzung

Janine: Wie kann man sich eine typische Sitzung bei Dir vorstellen?

Karsten: Bevor es zum eigentlichen Coaching kommt, schilderst du mir in einem Vorgespräch dein Anliegen beziehungsweise dein Thema. Gemeinsam legen wir dann Ziele und Grenzen der Arbeit fest. Dieses Vorgespräch dauert etwa 20 – 30 Minuten und ermöglicht uns, das passende Vorgehen für dich zu finden.
Im Anschluss vereinbaren wir dann einen Termin in Präsenz oder online. Pro Sitzung bearbeiten wir ein Thema. Im Idealfall beschränkt sich die Dauer der Sitzung auf maximal eine Stunde, da es sich um einen intensiven Veränderungsprozess für dein ganzes System handelt.

Bei dem Termin wird dann geschaut, was sich im Rahmen des übergeordneten Themas zeigt und was du jetzt gerade bearbeiten willst. Du musst dabei nichts weiter tun, als meine Fragen zu beantworten und die bereits beschriebenen Lösungssätze nachsprechen, die ich Dir vorgebe. Zwischen dem Aussprechen der Sätze gibt es kurze Wirkpausen, in denen Du wahrscheinlich bereits eine Veränderung der Belastungsreaktionen spüren wirst.

Nach der „ersten Runde“ stelle ich Dir erneut einige Fragen, um zu schauen, wie sich Deine Situation verändert hat. In einer „nächsten Runde“ arbeiten wir mit diesem aktuellen Stand weiter. Dies tun wir so lange, bis Deine Belastung so deutlich abgenommen hat, dass Du eine Befreiung spüren kannst, oder keine Veränderung mehr spürbar ist.

Blockaden lösen mit Logosynthese

Im Anschluss an das erste Coaching gilt es dem Veränderungsprozess Zeit und Raum zu geben. Du überprüfst im Alltag, wie sich Dein Thema verändert hat. Wenn Du von der Wirkungsweise überzeugt bist und Dir die Arbeitsweise gefallen hat, steht es Dir frei, den im Vorfeld angedachten Prozess mit mir als Begleitperson weiterzugehen.

Janine: Wie kann man Kontakt zu Dir aufnehmen, wenn man eine Sitzung buchen möchte?

Karsten: Interessenten können mich über verschiedene Kanäle kontaktieren. Der beste Weg ist eine Anfrage über das Kontaktformular meiner Homepage:

www.karsten-blauel.de

Wenn Du Dich zunächst über meine Arbeit belesen willst, findest Du auf meiner Homepage, sowie hier von Janine verlinkt zwei Bücher, die ich gemeinsam mit Mathias Egger geschrieben habe:


Affiliate-/Werbelink: Wenn Du Dir das Buch über diesen Link kaufst, unterstützt Du meine Arbeit,
ohne das Dir dadurch ein Nachteil entsteht. Lieben Dank!

Janine: Danke lieber Karsten für dieses spannende und informative Interview.

Karsten: Sehr gerne. Ich danke Dir für die Einladung und die tollen Fragen. Möchtest Du denn Deinen Leser/innen noch von Deinen Erfahrungen mit der Logosynthese berichten?

Meine Erfahrungen mit der Logosynthese

Ich habe von der Logosynthese erfahren, als ich vor einiger Zeit unter akuter Hundeangst gelitten habe. Meine Angst vor Hunden war mir nicht neu, aber sie nahm ein unerträgliches Ausmaß an, als ich in meinem Arbeitsumfeld plötzlich mehreren Hunden ausgesetzt war. Vor allem einer dieser Hunde löste große Angst in mir aus. Ich nehme an, weil er Ähnlichkeit zu einem Kampfhund aufweist, mit denen ich bereits negative Erfahrungen gemacht habe.

Sobald ich diesem Hund auf dem Gang vor meinem Büro begegnete, wurde meine Angst so groß, dass mein Herz anfing zu rasen, ich zitterte und kaum noch Luft bekam. Ich hatte Todesangst! Das ging so weit, dass ich mich nicht mehr aus meinem Büro heraus traute, wenn ich den Hund vor der Tür vermutete.

Weil ich mich intensiv mit meinen Traumatisierungen auseinandersetze, habe ich mich natürlich gefragt, wo diese Hundeangst ihren Ursprung hatte. Gab es da einen Zusammenhang zu meinen Missbrauchserfahrungen?

Als ich von einer guten Freundin von Deiner Arbeit erfahren habe, hatte ich große Hoffnung, Licht ins Dunkel zu bringen und Hilfe für meine Angst zu finden. Meine Hoffnung wurde nicht enttäuscht, denn durch die Sitzung mit Dir hat sich einiges verändert. Meine Angst vor Hunden ist zwar nicht vollständig verschwunden, sie hat aber um ein Vielfaches abgenommen. Inzwischen kann ich relativ entspannt an dem Hund vorbeigehen und mir manchmal sogar vorstellen, ihn zu streicheln.

Außerdem konnte ich eine körperliche Anspannung auf meiner linken Körperseite auflösen, die mich monatelang belastete. Es war, als ob da etwas von mir abgefallen ist. Anspannung und Schwere wurden von einer entspannten Leichtigkeit abgelöst. Was genau da von mir abfiel und wie die Hundeangst mit meinen Traumatisierungen zusammenhing, erfahren meine Leser/innen abschließend im folgenden Fallbericht, den Du für Dein Buch verfasst hast:

Sexueller Missbrauch - Schritte zur Heilung

Sexueller Missbrauch in der Kindheit – Schritte der Heilung

Sexueller Missbrauch in der Kindheit hinterlässt bei Betroffenen tiefe Wunden, die sich anhaltend auf sämtliche Bereiche des Lebens auswirken können. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schmerzhaft und herausfordernd es ist, sich mit den Folgen von Missbrauch auseinanderzusetzen. Doch um zu heilen, führt kein Weg daran vorbei. Du kannst Dir aber gewiss sein, dass es sich lohnt. Es ist um ein Vielfaches schwerer, mit den unverarbeiteten Erfahrungen zu leben. In diesem Beitrag stelle ich Dir vier bedeutsame Schritte vor, die Dir helfen können, den Heilungsprozess aktiv zu gestalten und wieder Kontrolle über Dein Leben zu gewinnen.

Sexueller Missbrauch in der Kindheit führt zu einem schweren Trauma, dass Dein Leben bewusst oder unbewusst in allen Lebensbereichen beeinflusst. Auf meiner Infoseite Traumaheilung habe ich acht Einflussfaktoren zusammengefasst, die für die Traumaheilung maßgeblich sind. Um von den Wunden sexueller Übergriffe zu heilen, sind jedoch teilweise andere oder zusätzliche Schritte notwendig. Im Folgenden habe ich vier Schritte herausgearbeitet, die mir geholfen haben und auch Dir helfen können.

1. Akzeptanz

Wenn Du sexuellen Missbrauch in Deiner Kindheit überlebt hast, kannst Du unheimlich stolz auf Dich sein. Es gibt keinen Grund, dies zu verstecken, vor allem nicht vor Dir selbst. Der erste Schritt zur Heilung besteht darin, Dir selbst zu glauben, dass der Missbrauch wirklich stattgefunden hat und dass er Dich nachhaltig verletzt hat. Du wirst nicht heilen, wenn Du leugnest, dass es so war.
Zu akzeptieren, dass es tatsächlich passiert ist, legt den Grundstein für Deine Heilung. Es ist der wichtigste Schritt und gleichzeitig auch mit der Schwerste. Aber warum fällt dieser Schritt so unsagbar schwer?

Wir können uns nicht bewusst an den Missbrauch erinnern.

Zu vergessen ist eine der häufigsten und wirkungsvollsten Methoden, mit denen Kinder auf sexuellen Missbrauch reagieren. Aber auch wenn Du keine Erinnerungen hast, so gibt es einen Teil in Dir, der um die Wahrheit weiß. Wenn vieles in Deiner Gefühls- und Erlebenswelt darauf hindeutet, dass Du als Kind sexuellen Übergriffen ausgeliefert warst, dann darfst Du jetzt anfangen, Deinen eigenen Wahrnehmungen zu vertrauen.

Sexueller Missbrauch - Fehlende Erinnerungen

Ich selbst konnte mich lange Zeit nicht an den Missbrauch in meiner Kindheit erinnern. Jedoch begleitete mich in meinem Leben eine anhaltende traurige Grundstimmung. Außerdem haben mich mein Verhältnis zu meinem Körper, zu Nähe und Sexualität sowie sich immer wiederholende Muster in zwischenmenschlichen Beziehungen vermuten lassen, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte.

Dass ich selbst betroffen bin, verstand ich erst durch die zunehmende Beschäftigung mit dem Thema Missbrauch. Als es dann beim Sex zu emotionalen und körperlichen Flashbacks kam, konnte ich es nicht länger leugnen. Ich musste akzeptieren, dass es passiert ist: Ich wurde als Kind sexuell missbraucht.

Wir verharmlosen, was uns passiert ist

Einige Überlebende erinnern sich an die sexuelle Gewalt, die sie erfahren haben aber sie bagatellisieren die Erfahrungen. Vielleicht ergeht es auch Dir so. Du vergleichst Dich mit anderen, denen vermeintlich schlimmere Dinge widerfahren sind und wertest dadurch Deine eigene Erfahrungswelt ab. Womöglich gibst Du Dir sogar selbst die Schuld und triffst Äußerungen, die so oder ähnlich lauten könnten:

    • Ich lebe ja schließlich noch.
    • Es tat mir ja nicht wirklich weh.
    • Ich wurde ja nicht vergewaltigt, sondern nur gestreichelt.
    • Ich hätte halt nicht kuscheln oder mich auf den Schoß setzen sollen.
    • Alle Kinder wurden früher ausgeschimpft, wenn sie sich an ihren Genitalien berührt haben.

Es ist wichtig zu begreifen, dass Du als Kind niemals Schuld daran hattest, wenn ein älteres Kind oder ein Erwachsener sexuelle Handlungen vor, an oder mit Dir verübt hat. Du trägst nicht die Verantwortung für diese Taten, sondern einzig und allein die Person, die sie ausgeführt hat.

Vielleicht hat man Dir gesagt, Du sollst Dich nicht so anstellen oder das das doch alles halb so wild ist. Indem Du das Dir Widerfahrene jetzt bagatellisierst, gehst Du womöglich genauso mit Dir selbst um, wie damals mit Dir umgegangen wurde.

Wir leugnen den Missbrauch

Wenn Du den Missbrauch Dein Leben lang verdrängen musstest, ist es normal, dass Du von Zeit zu Zeit an Deiner Erfahrung zweifelst. Der seelische Schmerz, der mit der Akzeptanz verbunden ist, erscheint zu groß. Vor allem dann, wenn der Täter oder die Täterin ein Familienmitglied ist oder Dir sehr nahe steht.

Ein Teil von uns will nicht wahrhaben, dass die Menschen, die wir so lieben, uns so schlimme Dinge angetan haben. Aber wenn wir die Tat leugnen, verlängern wir unseren Leidenszustand. Gelegentlich zu zweifeln, weil die Erinnerungen schmerzhaft sind, ist normal, aber das bedeutet nicht, dass der Missbrauch nicht geschehen ist.

Jemand hält sich selbst

Wir fürchten die Konsequenzen der Akzeptanz

Die Verwirrung als Folge von sexuellen Übergriffen bei Kindern zeigt sich sehr deutlich an der Angst, den Täter oder die Täterin zu Unrecht anzuklagen. Wir schämen uns überhaupt darüber nachzudenken und versuchen die Täter sogar zu schützen. Manchmal auch, weil wir befürchten, dass der Kontakt zu dieser Person dann leidet.

Dabei handelt es sich um gut funktionierende Überlebensmechanismen. Den Täter oder die Täterin zu schützen und die Aufrechterhaltung der Illusion eines harmonischen Miteinanders erscheinen kurzfristig betrachtet leichter, als die schmerzhafte Realität zu akzeptieren, geschweige denn auszusprechen.

2. Das Schweigen berechen

Der zweite wichtige Schritt zur Heilung des Missbrauchs besteht darin, das Schweigen zu brechen. Sexueller Missbrauch an Kindern und die Schamgefühle, die damit einhergehen, gedeihen in einer Atmosphäre des Schweigens. Nur wenn alle Beteiligten wegschauen, kann er ungesehen bleiben.

Du hast es bereits versucht?

Mit großer Wahrscheinlichkeit hast Du als Kind auf irgendeine Weise versucht auszudrücken, was Dir angetan wurde. Vielleicht hast Du sogar jemandem von dem Missbrauch erzählt. Vermutlich wurdest Du jedoch ignoriert oder nicht ernst genommen. Eventuell hat man Dich sogar als Lügner*in beschimpft oder Dir die Schuld gegeben. Oder wurde Dir immer wieder gesagt Du seist schlecht oder verrückt und hat Dich so zum Sündenbock der Familie gemacht?

„In Inzest Familien sind die Beziehungen verzerrt. Das Wichtigste – Grundvertrauen, Kommunikation und Sicherheit – fehlt, stattdessen gibt es Heimlichkeit, Isolation und Angst.“ Bass, Ellen & Davis, Laura (1990)

Wenn es Dir so oder ähnlich ergangen ist, hast Du verinnerlicht, dass das, was Du erfahren hast, zu schlimm ist, um ausgesprochen zu werden. Als Kind hast Du daraus gefolgert, dass Du selbst schlimm bist. Und so hast Du Dir angewöhnt zu schweigen, weil alles andere Deine Situation noch verschlimmert hätte.

Sexueller Missbrauch - Trauriger Junge

Vielleicht glaubst Du noch heute, dass es Dir schadet, wenn Du die Wahrheit aussprichst. Du hast Dich mit den Gefühlen von Scham und Einsamkeit arrangiert und bewusst oder unbewusst entschieden zu schweigen.

Wage einen neuen Versuch!

Selbst wenn Du in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit dem Aussprechen der Wahrheit gemacht hast, es ist nötig, es jetzt erneut zu versuchen. Dein Leben lang trägst Du dieses schwere Geheimnis auf Deinen Schultern und damit auch die Verantwortung für die Täter. Wenn Du zum ersten Mal aussprichst, was passiert ist, ist das unsagbar befreiend. In diesem Moment akzeptierst Du nämlich, dass Du ein Opfer warst und gibst die Verantwortung dahin zurück, wo sie hingehört. Zu den Tätern.

„Einer anderen Person zu erzählen, was geschehen ist, hat eine starke heilende Wirkung, die das demütigende Gefühl, ein Opfer zu sein, auflösen kann.“ Bass, Ellen & Davis, Laura (1990)

Vertraue Dich einem Menschen an, der Dich respektiert und schätzt, bei dem Du Dich sicher fühlst und bei dem Du auch früher bereits über Deine Gefühle sprechen konntest. Das kann auch ein Therapeut oder eine Therapeutin sein.

Wenn Du niemanden hast, dem Du Dich anvertrauen kannst, sind Selbsthilfegruppen eine gute Wahl. Hier triffst Du auf Menschen, die dasselbe durchgemacht haben wie Du. Sie werden Dir glauben und dadurch wirst Du lernen, Dir selbst zu glauben.

Sollte Dir auch das noch zu schwerfallen, dann schreibe es wenigstens für Dich auf. Dieses Eingeständnis ist sehr schmerzhaft und bringt Deine bisherige Realität – die Welt, die Du kreieren musstest, um zu überleben – ins Wanken. Aber aus eigener Erfahrung kann ich Dir sagen, dass es sich lohnt. Das Ende des Überlebens bedeutet, dass Du jetzt anfangen kannst, wirklich zu leben. Du wirst Dich selbst und das Leben mit der Zeit auf neue, bessere und kraftvollere Weise erfahren können.

Indem Du das Schweigen brichst,
wirst zum Vorbild für andere Betroffene
und leistest einen wertvollen Beitrag
zur Beendigung von Missbrauch an Kindern.

3. Distanz zu den Tätern

Wenn Du annimmst, den eigenen Missbrauch aufarbeiten zu können, während Du weiterhin im Kontakt mit den Tätern stehst, handelt es sich vermutlich um eine Vermeidungsstrategie, mit der Du auch Mitgefühl für Dich selbst untergräbst.

Du musst Dir bewusst darüber werden, dass in Dir noch immer dieses kleine Kind ist, das dem Missbrauch schutzlos ausgeliefert war. Es sind die Gefühle des inneren Kindes, die für Deine Heilung gefühlt und integriert werden wollen. Dieser kindliche Anteil in Dir muss sich absolut sicher fühlen, damit er sich Dir zeigt und es liegt an Dir dafür zu sorgen!

Inneres Kind

Erst wenn Du Mitgefühl für Dich selbst und Deine Missbrauchserfahrungen entwickelst, kann sich auch Deine unterdrückte Wut auf die Täter ausdrücken. Das ist ein notwendiger und heilsamer Schritt und es gibt keinen Grund, Dich dafür zu schämen oder schuldig zu fühlen. Du bist heute erwachsen und selbst verantwortlich für Dein Leben. Es ist Deine Pflicht, alles Notwendige zu unternehmen, um zu heilen und den Missbrauch aus Deiner Kindheit aufzuarbeiten.

Kontakt zu den Tätern sollte auf dem Heilungsweg nur dann eine Option sein, wenn diese bereit sind, Dir zu glauben, die Taten offen zuzugeben, Reue auszusprechen und sich in therapeutische Hilfe zu begeben. Aber wie realistisch ist es, dass dieser Fall eintritt, wenn Du die Täter mit Deiner Erfahrung konfrontierst?

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie Dich weiterhin nicht ernst nehmen und die Taten abstreiten oder herunterspielen. Mit Sätzen wie „Lass die Vergangenheit doch endlich mal ruhen“, wollen sie weitere Konfrontationen vermeiden. In einem Umfeld, dass die Wahrheit verleugnet, kannst Du nicht heilen. Also lass Dich davon bitte nicht unterkriegen!

Verbinde Dich mit Menschen, die Dir glauben, Dich ernst nehmen und Dir helfen, Deine Traumatisierungen aufzuarbeiten. Und scheue Dich nicht davor, Dir therapeutische Unterstützung zu suchen.

Vor allem, wen es sich bei den Tätern und Mittätern um Mitglieder der eigenen Familie handelt, ist die Vorstellung eines Kontaktabbruchs mit großen Ängsten und Zweifeln verbunden. Du solltest Dir im Klaren darüber sein, dass in Familien mit Traumahintergrund oft massive Verstrickungen wirken.  Wie Du diese auflösen kannst, erfährst Du in diesem Beitrag: 

4. Finde Dein Wofür

Der Weg der Ganzwerdung nach sexuellem Missbrauch in der Kindheit ist schmerzhaft und lang. Aber es lohnt sich in ihn zu gehen, denn mit jedem neuen Schritt, entwickelst Du mehr Kraft und Zuversicht.

Hinter den Traumagefühlen wartet ein neues Leben auf Dich. Es ist das Leben, das Du von Anfang an verdient hast! Du selbst kannst Dir dieses Leben jetzt schenken!

Um auf dem Weg zu bleiben und bei Herausforderungen nicht aufzugeben, hilft Dir ein Wofür! Finde also einen Grund, der Dich daran erinnert, warum Du das alles machst. Entdecke Deine persönlichen Kraftquellen und schöpfe so oft wie möglich aus ihnen. Versuch an etwas zu glauben, das größer ist als Du. Finde heraus, wofür es sich lohnt zu leben. Und dann fang damit an!

Heilung sexueller Missbrauch

Bei mir war es zunächst eine innere Stimme, die mir immer wieder zugeflüstert hat, dass es einen Sinn für all das geben muss. Ich wusste insgeheim, dass ich nicht umsonst auf dieser Welt bin und ich wollte herausfinden, warum.

Nachdem ich die Schritte eins bis drei umgesetzt hatte, entstand in mir der Wunsch, anderen Menschen zu helfen, denen Ähnliches widerfahren ist. Auf diese Weise habe ich meine Berufung erkannt, nämlich das Schreiben, das ich schon von klein auf liebte. Dieses Wofür ist mein Antreiber. Es motiviert mich, am Ball zu bleiben und schenkt mir Kraft.

Wenn Du keine Idee hast, was Dein Wofür ist, dann begib Dich auf die Suche! Bist Du vielleicht auch schon immer einer Sache sehr gerne nachgegangen? Gibt es etwas in Deinem Leben, dass Dir Kraft und Zuversicht schenkt? Hast Du womöglich Kinder, deren Wohlergehen zu Deinem Wofür werden kann? Für ein Kind gibt es wahrscheinlich kein wertvolleres Geschenk als Eltern, die sich trauen hinzusehen, um zu heilen!

Ein Wofür hast Du mit Sicherheit schon jetzt:
Für Dich selbst ein freies und erfülltes Leben gestalten!

Mit diesen vier Schritten hast auch Du die Möglichkeit, Einfluss auf Deine Heilung nach sexuellem Missbrauch zu nehmen. Bitte gehe ganz behutsam und in Deiner Zeit einen Schritt nach dem anderen. Mach Dir immer wieder bewusst, dass Du das Schlimmste, den Missbrauch selbst, bereits überlebt hast.

Besinne Dich darauf, dass diese schrecklichen Erfahrungen Dich auch stark gemacht haben. Solltest Du Dir Deiner Stärken (noch) nicht bewusst sein, hilft Dir vielleicht die Übung für mehr Selbstwertgefühl auf meiner Für Dich-Seite oder die Übung aus dem Beitrag Missbrauch und Trauma als Chance.

Ich glaube fest an Dich und weiß, dass auch Du Schritt für Schritt von Deinen Wunden heilen kannst. Vergiss bitte nie: 

Es ist schön, dass Du da bist!

Quellenverweise: 

Bass, Ellen & Davis, Laura (1990): Trotz allem. Wege zur Selbstheilung für sexuell missbrauchte Frauen, 1. Ausgabe, Berlin

Aktuelle Beiträge

Sexueller Missbrauch Bestandsaufnahme

Missbrauch und Trauma als Chance? Übung mit persönlicher Bestandsaufnahme

Heute möchte ich mit Dir eine Übung teilen, die ich dem Buch „Trotz allem – Wege zur Selbstheilung für sexuell missbrauchte Frauen“ von Ellen Bass und Laura Davis entnommen habe.
 
Mithilfe dieser Übung wirst Du Dir über die Folgen durch sexuellen Missbrauch oder auch anderer Traumatisierungen bewusst. Oft sind die Auswirkungen solch schrecklicher Erfahrungen verheerend und begleiten uns meist unser ganzes Leben lang. Sobald wir jedoch die Kraft und den Mut aufbringen hinzusehen, können wir erkennen, dass wir durch unsere schlimmen Erfahrungen auch Stärken entwickelt haben. Diese Übung wendet sich beiden Seiten zu.
 

Ich lasse Dich an meinen persönlichen Antworten teilhaben (auf dem Stand des Veröffentlichungszeitpunktes) und möchte Dich dazu einladen, die Übung selbst auch durchzuführen. Denn dadurch kannst Du herausfinden, wo Du Dich auf Deinem Weg der Ganzwerdung gerade befindest. Vielleicht wirst Du Dir bewusst, was Du ab sofort loslassen willst und bestimmt findest Du heraus, welchen Fähigkeiten und Stärken Du mehr Aufmerksamkeit schenken willst.

Die Übung

„Schreib auf, wie Du heute noch unter dem Missbrauch leidest. Was trägst Du immer noch mit Dir herum in Bezug auf Dein Selbstwertgefühl, Deine Arbeit, Deine Beziehungen, Deine Sexualität? Wo ist Dein Leben immer noch schmerzhaft, eingeschränkt?

Schreib über die Stärken, die Du infolge des Missbrauchs entwickelt hast. Denk darüber nach, was es Dich gekostet hat zu überleben. Welche Eigenschaften haben Dir geholfen, es zu schaffen? Beharrlichkeit? Flexibilität? Autonomie? Schreibe mit Stolz über Deine Stärken.“ (Ellen Bass & Laura Davis, 2001)

Wie ich noch immer unter den Traumatisierungen und dem sexuellen Missbrauch leide

Auf meinem Weg der Ganzwerdung habe ich bereits große Fortschritte gemacht. Trotzdem ziehen sich die Folgen des sexuellen Missbrauchs in meiner Kindheit weiterhin durch mein ganzes Leben.

Aus Gründen der Übersichtlichkeit wähle ich für diese Übung drei Bereiche aus, die mich aktuell stark beschäftigen, weil ich mehr oder weniger unter ihnen leide: 1.) Bindung und Nähe in Beziehungen, 2.) Umgang mit Kindern und 3.) Sichtbarkeit.

1. Bindung und Nähe in Beziehungen

Nirgends bekomme ich meine eigenen Themen so gut gespiegelt wie im Kontakt mit anderen Menschen. Probleme mit Bindung und Nähe zeigen sich mir einerseits in der Liebesbeziehung zu meinem Freund allgemein sowie auch in unserer Sexualität. Aber auch in Freundschaften werde ich damit konfrontiert.  

Nähe und Bindung in meiner Liebesbeziehung

Zur Zeit lese ich das Buch *Jein! Bindungsängste erkennen und bewältigen. Hilfe für Betroffene und deren Partner von Stefanie Stahl. Dadurch erkenn ich, wie ausgeprägt meine eigene Bindungsangst ist. Außerdem wird mir bewusst, dass ich mir einen Partner ausgesucht habe, der selbst auch Bindungsängste hat. Das macht unsere Beziehung oft zu einer großen Herausforderung.

Ich will nicht sagen, dass ich mit meinem Freund eine toxische Beziehung führe, denn wir beide sind auf dem Weg und arbeiten an unseren Themen. Aber wenn ich ganz ehrlich bei mir selbst schaue, muss ich mir toxische Verhaltensweisen eingestehen, die sich gelegentlich wie folgt äußern:

        • Eskalation von Gefühlen in Gesprächen
        • Verbohrtheit, Unbelehrbarkeit, Uneinsichtigkeit
        • Grenzüberschreitungen und Anmaßungen
        • Zuweisung von Schuldgefühlen
        • Ausübung von emotionalem Druck
        • Abwertung und Kränkung
        • Kontroll- und Eifersucht (wobei nicht mehr so stark)

Ohne es zu beabsichtigen oder bewusst wahrzunehmen, sabotiere ich durch derartige Verhaltensweisen das Entstehen von echter Nähe.

Die Ursache sehe ich mangelnden Vorbildern. Meine Eltern sind zwar bis heute verheiratet, aber ich weiß noch, dass ich mir schon als Kind gewünscht habe, dass sie sich trennen. Ich habe sie nie als Team geschweige denn als liebevolle Partner wahrgenommen. Im Gegenteil, sie stritten viel und gingen sich die meiste Zeit aus dem Weg. Wie kann ich eine liebevolle und nahe Beziehung führen, wenn ich nie gelernt habe, wie so etwas funktioniert?

Bindung und Nähe in Beziehungen

Außerdem erfuhr ich als Kind Nähe selbst nur sporadisch. Ich konnte mich nicht darauf verlassen, sondern musste immer auch damit rechnen, dass z. B. meine Mutter gestresst, abweisend oder wütend auf meine Liebesbekundungen reagierte. Dieses Wechselbad der Gefühle habe ich als Liebe kennengelernt, sodass ich heute unbewusst genau dieses Hin und Her herbeiführe.

Als erwachsene Frau darf ich jetzt lernen, Nähe nicht mehr als Bedrohung wahrzunehmen und neue innere Bilder für meine Liebesbeziehung zu manifestieren, ganz so, wie ich sie mir wünsche.

Sexuelle Nähe

Das Thema Sexualität ist in meiner Beziehung schwierig, auch wenn ich es selbst momentan nicht als Stressfaktor wahrnehme.
Mein Freund wünscht sich jedoch mehr sexuelle Nähe, während ich gut und gerne darauf verzichten kann.

Seit mir der sexuelle Missbrauch in meiner Kindheit bewusst geworden ist, verspüre ich kein Verlangen, obwohl ich das Üben von Slow Sex oft als schön und sinnlich erlebe. Die körperliche Nähe zu ihm gefällt mir sehr. Nur sexuelle Lust stellt sich (noch) nicht wieder ein.

Immerhin fühle ich mich meinem Freund gegenüber inzwischen nicht mehr schuldig oder verpflichtet, sondern kann mich gut von seinen Bedürfnissen abgrenzen. Inzwischen sehe ich das Ganze gelassen und vertraue darauf, dass mein Körper genau weiß, was er tut und braucht. Ich bin sicher, dass sich im Zuge meiner Heilung auch sexuelle Lust ganz natürlich wieder einstellen wird.

Nähe in Freundschaften

Ein weiterer Aspekt, der mich hin und wieder belastet ist die Angst vor physischer Nähe in Freundschaften. Wenn bei Treffen zur Begrüßung oder Verabschiedung Umarmungen anstehen, löst das in mir großen Stress aus und ich will am liebsten davonlaufen. Ich umgehe die Umarmungen dann gerne, indem ich ein einfaches Hallo oder Tschüss in die Runde rufe. Auch bei Treffen mit einzelnen Freundinnen bin ich manchmal schon vorab unruhig, weil ich weiß, dass eine Umarmung zur Begrüßung ansteht.  

Am schlimmsten ist es, wenn gute Freundinnen in meiner Gegenwart anfangen zu weinen. Aus Filmen und von Erzählungen weiß ich, welche Reaktionen angebracht wären. Umarmungen oder Streicheleinheiten sind für mich jedoch undenkbar. Ich will am liebsten aus solchen Situationen fliehen, weil sie mir so unangenehm sind.

Ich empfinde das als sehr belastend, weil ich mir wünschte, mir einfach gar keine Gedanken machen zu müssen und ganz natürlich mit Berührungen und Umarmungen umgehen zu können. Scheinbar bin ich aber zutiefst verunsichert, wie ich selbst mit dieser Art von Nähe umgehen soll und wie andere sie auffassen.

2. Mein Umgang mit Kindern

Auch mein Umgang mit Kindern ist durch meine traumatischen Erfahrungen beeinflusst. Das bekomme ich seit einiger Zeit durch den 4-jährigen Sohn von meinem Freund zu spüren, den ich bereits seit dem Tag seiner Geburt kenne. Obwohl ich den Kleinen total lieb habe, spüre ich aktuell große Widerstände in mir. Denn er löst Gefühle in mir aus, derer ich mir vorher nicht bewusst war und die mich sehr erschrecken.

Auf der einen Seite komme ich bei ihm oft in Kontakt mit meinem eigenen inneren Kind, sodass ich mich in der Interaktion oft gar nicht als die Erwachsene fühle. Obwohl der Kleine überhaupt nicht so aggressiv und ablehnend ist, wie mein Bruder früher zu mir war, erlebe ich ihn in seinem Spiel häufig als genauso bedrohlich und unberechenbar. Weil ich sofort in einen Kindmodus verfalle, fühle ich mich dem schutzlos ausgeliefert und bin außerstande klare Grenzen zu ziehen. Die Gefühle von Ohnmacht, Hilflosigkeit und Angst sind für mich dann unerträglich, sodass ich am liebsten die Flucht ergreifen will.  

Folgen von Missbrauch - Umgang mit Kindern

Auf der anderen Seite erlebe ich mich manchmal auf eine Art, die mich sehr an meine Mutter erinnert. Das ist der Fall, wenn der Kleine anfängt zu weinen. Im Nachhinein solcher Situationen bin ich erschrocken darüber, dass ich nicht in der Lage bin, mich ihm einfühlsam zuzuwenden. Stattdessen erstarre ich regelrecht und fühle mich emotional total kalt. Ich will ihm dann sagen, dass er sich nicht so anstellen soll, genau wie es meine Mutter zu mir sagte, wenn ich traurig und verletzt war.  

Es lässt sich nur schwer in Worte fassen, wie massiv und qualvoll diese Erfahrungen für mich sind. Und weil ich in dieser Angelegenheit nicht allein weiter komme, werde ich mir im nächsten Jahr wieder therapeutische Hilfe suchen.

3. Sichtbarkeit nach sexuellem Missbrauch

Der dritte Bereich, der mich aktuell in meinem Leben belastet, ist das Thema Sichtbarkeit. Mit dem Bloggen und Ganzwerdung habe ich endlich etwas gefunden, was mein Herz erfüllt. Zum ersten Mal im Leben habe ich anhaltend Freude an dem, was ich tue. Mein Kopf sprudelt über vor Ideen und Vorhaben, wie ich noch mehr Aufklärungsarbeit zum Thema Trauma leisten kann, um Menschen zu einem selbstbestimmten und erfüllten Leben zu verhelfen. Es ist mein klares Ziel, meine Passion zu meiner Hauptbeschäftigung zu machen. Das setzt aber voraus, dass ich damit auch meinen Lebensunterhalt bestreiten kann und das wiederum erfordert, noch mehr in die Sichtbarkeit zu treten. Eine diffuse Angst hindert mich jedoch an meinen Plänen und Vorhaben.

Erst vor wenigen Tagen habe ich meine 13. Selbstbegegnung in Form einer Aufstellung nach Franz Ruppert diesem Thema gewidmet. Mein Anliegen lautete: Ich will meine Angst vor Sichtbarkeit loslassen.

Es zeigte sich relativ schnell, was die Ursache meiner Angst ist. In meiner Kindheit war meine Sichtbarkeit mit sexuellem Missbrauch innerhalb meiner Familie verbunden. Sichtbar zu sein bedeutete für mich Angst, Scham und nicht ernst genommen werden. Aus diesem Grund habe ich damals verinnerlicht, dass es sicherer ist, mich nicht zu zeigen, mich zu verstecken.

Inneres Kind - sexueller Missbrauch

Und ich habe gelernt, die ganze schmerzliche Geschichte zu verstecken, auch vor mir selbst.
In der Aufstellung flossen viele Tränen, weil ich kindlichen Anteilen von mir selbst begegnet bin, die sich von mir nicht gesehen und ernst genommen fühlen.

Obwohl ich mit Ganzwerdung schon einen riesigen Schritt in die Sichtbarkeit gewagt habe, ist es immer noch eine Herausforderung, bei mir zu bleiben, indem ich immer wieder hinschaue und meine Traumagefühle zulasse, um zu heilen.   

Traumaheilung bedeutet nicht, keine Verletzungen mehr zu haben oder die Folgen von heut auf morgen zu beseitigen. Es bedeutet vielmehr, die Verletzungen nicht mehr über unser Leben bestimmen zu lassen. Und dafür müssen wir den Mut aufbringen, immer wieder hinzuschauen und zu fühlen, wenn wir so weit sind.

Sobald wir uns unserer Traumatisierungen bewusst geworden sind, können wir auch unsere Überlebensmechanismen mehr und mehr aufgeben. Eigenschaften, die bis dahin unserem Überleben gedient haben, können wir dann als Stärken erkennen und konstruktiv einsetzen.

Sexueller Missbrauch - Schritte zur Heilung

Sexueller Missbrauch in der Kindheit - Schritte der Heilung

Wenn Du gerade dein Eindruck hast, dass Dir Dein Leben aus den Händen gleitet oder Du den Boden unter den Füßen verlierst, weil sexueller Missbrauch aus Deiner Kindheit sich in Dein Bewusstsein drängt, soll dieser Beitrag Dir aufzeigen, wie Du Einfluss auf die belastende Situation nehmen kannst.

Welche Stärken habe ich durch die Traumatisierungen und den Missbrauch entwickelt?

Fünfzehn Jahre lang habe ich meine Traumatisierungen und Missbrauchserfahrungen überlebt, indem ich mich mit Drogen und Alkohol betäubt habe und irgendwie versuchte, im Leben klar zu kommen. Das kostete mich wertvolle Lebensjahre. Manchmal frage ich mich, wo ich heute stehen würde, wenn meine Kindheit anders verlaufen wäre.

Weil sich die Vergangenheit jedoch nicht zurückdrehen lässt, ist es zwecklos, mir diese Frage zu stellen. Stattdessen kann ich mich auf den Jetztzustand ausrichten. Wer bin ich heute MIT den Erfahrungen, die ich in der Vergangenheit machen musste? Welche Geschenke erkenne ich heute in meinen Traumatisierungen? Welche Eigenschaften haben mir damals geholfen, die sich heute als wertvolle Stärken und Fähigkeiten erweisen?

Autonomie
Als Kind habe ich nicht die Zuwendung und Nähe erfahren, die ich verdient und gebraucht hätte. Zudem waren die Erfahrungen, die ich mit Nähe machen musste, zutiefst verletzend und verwirrend für mich. Aus diesem Grund habe ich mir früh angeeignet allein zurecht zu kommen. Noch heute höre ich meine Mutter, wie sie mich dafür lobte, dass ich mich so gut allein beschäftigen konnte. Was damals aber eine Notlösung war, kann ich heute als Stärke betrachten. Durch das Alleinsein habe ich gelernt allein Lösungen für meine Probleme zu finden. Heute weiß ich, dass ich alles schaffen kann, wenn ich nur will.  

Optimismus
Um die schrecklichen Geschehnisse meiner Vergangenheit zu überleben, brauchte ich viele Überlebensstrategien. Eine davon war, mein Umfeld zu idealisieren und Kleinigkeiten etwas Positives abzugewinnen. Im Laufe der Zeit wurde daraus die Fähigkeit, die Dinge aus einer optimistischen Perspektive zu betrachten. So gelingt es mir, in allen Geschehnissen seien sie auch noch so schlimm, die Lernaufgaben und Geschenke zu erkennen.

Optimistische Frau

Resilienz & Durchhaltevermögen
Meine gesamte Kindheit hindurch war ich gezwungen, in einem traumatisierenden Umfeld auszuharren. Auch als ich als neunjähriges Mädchen plötzlich in dem angsteinflößenden Umfeld der psychiatrischen Klinik zurechtkommen musste, habe ich mithilfe innerer Ressourcen überlebt. Ich habe mir eine große Widerstandsfähigkeit angeeignet und gelernt, Krisensituationen durchzustehen. Du kannst Dir sicher vorstellen, dass Resilienz und Durchhaltevermögen Fähigkeiten sind, die mir in vielerlei Lebenslagen zu Gute kommen.  

Achtsamkeit
Um zusätzlichen Gefahren aus dem Weg zu gehen, musste ich als Kind meine Umgebung permanent nach Solchen abscannen. Ich glaube, dass meine sechs Sinne heute deshalb so ausgeprägt sind, weil ich sie früher dazu einsetzen musste, nahende Bedrohungen frühzeitig zu erkennen. Durch diesen Wachsamkeitsmodus habe ich gelernt, Menschen und Situationen aufmerksam zu beobachten. Dabei nehme ich Details wahr, die andere gar nicht bemerken, was mir wiederum ermöglicht, gut auf andere Menschen einzugehen.

Humor
Obwohl auch mein Vater mich auf verschiedene Arten missbraucht hat und ich mich vor ihm gefürchtet habe, wenn er an den Wochenenden betrunken nach Hause kam, war er in meiner Familie mein Anker. Er war der Einzige, der Zeit mit mir verbrachte und viel mit mir rumalberte. Eine seiner stärksten Überlebensstrategien war Spaß und die habe ich mir von ihm abgeschaut. Lange Zeit verhinderte diese Strategie bei mir, dass ich mich selbst ernst nehmen konnte. Aber meine humorvolle Art hat mir im Leben viele Türen geöffnet, sowohl bei Freundschaften als auch im Beruf. Heute nehme ich mich ernst und kann mit Stolz auf meine Fähigkeit blicken, angespannte Situationen aufzulockern und Menschen zum Lachen zu bringen.

Kreativität
Weitere wichtige Überlebensstrategien in meiner Kindheit waren für mich Malen, Basteln und Schreiben. Wenn ich gemalt oder gebastelt habe, konnte ich alles um mich herum vergessen. Ich bin richtig abgetaucht in die Welt meiner Bilder und Kunstobjekte. Später lebte ich meine Kreativität im Schreiben von Tagebüchern, Gedichten, Kurzgeschichten und Jugendromanen. Heute im Schreiben von Blogbeiträgen. Mein kreatives Denken und mein Sinn für Ästhetik sind Stärken, für die ich heute sehr dankbar bin.

Es sind im Leben oft unsere Verletzungen, die uns dazu bringen, in neue Richtungen zu denken und die die Tür zu unserem wahren Selbst zu öffnen. Wir erfahren uns und unsere Gefühle auf einer tieferen Ebene und dürfen in sämtlichen Lebensbereichen neu lernen, sobald wir uns unseren Wunden zuwenden.

Diese Übung hilft Dir nicht nur dabei, den Blick auf die Traumatisierungen zu richten, sondern auch die eigenen Überlebensmechanismen von damals im Jetzt als Stärken zu erkennen.

Wenn es Dir schwerfällt, Fähigkeiten oder Stärken bei Dir zu identifizieren, kannst Du auch die Übung für mehr Selbstwertgefühl auf meiner Für Dich-Seite machen. Sie kostet Dich nur 60 Minuten und wird Dir unmittelbar zu einem besseren Selbstwertgefühl verhelfen!

Viel Freude beim selber Durchführen der Übung!

Schön, dass Du da bist!

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Bin ich traumatisiert

Habe ich ein Trauma? Woran Du erkennst, dass Du traumatisiert bist

Glücklicherweise rückt das Thema Trauma in unserer Gesellschaft mehr und mehr in den Blickpunkt und wird öffentlich diskutiert. Dadurch stellen sich Menschen vermehrt die Frage, ob sie womöglich selbst traumatisiert sind. Mit diesem Beitrag versuche ich Licht ins Dunkel zu bringen, indem ich Merkmale aufzeige, die auf Traumatisierungen hindeuten können.
Für ein besseres Verständnis empfehle ich Dir, falls Du es noch nicht getan hast, meine Infoseiten “Was ist Trauma”, “Arten von Trauma” und “Überlebensmechanismen” durchzulesen.

Wieso fällt das Erkennen von Traumatisierungen so schwer?

Am leichtesten zuordnen lässt sich ein Traumahintergrund beim sogenannten Schocktrauma, welches nach außergewöhnlichen Bedrohungssituationen wie Krieg, Naturkatastrophen oder Unfällen auftritt. Betroffene entwickeln nach derartigen Erfahrungen verschiedene Symptome zum Beispiel unwillkürliches Erinnern und Wiedererleben der belastenden Situation (Flashbacks), Vermeidung und Verdrängung des Geschehens, Nervosität, Angst, Reizbarkeit, Aggressivität oder Taubheit der Gefühle sowie Interessensverlust.

Dieselben Symptome können auch bei anderen Trauma-Arten auftreten, mit dem Unterschied, dass der Auslöser nicht bekannt ist. So fällt das Erkennen von Entwicklungstrauma (Bindungstrauma und sexuelles Trauma eingeschlossen) und generationsübergreifendem Trauma deutlich schwerer, weil sie ihren Ursprung häufig vorgeburtlich oder in sehr jungen Jahren haben. Es sind dann keine bewussten Erinnerungen an die Traumasituationen in uns vorhanden.

Außerdem reagieren wir auf ein Trauma mit einem Schutzmechanismus, der zwar unser Überleben sichert, uns aber lang anhaltend den Zugang zu den traumatisierenden Ereignissen verwehrt. Es handelt sich dabei um die psychische Spaltung, die ich nachfolgend genauer beschreibe.

Psychische Spaltung durch Trauma

Traumatisiert - Anteile
Hast Du manchmal das Gefühl, verrückt zu sein? Oder sogar schizophren? Kannst Du Dir nach manchen Deiner Reaktionen oder Gefühlsausbrüche selbst nicht mehr erklären, wieso Du Dich so und nicht anders verhalten hast? Den meisten Menschen mit Traumahintergrund geht es so oder ähnlich. Das liegt daran, dass wir uns, um eine traumatische Situation zu überleben, psychisch spalten mussten. In seinem Spaltungsmodell legt Dr. Franz Ruppert drei entscheidende Anteile zugrunde, die in uns aktiv sind und zwischen denen wir situationsbedingt hin und her wechseln:

Traumatisierter Anteil:

Der traumatisierte Anteil ist der psychische Anteil, welcher der Traumasituation physisch und psychisch ausgesetzt war. In ihm sind die Traumaerfahrungen gespeichert. Er beinhaltet die starken Gefühle von Schmerz, Angst, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Ekel und weitere, die in der bedrohlichen Situation nicht zu bewältigen waren und daher abgespalten werden mussten. Der traumatisierte Anteil versucht immer wieder ins Bewusstsein zu gelangen, er möchte sozusagen gesehen werden, um die Traumasituation endlich abzuschließen. Diesem Anteil ist auch Dein inneres Kind bzw. Deine Inneren-Kind-Anteil zuzuordnen.

Überlebens-Anteil:

Der Überlebensanteil hat den Zweck, alle Empfindungen, Gefühle und kognitive Erinnerungen an das Trauma zu unterdrücken. Dazu entwickelt er komplexe Strategien und vermeidet Situationen, die das Trauma erneut auslösen könnten. Dieser Anteil ist manipulativ, versucht Kontrolle auszuüben oder sich mit allem Möglichen abzulenken. Er ist häufig verwirrt, fühlt sich von Gefühlen der Schuld und Scham belastet, dissoziiert schnell und ist nicht in der Lage, gute Beziehungen zu gestalten. 

Wenn es zu weiteren Traumatisierungen kommt (was bei Entwicklungstrauma meistens der Fall ist), können sich durch weitere Spaltungen mehrere Überlebensanteile herausbilden.

Unverletzter Anteil

Der unverletzte Anteil ist sozusagen das, was heilgeblieben ist. Befinden wir uns in diesem Anteil, haben wir Zugriff auf unsere erlernten Fähigkeiten, wir haben einen klaren Bezug zur Realität, sind zuversichtlich und können gute Entscheidungen treffen, wie zum Beispiel Hilfe zu suchen. Dieser Anteil ist in der Lage, seine Gefühle auszudrücken, nährende Beziehungen zu gestalten und die traumatischen Erfahrungen anzuerkennen.

Vielleicht geht es Dir jetzt wie mir, als ich zum ersten Mal von diesen drei Anteilen gehört habe. Bis dahin war ich tatsächlich verwirrt über meine Ambivalenz und Zwiespältigkeit. Ich glaubte selbst verrückt oder sogar schizophren zu sein.
Du kannst jetzt aufatmen, denn Du bist nicht verrückt. Du hast lediglich Verletzungen davongetragen, die bisher noch nicht geheilt werden konnten. Das Schöne ist, dass auch Du über den unverletzten Anteil verfügst, der immer stärker werden wird, je mehr Du heilst.

Wie unsere Anteile unser Leben beeinflussen

Schauen wir uns jetzt uns noch etwas genauer an, wie diese drei Anteile unser Leben unbewusst beeinflussen. Für einen besseren Überblick untergliedere ich unser Leben in drei Hauptbereiche. Den Bereich der physischen und psychischen Gesundheit, die Beziehungsebene und die Gefühlsebene. Am Ende jeden Bereiches findest Du einige konkrete Symptome, wobei jedoch kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht.

1. Ebene der physischen und psychischen Gesundheit

Gesundheit ist in den meisten Fällen das Ergebnis unseres Lebensstils und dem Umgang mit uns selbst. Wenn unser Körper Symptome entwickelt, will er uns nichts Böses. Er ist nicht unser Feind, sondern will uns darauf aufmerksam machen, dass etwas nicht im Gleichgewicht ist, was unserer Aufmerksamkeit bedarf.

Wir Menschen sind Körper, Geist und Seele. Klassische medizinische Ansätze lassen das außer Acht und versuchen Symptome nur auf einem dieser Bereiche zu beseitigen. Das heißt, wir gehen mit unseren Problemen zum Arzt und bekommen nach der meist symptombezogenen Anamnese den ärztlichen Befund und damit den Stempel krank verpasst. Medikamente sollen das Problem beheben, aber die zu Grunde liegenden Ursachen bleiben so unberücksichtigt.
Kurzfristig ist uns so zwar geholfen, aber langfristig kommt es dem Versuch gleich eine feuchte Wand trocken zu legen, ohne das Loch im Dach zu beseitigen.

Statt unsere Symptome mit starken Medikamenten beseitigen zu wollen, die unserem Körper schaden (siehe Nebenwirkungen in den Beipackzetteln) sollten wir uns lieber der Ursache zuwenden. Und die liegt meist ganz tief in uns vergraben.

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es sich um meine persönliche Betrachtungsweise handelt und ich akzeptiere, dass Du womöglich eine andere Sichtweise hast. Außerdem ist mir wichtig zu betonen, dass ich Medikamente nicht per se ablehne. Ich selbst wäre ohne eine hohe Medikation während zwei langwieriger Krankenhausaufenthalte nicht mehr am Leben. Auch aktuell bin ich auf Medikamente für meine Schilddrüsenunterfunktion angewiesen. Ich bin froh, dass es Medikamente gibt, die uns auf unserem Weg unterstützen. Langfristig gesehen sollten sie aber keine Dauerlösung sein.

Durch eigene Erfahrungen weiß ich, wie chronische Beschwerden heilen, wenn ich mich ihnen zuwende und die dahinterliegenden Themen erforsche. Es braucht manchmal natürlich etwas Mut, sich den ursächlichen und oft schmerzlichen Themen zuzuwenden, aber wenn unser Körper immer wieder seelische und körperliche Krankheitssymptome entwickelt, will er uns auf die Dringlichkeit hinweisen, das zu tun.

Mögliche Symptome auf der Gesundheitsebene:

  • Häufig wiederkehrende, meist langwierige Krankheiten (Hals- und Rachenentzündungen, Unterleibsbeschwerden, Magen- Darmbeschwerden, Nacken- und Rückenschmerzen, Krebs etc.)
  • Psychische Störungsbilder mit Diagnosen wie Angststörung, Depression, Phobien, ADHS, Schizophrenie und weitere
  • Schlafstörungen

Buchtipp 1:

*Mein Körper, mein Trauma, mein ich: Anliegen Aufstellen – aus der Traumabiografie aussteigen von Dr. Franz Ruppert (2017)

25 Autoren-Beiträge verdeutlichen den Zusammenhang zwischen Körpersignalen, Psyche und Trauma am Beispiel von Kopfschmerzen, Rücken- und Gelenkschmerzen, Herz- und Kreislauf- sowie Hauterkrankungen, Krebs und Schlafstörungen. 

2. Beziehungsebene

Die Beziehungsebene meint nicht nur die Beziehungen zu anderen Menschen, sondern auch die Beziehung zu uns selbst und zur Welt. Besonders nach Entwicklungstrauma kann es hier zu Gedanken- und Verhaltensmustern kommen, die uns das Leben schwer machen. Einige Fragen sollen Dir dabei helfen einzuschätzen, ob sich in Deinem Beziehungsverhalten Traumatisierungen vermuten lassen:

a.) Beziehung zur Welt

In welcher Beziehung stehst Du zum Leben und der Welt? Wie fühlst Du Dich als Mensch in Deiner Umwelt? Empfindest Du das Leben grundsätzlich als schön und freudvoll oder eher als schwierig und schmerzhaft? Plagen Dich viele Ängste und ein mangelndes Selbstwertgefühl oder verfügst Du über ein generelles Grundvertrauen in das Leben? Bist Du oft niedergeschlagen und depressiv, weil Du die Welt für einen feindlichen Ort hältst, der an jeder Ecke Gefahren birgt? Vielleicht fühlst Du Dich vom Pech verfolgt, weil Du bei allen Versuchen etwas in Deinem Leben zu verändern, scheiterst. Du willst Dich gern weiterentwickeln, aber hast einfach keinen Erfolg mit Deinen Vorhaben.

Wenn Deine Antworten tendenziell eher negativ ausfallen, kann es sein, dass in Dir noch etwas ungesehen ist. Womöglich ist es Dein Trauma-Anteil, der die schrecklichen Geschehnisse von damals ins Hier und Jetzt überträgt.  

b.) Beziehung zu uns selbst

Wie gehst Du mit Dir und Deinem Körper um? Bist Du jederzeit in Deinem Körper präsent und kannst Dich gut in ihm spüren?
Menschen mit Entwicklungstrauma spüren sich nicht gut im eigenen Körper. Exzessives Treiben von Sport oder Sex, selbstverletzendes Verhalten, Essstörungen, übermäßiger Konsum von Alkohol und Drogen können dem Versuch dienen, sich intensiver oder überhaupt nicht spüren zu wollen. Sie vergessen ihren Körper im Alltag auch oft und nehmen ihre Bedürfnisse nicht wahr oder nicht ernst.

Kommst Du am Abend manchmal nach Hause und bemerkst, dass Du den ganzen Tag nichts getrunken hast? Oder fühlst Du Dich plötzlich kraftlos und erschlagen, weil Du den ganzen Tag extrem angespannt warst?

Und wie sieht es mit Deinem inneren Dialog aus? Wie denkst und sprichst Du innerlich über Dich? Lehnst Du Teile von Dir ab oder empfindest Hass gegen Dich selbst? Glaubst Du im Grunde wertlos zu sein oder es nicht verdient zu haben, glücklich zu sein?

Vielleicht ist so ein unachtsamer Umgang mit Dir selbst für Dich ganz normal, weil mit Dir genauso umgegangen wurde, als Du noch klein warst. Verurteile Dich bitte nicht dafür, wie Du im Moment bist. Versuche, stattdessen einen neuen und liebevolleren Umgang mit Dir selbst zu erlernen.

c.) Beziehung zu anderen Menschen

In Beziehungen zu anderen Menschen werden Entwicklungstraumata ganz stark deutlich, vor allem in Liebesbeziehungen. Obwohl wir uns einerseits nach Nähe und Verbindung sehnen, schaffen wir es nicht, eine liebevolle und langfristige Beziehung zu führen.

Bist Du im Grunde eh fest davon überzeugt, dass Du anderen Menschen nicht vertrauen kannst? Suchst Du Dir unbewusst immer wieder Partner, die Dir das bestätigen, indem sie sich nicht auf Dich einlassen, Dich ablehnen oder im schlimmsten Fall sogar verletzten?

Toxische Beziehungen müssen aber auch nicht immer so gravierende Ausmaße annehmen. Auch eine unbewusste Angst vor wirklicher Nähe und Verbindung kann schon zu immer wiederkehrenden destruktiven Beziehungsmustern führen. Die zugrunde liegenden Bindungsängste, die eine Folge früher Kindheitsverletzungen sind, sind uns meist gar nicht bewusst, weil sie eine Schutzstrategie unseres Überlebens-Anteils sind.

Siehst Du Dich auch außerhalb Deiner Liebesbeziehung immer wieder mit Schwierigkeiten konfrontiert? Fühlst Du Dich von anderen Menschen oft unverstanden und nie wirklich zugehörig? Reagierst Du bei Kritik schnell gekränkt, bist Du oft genervt, verärgert oder wütend über andere Menschen und froh, wenn Du zu Hause Deine Ruhe vor ihnen hast? Glaubst Du insgeheim besser zu sein als alle anderen und grenzt Dich deshalb von anderen Leuten ab?

An einem Bedürfnis nach Rückzug und Alleinsein ist per se nichts verkehrt. Das Warum ist entscheidend. Willst Du von anderen Menschen Abstand, weil sie Gefühle in Dir auslösen, die Dir unangenehm sind? Wenn das der Fall ist, dann handelt es sich vermutlich um eine Vermeidungsstrategie. Es lohnt sich der Ursache auf den Grund zu gehen, denn meistens dienen andere Menschen uns als Projektionsflächen für eigene ungelöste Themen.

Mögliche Symptome auf der Beziehungsebene

  • Suchtverhalten (Alkohol, Drogen, Arbeit, Essen, Computer/Internet, Sex)
  • Kontrollversuche (Essstörungen, exzessives Sporttreiben, Arbeitsverhalten, Eifersucht)
  • Selbstmordgedanken oder Selbstmordversuche
  • Geringes Selbstwertgefühl und Misserfolge bei der persönlichen Weiterentwicklung
  • Das Gefühl, anders zu sein als andere und nirgends dazuzugehören
  • Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen
  • Angst vor Berührungen, Nähe oder Blickkontakt
  • Bindungsängste, dauernde Konflikte in Partnerschaften
  • Wiederkehrendes Empfinden von Scham und Schuldgefühlen
  • Eine negative Lebenseinstellung und allgemeines Misstrauen in das Leben

3. Gefühlsebene

Wenn wir traumatisiert wurden, agieren wir unbewusst zu großen Teilen aus unseren Überlebensanteilen heraus. Ohne uns dessen bewusst zu sein, versuchen wir mit allem, was wir tun, unseren Traumagefühlen aus dem Weg zu gehen.

Unser Nervensystem scannt unsere Umgebung permanent nach möglichen Gefahren ab, sodass wir uns in ständiger Alarmbereitschaft befinden. Dieses hohe Aktivitätsniveau bedeutet Stress und beeinflusst unsere Fähigkeit, die eigenen Gefühle zu regulieren.

Eine mangelnde Gefühlsregulation kann verschiedene Ausprägungen haben. Während wir phasenweise regelrecht von Gefühlen überrollt werden, kann es zu einem anderen Zeitpunkt sein, dass wir den Eindruck haben, uns gar nicht zu spüren. Der Ausdruck und Umgang mit unseren Emotionen und Gefühlen ist nicht im Gleichgewicht, sodass wir in einem Moment voller Verzweiflung sein können und im nächsten Moment schon wieder himmelhochjauchzend oder wütend und aggressiv. Wir neigen zu Hypersensibilität, das heißt, kleine Reize können schnell überfordern, sodass wir uns ausgebrannt fühlen. Wir sind schnell energielos und benötigen viel Rückzug und Ruhe, um unsere Akkus wieder aufzuladen.

Auch unser traumatisierter Anteil beeinflusst uns auf der Gefühlsebene. Wenn wir uns in ihm wiederfinden, fühlen wir uns wie damals als Kind. Vielleicht kommt es Dir bekannt vor, dass Du Dich in bestimmten Situationen plötzlich ganz klein fühlst. Entweder bedürftig und nach Liebe sehnend oder aber auch wütend, bockig und irrational, so als wolltest Du Dich am liebsten auf den Boden werfen.

Während der traumatisierte Anteil immer wieder versucht, sich zu zeigen, um endlich integriert zu werden, arbeitet der Überlebensanteil gegen ihn. Er ist darum bemüht, ihn in Schach zu halten, um nicht wieder mit den überwältigenden Traumagefühlen konfrontiert zu werden. Dieser innere Kampf steht Deinem ursprünglichen Gefühlsausdruck im Weg. Vor allem kostet er immens viel Energie. Traumaarbeit ist hier in jedem Fall lohnenswert.

Mögliche Symptome auf der Gefühlsebene:

  • Beeinträchtige Fähigkeit zur Regulation von Gefühlen (wir reagieren irrational, langanhaltend oder extrem mit Traurigkeit, Verzweiflung, Ohnmacht, Angst, Ekel, Aggression, Wut)
  • Andauernde innere Unruhe, Stressempfinden, Burn-out
  • Antriebs- und Kraftlosigkeit, Niedergeschlagenheit
  • Schwierigkeiten beim Spüren von Gefühlen, Emotionen und Empfindungen im Körper

Buchtipp 2:

*Bin ich traumatisiert?: Wie wir die immer gleichen Problemschleifen verlassen von Verena König (2021)

Mit zahlreichen Fallbeispielen, Übungen und Erklärungen aus Psychologie und Neurobiologie hilft die Traumatherapeutin Verena König, die Ursprünge und Wirkungen von Traumatisierungen zu verstehen und sich dem Thema achtsam anzunähern.

Ich würde mich doch erinnern, wenn ich traumatisiert worden wäre!

Vielleicht hast Du Dich jetzt schon in einigen der beschriebenen Merkmale wiedergefunden, traust der Sache aber nicht, weil Du keine wirklichen Erinnerungen hast.

Wie weiter oben bereits erwähnt, ist es möglich, dass Du überhaupt keine bewussten Erinnerungen an die Traumatisierungen hast. Entweder, weil Du noch zu klein warst oder weil Deine Schutzmechanismen gute Arbeit geleistet haben. Diese Mechanismen haben die Fähigkeit, Erinnerungen an schlimme Erfahrungen so sehr abzuspalten, dass wir nicht mehr darauf zugreifen können. Das nennt man dissoziative Amnesie und hat Dein Überleben gesichert.

Ohne bewusste Erinnerungen fällt es uns schwer zu glauben, dass uns etwas Furchtbares passiert ist. Aber irgendwie haben wir auch so eine leise Ahnung, dass irgendetwas nicht stimmt. Warum sonst ist unser Leben geprägt von sich wiederholenden Mustern? Und aus welchem Grund sonst leiden wir auf den genannten Ebenen immer wieder innere Qualen?

Wenn wir vermuten, dass uns etwas angetan wurde oder irgendetwas an unserer Lebensgeschichte nicht stimmt, dann steckt da meistens eine Wahrheit dahinter. Wir dürfen lernen, unsere Ahnung ernst zu nehmen und uns zu vertrauen.

Bei mir war es lange Zeit so, dass ich nur emotionale und körperliche Erinnerungen hatte, jedoch keine bildhaften. Ich bin immer wieder in Kontakt mit den schrecklichen Gefühlen meiner Vergangenheit zu kommen, ohne mich zu erinnern, wo diese ihren Ursprung hatten. Bei anderen Menschen kann das genaue Gegenteil der Fall sein. Sie erinnern sich an schreckliche Dinge und können darüber erzählen, aber es ist, als würden sie über einen Film sprechen, statt über ihr eigenes Schicksal. Sie erinnern sich zwar, haben aber die dazugehörigen Gefühle abgespalten. Auch hier handelt es sich um einen Schutzmechanismus durch einen dissoziativen Zustand.

Wie geht es weiter, wenn ich glaube, traumatisiert zu sein?

Wenn sich Deine Vermutung verstärkt, traumatisiert zu sein, ist das Wichtigste nicht in Panik zu geraten. Alles ist genau richtig, so wie es ist. Du hast es bis hier hingeschafft und es ist wunderbar, dass Du da bist.
 
Solltest Du den inneren Wunsch verspüren, Dich dem Thema noch mehr zuzuwenden, dann lass Dir Zeit, gehe liebevoll mit Dir um und überfordere Dich nicht.
Du kannst zum Beispiel damit anfangen, Dich in das Thema Trauma einzulesen. Es gibt viele gute Bücher zum Thema, meine persönliche Empfehlung für den Einstieg ist das kompakte Büchlein *„Zurück in mein Ich – Das kleine Handbuch zur Traumaheilung” von Vivian Broughton.

Ich empfehle Dir sehr, den Weg nicht allein zu gehen. Suche Dir mindestens eine Vertrauensperson, die Dir glaubt und Dich wirklich unterstützt. Noch besser suche Dir eine gute Therapeutin oder einen Therapeuten, dem Du vertraust und der auf Traumaarbeit spezialisiert ist.

Außerdem bist Du herzlich eingeladen, meine Wegbegleiterin zu werden und Dein Traumawissen durch meine Beiträge zu vertiefen oder Dich von meinen Erfahrungen inspirieren zu lassen.
 
Ich schreibe meine Beiträge für Dich und hoffe, dass Du Dich durch sie ein wenig verstanden und weniger allein fühlst. Außerdem möchte ich Dich ermutigen, erste Schritte zu wagen, um langfristig ganz zu werden.
 
Aus eigener Erfahrung kann ich Dir sagen, dass sich der Weg der Ganzwerdung lohnt. Es ist zwar ein längerer Weg, auf dem es Höhen und Tiefen geben wird, aber Deine Lebensqualität wird zu nehmen, wenn Du ihn gehst. 
 
Traumaenergie ist gebundene Lebensenergie. Sie wartet darauf, ins Fließen zu kommen, damit Du ein freies und erfülltes Leben führen und Dein volles Potenzial entfalten kannst!

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Quellenverweise: 

Broughton, Vivian (2016): Zurück in mein Ich: Das kleine Handbuch zur Traumaheilung mit einem Nachwort von Franz Ruppert, 4. Edition, München

König, Verena: Woran erkenne ich, ob ich traumatisiert bin – Podcast. Abgerufen am 09.11.2021, von https://verenakoenig.de/blog-und-podcast/134-woran-erkenne-ich-ob-ich-traumatisiert-bin

Ruppert, Franz & Banzhaf, Harald (2017): Mein Körper, mein Trauma, mein ich: Anliegen aufstellen – aus der Traumabiografie aussteigen, 3. Edition, München

Aktuelle Beiträge

Entspannungsmethoden bei Trauma

Entspannungsmethoden nach Trauma – Welche Techniken wirklich helfen

Während des ersten Bausteins meiner Ausbildung zur Entspannungstherapeutin habe ich festgestellt, wie wenig Bewusstsein noch immer für das Thema Trauma im Zusammenhang mit Entspannung vorhanden ist. Um diese Wissenslücken zu schließen, widme ich mich in diesem Beitrag den Fragen, wie Entspannung überhaupt zu einer Herausforderung werden kann und welche Entspannungsmethoden für traumatisierte Menschen geeignet sind.

Warum Entspannung nach Trauma schwerfallen kann

Wenn wir einen Traumahintergrund haben, kann Entspannung für uns ein heikles Thema sein. Es ist gut möglich, dass wir keine Idee davon haben, wie sich Entspannung überhaupt anfühlen soll oder wir glauben sogar diese gar nicht verdient zu haben. Vielleicht haben wir auch Angst vor den Gedanken und Gefühlen, die aufkommen, wenn wir innerlich ruhig werden.

In einer Traumasituation wird enorm viel Energie im Körper freigesetzt, um uns auf Angriff, Kampf oder Flucht vorzubereiten. Wenn das Trauma nicht bewältigt oder verarbeitet werden konnte, bleibt diese hohe Energie in Form von Anspannung in unserem Körper gespeichert. Dessen sind wir uns womöglich gar nicht bewusst, weil dieses hohe Aktivierungsniveau für uns zum Normalzustand geworden ist. Wir befinden uns in ständiger Alarmbereitschaft. Sobald wir versuchen, uns zu entspannen, kommen wir in Kontakt mit der enormen Spannung, die sich in uns festgesetzt hat.

Ein einleuchtendes Bild, um das zu veranschaulichen, ist ein Auto, bei dem das Gaspedal und die Bremse gleichzeitig voll durchgetreten werden. Beim Versuch zu entspannen treten wir auf die Bremse,  aber der Motor des Autos läuft dennoch die ganze Zeit auf Hochtouren. Die Reifen drehen durch, wir kommen jedoch nicht vom Fleck. Entspannung ist auf diese Weise nicht möglich!

Warum sind wir nach Trauma dauerhaft angespannt?

Um zu verinnerlichen, warum Anspannung nach Trauma dauerhaft in unserem Körper festsitzt, müssen wir uns unserem autonomen Nervensystem (AN) zuwenden.

Das autonome Nervensystem ist ein wichtiger Teil unseres gesamten Nervensystems, welches lebenswichtige Körperfunktionen steuert. Es ist permanent darum bemüht, unser Überleben zu sichern. Dafür scannt es in jedem Moment die äußeren Umstände ab, um einzuschätzen, ob eine Situation oder ein Mensch, dem wir begegnen, sicher oder lebensgefährlich ist. Je nachdem, wie die Einschätzung ausfällt, sendet das AN unterschiedliche Signale in unseren Körper, damit wir entsprechend reagieren können. Vor allem Atmung, Herz-Kreislauf-System, Muskelspannung, Magen-Darm-Tätigkeit, Hören, Stimme und Gesichtsausdruck werden so reguliert. Das geschieht ganz eigenständig, ohne dass wir darauf Einfluss nehmen können.
Im Normalfall stellt unser autonomes Nervensystem auf diese Weise eine Balance zwischen Momenten der Aktivität (Anspannung) und Momenten der Ruhe (Entspannung) her, die zum Leben eines jeden Menschen gehören.

Wenn wir jedoch traumatisiert wurden und die Traumatisierungen noch nicht aufarbeiten konnten, ist dieser Mechanismus beeinträchtigt. Ohne unser Zutun beurteilt unser autonomes Nervensystem die äußeren Gegebenheiten als unsicher oder gefährlich, obwohl das rein objektiv vielleicht gar nicht den Tatsachen entspricht. Wir befinden uns dann entweder dauerhaft im Flucht-Kampf-Mechanismus oder in einem Erschöpfungszustand. In beiden Phasen bleibt Entspannung aus und wir finden keine Möglichkeit mehr zur Regeneration. Stressempfinden sowie körperliche und psychische Erkrankungen sind die Folge.

Regulation kann erst dann wieder erfolgen, wenn wir das Trauma aufarbeiten. Damit ist gemeint, dass wir die emotionale und körperliche Ladung freisetzen, die in unserem Körper gespeichert ist. 
Normalerweise verfügen wir Menschen über einen Mechanismus, der diesen Regulationsprozess begünstigt – das neurogene Zittern. Normalerweise deshalb, weil wir uns dieses heilsame Zittern zu unserem Nachteil abtrainiert haben.

Was ist neurogenes Zittern?

Ein Blick in die Tierwelt veranschaulicht die heilende Wirkung des Zitterns bzw. Abreagierens. Ein Reh, dass plötzlich von einem Lux überrascht wird, hat keine Zeit, Angst zu haben. Sein zentrales Nervensystem aktiviert in Millisekunden sämtliche Kräfte, um sein Überleben zu sichern.
Ist die Gefahr gebannt, weil sich das Reh in Sicherheit bringen oder den Lux abschütteln konnte, fängt es an zu zittern. Dies tut es so lange, bis es wieder ganz ruhig und entspannt ist. Das Reh ist jetzt in der Lage, zu seiner Herde zurückzukehren und nach Nahrung zu suchen, als wäre nie etwas geschehen.   

Entspannungsmethoden Neurogenes Ziitern

Durch das Zittern entlädt sich der Körper von der Spannung und den chemischen Substanzen, die den Körper in einer traumatischen Situation überladen. Neurogenes Zittern ist also ein regulierender Mechanismus unseres Körpers, um erlebte Anspannung schnell abzubauen und zu einem Zustand von Ruhe und Entspannung zurückzukehren. Bedauerlicherweise haben wir Menschen diese Fähigkeit in uns abgetötet und unterdrückt.

Sicher erinnerst Du Dich selbst an eine Situation, in der vor Schreck oder Angst Deine Hände angefangen haben zu zittern oder Deine Knie ganz weich wurden. Und weißt Du auch noch, wie Du damit umgegangen bist?
Wir haben gelernt, uns „zusammenzureißen“ und das Zittern zu unterdrücken, weil es Angst und Schwäche ausstrahlt. Sehr zu unserem Nachteil, denn durch das Unterdrücken der Abreaktion zwingen wir unseren Körper ein anderes Ventil für die hohe Spannung zu finden.

Wohin mit der inneren Ladung?

Ohne das Zittern ist unser Körper gezwungen, die massive Ladung in unsere tiefen Muskelschichten umzuleiten. Dort wird sie festgehalten und unsere Muskulatur kontrahiert. Die Folge sind chronische Zustände von Spannung im Körper.

„Solange der Körper diese Spannung nicht ausschüttelt, wird er dieses chronische Spannungsmuster von Schutz und Abwehr aufrechterhalten. Eine Hauptkomponente bei der erfolgreichen Heilung von Trauma besteht darin, den natürlichen Entladungsmechanismus des Menschen zu aktivieren, der dem Körper signalisiert, dass er zu einem Zustand von Ruhe und Erholung zurückkehren kann.“ (David Berceli, 2005)

Um dem Dauerzustand von Spannung im Körper ein Ende zu setzen, braucht es Techniken, die den natürlichen Entladungsmechanismus des Menschen aktivieren, der dem Körper signalisiert, dass die Gefahr vorüber und Entspannung jetzt wieder möglich ist. Einfache sportliche Betätigung kommt hier an ihre Grenzen, weil sie nicht in die Tiefen chronischer Anspannung eindringt, in denen die Traumaenergie gespeichert ist. Welche Methoden sind also geeignet?

Entspannungsmethoden für traumatisierte Menschen

Wir alle haben unterschiedliche Zugänge zu unserem Körper, unserem Innern und auch zum eigenen Wohlbefinden. Es gibt also nicht eine Technik, die für alle Menschen gleichermaßen entspannend wirkt. Um herauszufinden, welche Entspannungsmethode für Dich die Beste ist, kann es hilfreich sein, die drei Kategorien zu kennen, in welche Entspannungsmethoden klassischerweise eingeteilt werden:

Suggestive Entspannungsmethoden Mentale Beeinflussung von Empfindungen und Vorstellungen
z. B.: Autogenes Training oder Hypnose

Imaginative/visuelle Entspannungsmethoden Bildhaftes Vorstellen von Zuständen oder Gegebenheiten
z. B.: Fantasiereisen oder Entspannungsgeschichten

Kinästhetische Entspannungsmethoden – Wahrnehmung unter Einbeziehung von Bewegung/Muskelaktivität
z. B.: Tension and Trauma Release Exercices (TRE) oder progressive Muskelentspannung

Wenn Du unter Traumafolgesymptomen leidest, findest Du Deine passende Entspannungstechnik mit großer Wahrscheinlichkeit im Bereich der kinästhetischen Methoden.
Diese sprechen die tiefen Muskelschichten an, in denen die Spannungen in Folge von Trauma festsitzen. Dadurch sind sie am ehesten in der Lage, den natürlichen Entladungsmechanismus zu aktivieren, den es braucht, um die Übererregung Deines Nervensystems zu erreichen. Außerdem eignen sich kinästhetische Entspannungsmethoden besonders für Menschen, denen es schwerfällt, lange und ruhig dazusitzen, um in die Stille zu finden.

Gerne stelle ich Dir drei Entspannungsmethoden aus dieser Kategorie detailliert vor, mit denen auch ich bereits positive Erfahrungen gemacht habe und weiterhin machen darf.

Entspannungsmethoden bei Trauma

3 Kinästhetische Entspannungsverfahren

1. Tension and Trauma Release Exercices (TRE)

Bei TRE handelt es sich um Trauma-Entspannungsübungen, die das neurogene Zittern im Menschen auslösen. Die Übungen nutzen die Erfahrungen und das Wissen verschiedener Traditionen wie Yoga, Thai Chi und anderer fernöstlicher Praktiken. David Berceli hat sieben einfache Übungen zusammengestellt, die jeden Tag angewandt werden können, sofern sie als angenehm empfunden werden. Mithilfe dieser Übungen gelingt es, das Zittern wieder zu erlernen und als natürlichen, hilfreichen Mechanismus wahrzunehmen.

Berceli betrachtet unseren Körper als größten Verbündeten im Trauma-Heilungsprozess. Für ihn sind die Übungen der Schlüssel zu einer erfolgreichen Erholung von Trauma, weil sie die natürlichen Lösungsmechanismen des Körpers aktivieren, die ihm unmittelbar vermitteln, dass er in einen Ruhezustand und zu einer möglichen Erholung zurückkehren kann.

„Bei Problemen wie sexuellem und körperlichem Missbrauch und auch bei Angststörungen, Panikattacken und Depression hat sich die Integration der Übungen in den Therapieprozess sowie die begleitende Übung zu Hause als wertvolle Ressource erwiesen.“ (David Berceli, 2005)

Je nach Schwere der Spannungen, die in unserem Körper (der Muskulatur) festsitzen, kann das Zittern unterschiedlich stark ausfallen. Wenn Du ein starkes Zittern bei Dir wahrnimmst, ist das ein Zeichen dafür, dass sich Energieblockaden lösen. Du brauchst keine Angst vor den körpereigenen Bewegungen zu haben, sondern kannst auf die Selbstheilungskräfte Deines Körpers vertrauen. Wichtig ist, dass Du Dich jederzeit wohlfühlst. Wenn Dir das Zittern Angst macht oder Dir unangenehm erscheint, dann höre auf zu üben und probiere es zu einem späteren Zeitpunkt erneut. Besonders hilfreich ist die Übungsreihe laut Berceli, wenn sie regelmäßig über einen längeren Zeitraum durchgeführt wird.

Die Übungsreihe findest Du im Buch „Körperübungen für die Traumaheilung und zur Stressreduktion im Alltag“, welches vom norddeutschen Institut für bioenergetische Analyse e.V. (NIBA) herausgegeben wurde.

Das kompakte Büchlein ist übrigens auch unabhängig von den Übungen sehr lesenswert, weil es viele interessante und nützliche Informationen zum Thema Trauma enthält.

Möchtest Du nicht erst auf das Buch warten? Dann kannst Du mit dem Youtube-Video von TRE FOR ALL direkt loslegen!

2. Schüttelmeditation (Kundalini Meditation)

Die Schüttelmeditation geht zurück auf den spirituellen Lehrer Bhagwan Shree Rajneesh, der vor allem unter dem Namen Osho bekannt ist. Es handelt sich dabei um eine Kundalini Meditation, die Stress, Burn-out und Depression vorbeugen kann. Es ist eine ganzheitliche Entspannungsmethode, die auch das Körperbewusstsein und die innere Achtsamkeit fördert.

Ziel der Schüttelmeditation ist es, die tiefen Ebenen des Körpers zu erreichen und dadurch innere Verspannungen aufzulösen. Um dieses Ziel zu erreichen, wird zunächst die Durchblutung und die Herzfrequenz mittels Bewegung erhöht und im Anschluss durch Ruhe wieder gesenkt. Das hat Muskelentspannung zur Folge und führt zu gesteigerter Aufmerksamkeit.

Die Meditation untergliedert sich in vier Phasen von jeweils 15 Minuten, die ich Dir im Folgenden erläutere. Die entsprechende Musik zur Begleitung findest Du unter anderem auf Spotify.

Wenn Du die Übung durchführen willst, sorge dafür, dass Du ungestört bist. Es empfiehlt sich eine Yoga- oder Fitnessmatte als Unterlage zu verwenden. Lege Dir wenn vorhanden außerdem ein Meditationskissen und eine kuschelige Decke bereit. 

Phase 1: Schütteln

Stelle Dich auf Deine Zehenspitzen und bewege die Fersen schnell auf und hinab, so als wolltest Du springen. Lasse Deine Knie dabei ganz locker mitschwingen. Beginne dann damit, Deine Hände zu schütteln und lasse die Bewegungen immer größer werden. Schließe dabei Deine Augen und versuche Deinen Körper ganz locker zu lassen. Beziehe Deinen gesamten Körper in das Schütteln ein, Beine, Becken, Bauch, Brust, Arme, Hals und Nacken sowie Deinen Kopf. Du kannst auch die Füße abwechselnd vom Boden heben und ausschütteln.

Phase 2: Tanzen

Lasse Deine Augen gerne geschlossen, lausche der Musik und gib den Bewegungsimpulsen Deines Körpers freien Lauf. Es kommt beim Tanzen nicht darauf an, gut auszusehen oder eine Bewegungsabfolge einzuhalten. Es geht darum, Dich in Deinem Körper zu fühlen, Spaß an der Bewegung zu empfinden und Dich intuitiv treiben zu lassen. Wenn Dir tanzende Bewegungen schwerfallen, mache alternativ ein paar sportliche Übungen.

Entspannungsmethode Schüttel Meditation

Phase 3: Wahrnehmen

In der Phase des Wahrnehmens kannst Du Dich wahlweise hinsetzen oder stehen bleiben. Ich persönlich empfehle Dir die Standposition. Versuche zu fühlen, wie Deine Füße Deine Unterlage berühren und welche Empfindungen Du nach der Bewegung in Deinem Körper wahrnehmen kannst. Nimm auch wahr, was um Dich herum ist. Übe Dich darin nicht zu bewerten, sondern einfach zu beobachten. Alle aufkommenden Gedanken und Empfindungen dürfen jetzt genauso da sein wie sie sind.

Phase 4: Entspannen

Lege Dich nun bequem auf Deine Unterlage und decke Dich zu, damit Dir nicht kalt wird. Entspanne Deinen Körper und gib der Stille, die Dich jetzt umgibt Raum. Genieße das einfache Sein, solange es Dir guttut.

Am Anfang kann es Dir noch ungewöhnlich vorkommen, Dich auf diese Weise zu bewegen, aber mit regelmäßiger Übung wirst Du immer mehr Freude am Schütteln und Tanzen finden. Dein Körpergefühl wird mit der Zeit zunehmen und es ist gut möglich, dass Dein Selbstbewusstsein und -vertrauen im Alltag immer mehr zunehmen. 

Das Schütteln ist im übrigen auch unabhängig von der Osho Meditation eine wirkungsvolle Technik. Wenn Du keine 60 Minuten Zeit hast, kannst Du einfach Deine Lieblingsmusik anschalten und Dich ein Lied lang schütteln, ein Lied lang tanzen und dann zu ruhiger Musik nachspüren. Wichtig ist, dass Du nach der Aktivität für eine Weile in die Entspannung kommst. 

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3. Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen

Die progressive Muskelentspannung (PME), die auch als progressive Muskelrelaxation (PMR) oder Tiefenmuskelentspannung bekannt ist, geht auf Edmund Jacobsen zurück. Es handelt sich dabei um eine Entspannungsmethode, bei der Muskelgruppen willentlich und bewusst an- und entspannt werden, um einen Zustand tiefer Entspannung im gesamten Körper zu erreichen.

Bei der Umsetzung von PME werden grundsätzlich 17 Muskelgruppen angesprochen, die zunächst angespannt und anschließend entspannt werden. Häufig werden aber mehrere Muskelgruppen zusammengefasst, sodass z. B. nur Sieben angesprochen werden. 

Die progressive Muskelentspannung orientiert sich am Flucht-Kampf-Mechanismus, der sich dann beruhigt, wenn das zentrale Nervensystem Entwarnung gibt. Mithilfe dieser Entspannungsmethode geben wir unserem Körper das Entwarnungssignal, indem wir die Muskulatur für einige Sekunden aktivieren. Außerdem berücksichtigt die Technik auch das physiologische Entspannungsgesetz, dass besagt, dass ein Muskel, der mindestens 5 Sekunden angespannt wird, anschließend entspannen kann. 

Durch den Wechsel von Anspannung und Entspannung kann ein vertieftes Gefühl von Ruhe erreicht werden. Die damit einhergehende Muskelentspannung wirkt sich wohltuend auf Körper und Geist aus.

Entspannungsmethode Progressive Muskelentspannung

Die progressive Muskelentspannung eignet sich besonders für Menschen, die unter starker körperlicher Anspannung oder chronischen Schmerzen leiden. Auch bei Angststörungen oder Depressionen kann die PME hilfreich sein.

Je nach belieben kann diese Entspannungsmethode sowohl im Stehen als auch im Sitzen oder Liegen durchgeführt werden. Die einzige Voraussetzung ist die Fähigkeit, Muskeln an- und wieder entspannen zu können. Vor dem Üben solltest Du sicherstellen, dass Dir nicht kalt wird und Du bequeme Kleidung trägst.

Unterteilt wird die progressive Muskelentspannung in fünf Phasen:

  1. Hinspüren
  2. Maximale Anspannung
  3. Spannung halten für 5 Sekunden
  4. Schnelles Loslassen
  5. Nachspüren.

Während meiner Ausbildung zur Entspannungstrainerin habe ich entdeckt, dass die Progressive Muskelentspannung (PME) für mich die effektivste Methode ist, um einen Zustand tiefer Entspannung zu erreichen. Da ich Dir diese Erfahrung ebenfalls ermöglichen möchte, habe ich eine von mir persönlich angeleitete Entspannungseinheit für Dich zum Download bereitgestellt:

Angeleitete progressive Muskelentspannung

Diese angeleitete progressive Muskelentspannung (PME) wird Dir dabei helfen, Deinen Körper auf angenehme Weise zu entspannen und wenn Du willst auch besser einzuschlafen.

Ich wünsche Dir viel Freude beim Ausprobieren der beschriebenen Entspannungmethoden. Lass mich gerne wissen, welche Erfahrungen Du gesammelt hast und welche die für Dich beste Technik ist, um in einen Zustand tiefer Entspannung zu kommen.

Quellenverweise: 

Berceli, David (2005): Körperübungen für die Traumaheilung – und zur Stressreduktion im Alltag, 8. Aufl. Papenburg

Charf, Darmi (2017): Die Schwierigkeit von Entspannung. Abgerufen am 26.10.2021, von https://traumaheilung.de/die-schwierigkeit-von-entspannung/

Heller, Laurence (2013): Entwicklungstrauma heilen: Alte Überlebensstrategien lösen – Selbstregulierung und Beziehungsfähigkeit stärken – Das Neuroaffektive Beziehungsmodell zur Traumaheilung NARM, 7. Edition, München

Klein, Gopal Norbert (2018): Vom Symptom direkt in die Entspannung geht nicht. Abgerufen am 25.10.2021, von https://www.youtube.com/watch?v=Bmw4sBpC38g

Thimm, Mathias (2019): Der Poyvagalkreis. Abgerufen am 06.05.21, von http://familiebeziehungtrauma.blogspot.com/2019/08/der-polyvagal-kreis.html

Täter-Opfer-Dynamik

Täter-Opfer-Dynamik – Wie Dir der Ausstieg gelingt

Hast Du Dich im Zusammenhang mit Trauma schon mit der Täter-Opfer-Dynamik auseinandergesetzt? Kannst Du anerkennen, dass Du Opfer warst, wenn Du traumatisiert wurdest? Und bist Du bereit, Dir einzugestehen, dass Du in der Folge auch zum Täter geworden bist? Das persönliche Opfersein anzuerkennen und sich der eigenen Täterschaft zuzuwenden, sind mitunter die schwersten und gleichzeitig wichtigsten Schritte auf dem Weg der Ganzwerdung.

Dieser Beitrag ist in Kooperation mit Andrea Stoffers entstanden. Andrea ist Heilpraktikerin für Psychotherapie mit eigener Praxis, dem Zentrum Mensch in Neuss. Seit 2010 arbeitet sie mit der Anliegenmethode auf Basis der Identitätsorientierten Psychotraumatherapie nach Franz Ruppert. Danke, liebe Andrea, dass Du mich als meine Therapeutin bei diesem wichtigen Thema unterstützt hast.

Rollenverständnis Täter - Opfer

Im Trauma Kontext sprechen wir von einem Täter, wenn ein Mensch einem anderen körperlichen oder psychischen Schaden zufügt. Der Mensch, dem ein Schaden zugefügt wird, wird als Opfer bezeichnet.

Wenn eine Mutter die eigenen Kinder schlägt, wird sie zum Täter und macht die Kinder zu Opfern. Die Taten müssen von beiden Parteien verarbeitet werden. Die Mutter (Täterin) muss mit der Tatsache zurechtkommen, die eigenen Kinder verletzt zu haben und die Kinder (Opfer) sind gezwungen, einen Umgang mit den physischen und psychischen Verletzungen zu finden, die ihnen zugefügt wurden.

Viele von Trauma betroffene Menschen tun sich schwer, den Begriff Opfer auf sich selbst anzuwenden, weil er im Sprachgebrauch negativ behaftet ist und mit Schwäche gleichgesetzt wird. Tatsächlich bringt er jedoch lediglich die Hilf- und Wehrlosigkeit zum Ausdruck, die das Tatgeschehen auslöste.

Ist ein Täter bereit, die Verantwortung für seine Handlungen zu übernehmen, seine Schuld anzuerkennen und eine Kompensation für den erlittenen Schaden anzubieten, kann der traumatisierende Vorfall von allen Beteiligten verarbeitet werden. Gelingt die Klärung auf diese Weise jedoch nicht, besteht die Gefahr, dass Täter eine Täterhaltung und Opfer eine Opferhaltung einnehmen.

Merkmale von Täter- und Opferhaltungen

Eine Täterhaltung nimmt jemand ein, der die Verantwortung sowie das eigene Verschulden an der Tat abstreitet oder sie sogar als gerechtfertigt empfindet (z.B.: weil er sich zu bestimmten Handlungen genötigt fühlt). Menschen in Täterhaltung schreiben dem Opfer die Schuld an ihren Handlungen zu und es fehlt ihnen an jeglichem Mitgefühl. Das kann so weit gehen, dass sie das Opfer sogar verspotten.

Beispiel für eine Täterhaltung: Ein erwachsener Mann gibt seiner Tochter die Schuld daran, dass er sie sexuell missbraucht hat, weil sie im Alter von vier Jahren immer wieder seine Nähe gesucht hat und Neugier am männlichen Geschlecht zeigte. Er rechtfertigt, dass die sexuellen Handlungen nicht von ihm ausgingen, sondern er von seiner Tochter verführt worden sei.
Als der Mann sexuelle Gefühle gegenüber seiner Tochter bemerkte, hätte er sich Hilfe suchen müssen, statt sie auszuagieren. Dass er als Erwachsener in der Verantwortung gewesen wäre, der unschuldigen Experimentierfreude des Kindes mit Nähe und Intimität Grenzen zu setzen, blendet er aus.

Menschen, die sich in einer Opferhaltung befinden, geben sich selbst die Schuld an den Taten (wodurch ungerechtfertigter Weise eine Mitschuld übernommen wird) und empfinden diese häufig sogar als gerechtfertigt, weil sie glauben, es nicht anders verdient zu haben. Sie schämen sich für sich selbst und für das, was sie erleiden mussten und verschweigen deshalb das Geschehen. Oft nehmen sie die Täter sogar in Schutz, indem sie die Taten verdrängen oder verharmlosen.

Täter-Opfer-Dynamik

Beispielfür eine Opferhaltung: Eine inzwischen 35-jährige Frau fühlt sich verantwortlich, zu jeder Zeit für ihre alkoholabhängige und gewalttätige Mutter da zu sein und ihr auch finanziell immer wieder auszuhelfen. Die Frau erinnert sich zwar daran, wie ihre Mutter sie während ihrer Kindheit misshandelte und vernachlässigte, übt sich aber in Verständnis, da es ihre Mutter selbst nicht leicht hatte. Sie redet sich ein, dass es für sie alles halb so schlimm gewesen sei. Es ginge ihr ja schließlich so weit gut. Außerdem beteuert sie immer wieder, dass sie als Kind auch sehr hohe Ansprüche hatte, die wahrscheinlich niemand hätte erfüllen können.

„Die Täter- wie die Opferhaltung ist eine Überlebensstrategie, um in einem destruktiven Beziehungssystem bleiben zu können und die Beziehung nicht endgültig auflösen zu müssen. Weder Täter noch Opfer kennen eine Alternative zu dieser Form der Beziehung. Sie nehmen die Destruktivität in ihren Beziehungen in Kauf, weil überhaupt keine Beziehung und noch nicht einmal jemanden zu haben, mit dem man sich streiten oder schlagen kann, noch mehr gefürchtet wird als alles andere.“ (Franz Ruppert, 2012)

Opfer- und Täterhaltungen gehen nicht ausschließlich aus so gravierenden Szenarien hervor, wie sie in den Beispielen verwendet wurden. Vielen von uns fehlte es augenscheinlich an nichts und dennoch haben wir Wunden durch Entwicklungstrauma davongetragen. Diese entstanden unter anderem, weil unsere Eltern und Großeltern Strafen als geeignetes Erziehungsinstrument ansehen oder es bis heute als gerechtfertigt empfinden, dass sie uns als Kinder weinen lassen haben, damit wir lernen, uns selbst zu beruhigen. Und wie viele von uns ignorieren ihre Wunden zugunsten der eigenen Familie, indem wir uns einzureden versuchen, dass das alles sei berechtigt oder halb so wild gewesen?

Begleiterscheinungen von Täter-Opfer-Beziehungen

Täterintrojekt – Täter gegen Dich selbst

Bei einem Täterintrojekt handelt es sich um eine Art der Identifikation mit dem Täter. Es sind Zuschreibungen und Verhaltensweisen, die das Opfer ursprünglich über lange Zeit vom Täter erfahren und als eigene Überzeugungen übernommen hat.

Wird dem Opfer durch Worte und Handlungen des Täters wiederholt signalisiert, wie schlecht und wertlos es sei, kommt das einer Gehirnwäsche gleich. Trauma-Opfer glauben dann irgendwann nicht nur den Worten des Täters, sie empfinden diese Zuschreibungen sogar als etwas Eigenes. Der Täter ist quasi Teil von uns selbst geworden.

Viele Opfer glauben ihr Leben lang selbst schuld, nicht normal oder sogar verrückt zu sein, weil ihnen das von Täterseite immer wieder eingeredet wurde. Die Gehirnwäsche wirkt so stark, dass es uns nicht mehr möglich ist zu erkennen, dass uns diese Informationen von außen eingegeben wurden und wir das nicht sind.  

Solange die Traumatisierungen nicht mit therapeutischer Hilfe verarbeitet wurden, werden wir durch Täterintrojekte selbst zu Tätern, vor allem an uns selbst. Wir reinszenieren unsere Traumata, indem wir uns selbst abwerten, verletzen, drogen- oder alkoholabhängig werden und oder lieblose und gewaltvolle Beziehungen eingehen.

Täter-Opfer-Dynamiken

Opfer-Täter-Dynamiken sind das, was als Verstrickung bekannt ist. Es bedeutet, dass wir nicht bei uns selbst sind und dementsprechend nicht unser eigenes Leben leben. Wir sind mit unserer Aufmerksamkeit nicht wirklich bei uns, sondern immer zu einem gewissen Teil bei dem Täter oder Stellvertretern für den Täter. Die Verstrickung wird sowohl vom Täter als auch vom Opfer aufrechterhalten.

Wenn beispielsweise eine Frau in ihrer Kindheit von ihren Eltern oder Erziehungsberechtigten nicht ausreichend versorgt wurde, hatte sie keine Möglichkeit, sich zu einer gesunden erwachsenen Frau zu entwickeln. Solange diese Frau ihre Traumatisierungen nicht verarbeitet, wird sie immer wieder Beziehung eingehen, in denen sie genauso vernachlässigt und unterversorgt wird. Weil es das ist, was die Frau unter Nähe versteht, macht sie Partnern mit Tätertendenzen sogenannte Vestrickungsangebote. Sie lässt sie in ihr Leben und opfert sich womöglich sogar für sie auf. Auf diese Weise bleibt sie nicht nur in einer Dauerschleife ihres Traumas verhaftet, sondern hält auch ein Abhängigkeitsverhältnis zum Täter aufrecht, der inzwischen auch das Gesicht ihres Geliebten oder Ehemanns tragen kann. 

Täter.Opfer

Wie steige ich aus destruktiven Täter-Opfer-Dynamiken aus?

1. Schritt: Das eigeine Opfersein anerkennen

Um aus der Täter-Opfer-Dynamik auszusteigen, ist es im ersten Schritt notwendig, das eigene Opfersein anzuerkennen. Dir einzugestehen, Opfer geworden zu sein ist ein schmerzhafter Prozess, der viel Mut abverlangt. Vor allem, weil er einschließt Menschen, die wir lieben, als Täter oder Mittäter zu identifizieren, besonders wenn es sich um Mitglieder aus der eigenen Familie handelt.

2. Schritt: Mitgefühl für Dich selbst entwickeln

Im nächsten Schritt müssen wir Mitgefühl für uns selbst entwickeln. Wir dürfen uns jetzt unseren verletzten Kindanteilen zuwenden, die in der Vergangenheit traumatisiert wurden und so furchtbar gelitten haben. Dann sind wir in der Lage, all den Schmerz zu fühlen, den wir damals nicht hätten überleben können. Wir können nun lernen, uns selbst die Eltern zu sein, die wir verdient und gebraucht hätten.

3. Schritt: Opferhaltung ablegen

Der dritte Schritt besteht darin, unsere Opferhaltung abzulegen, indem wir die Wahrheit anerkennen, wie sie wirklich ist. Wir hören auf, uns selbst die Schuld zu geben oder den Tätern zuliebe alle Geschehnisse unter den Teppich zu kehren. Ab sofort stellen wir uns selbst und unser eigenes Erleben an erste Stelle. Auf diese Weise übernehmen wir die volle Verantwortung für unser Leben und geben den Tätern die Verantwortung für ihre Taten zurück.  

Muss ich den Kontakt zu den Tätern abbrechen, um Verstrickungen aufzulösen?

Wenn Du verstanden hast, wie verstrickt Du mit den Tätern bist, wirst Du von selbst erkennen, dass es Abstand braucht, um den oft jahrzehntelang verinnerlichten Täter-Opfer-Dynamiken ein Ende zu setzen.

Vor allem, wen es sich bei den Tätern um Mitglieder der eigenen Familie handelt, ist ein Kontaktabbruch mit großen Ängsten und Zweifeln verbunden. Letztendlich ist es aber das wohl wertvollste Geschenk, dass Du Dir selbst machen kannst. Denn durch das Auflösen von Verstrickungen legst Du den Grundstein für die Entwicklung einer eigenen gesunden Identität und somit auch für glückliche und konstruktive Beziehungen. Am Ende entscheidest Du aber natürlich immer selbst.

Täter-Opfer Kontaktabbruch

Wann ist Kontakt wieder möglich?

Ein gesunder Kontakt zu den Tätern ist überhaupt erst dann möglich, wenn Du die oben genannten Schritte durchlaufen und Deine Opferhaltung aufgegeben hast.

Das ist der Fall, wenn Du Verstrickungsangebote von Tätern erkennen und entschieden ablehnen kannst und sie nicht länger in der Lage sind, Dich emotional zu beeinflussen. Sobald Du feststellst, dass ein bedürftiger (Kind) Anteil von Dir angesprochen bzw. getriggert wird, musst Du in der Lage sein Dich zu schützen, indem Du die Situation sofort verlässt.

Es kann den Heilungsprozess der Beziehung beschleunigen, wenn sich der Täter selbst bereit erklärt, die Verantwortung für seine Handlungen zu übernehmen, indem er seine eigenen Traumatisierungen aufarbeitet. Du solltest aber nicht allzu große Hoffnung haben. Die meisten Menschen haben zu viel Angst, sich das Trauma durch eigene Täterschaft anzusehen und sich einzugestehen, dass sie anderen Menschen Schaden zugefügt haben.

Was ist das Trauma durch eigene Täterschaft?

Laut Franz Ruppert handelt es sich beim Trauma durch eigene Täterschaft um eine eigene Traumakategorie. Er legt die Annahme zugrunde, dass es in jedem Menschen immer auch gesunde psychische Anteile gibt, die sich im Klaren über Recht und Unrecht sind. Fügt ein Täter also einem anderen Menschen einen Schaden zu, traumatisiert er sich damit auch selbst. Um mit den der Tat einhergehenden Gefühlen von Schuld, Scham, Ekel, Wut und Hilflosigkeit weiter leben zu können, muss er sie abspalten und als Überlebensstrategie die Täterhaltung einnehmen.

Es ist eine schreckliche und traurige Endlosspirale, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass ein Mensch überhaupt erst dann zum Trauma-Täter wird, wenn er einst selbst Trauma-Opfer war. Und das Trauma-Opfer wiederum zu Trauma-Tätern werden (mindestens bei sich selbst), wenn sie ihre Traumatisierungen nicht aufarbeiten.

Beim Verabschieden von Täter-Opfer-Dynamiken wird es früher oder später also notwendig sein, Dich Deinem Trauma durch eigene Täterschaft zuzuwenden. Es ist nicht leicht, die Verantwortung dafür zu übernehmen, Dir selbst oder anderen Menschen furchtbare Dinge angetan zu haben. Wenn Du dem jedoch ein Ende setzen willst, um ein gesundes, glückliches und selbstbestimmtes Leben zu führen, ist es dringend notwendig. Nur so können wir den Teufelskreis der Täter-Opfer-Dynamiken beenden.

Trau Dich Täter und Opfer in Dir zu verabschieden!

Selbstbestimmung

Sobald Du anerkennst, dass Du selbst Opfer warst und bereit bist, die Opferrolle aufzugeben, wirst Du sensibler für Verstrickungsangebote von (potenziellen) Tätern. Du wirst dann auch Bewusstheit darüber erlangen, wo Du selbst Täterverhalten zeigst. Es ist ein natürlicher Prozess, der ganz von allein voranschreitet, wenn Du die richtigen Schritte gehst.

Sei Dir immer bewusst, dass Du den Weg nicht allein gehen musst. Ein erster Schritt kann zum Beispiel sein, Dich Deiner besten Freundin anzuvertrauen oder Dir eine kompetente Therapeutin zu suchen, die Dich begleitet. Ich empfehle Dir die Anliegenmethode von Dr. Franz Ruppert sehr, weil ich mit ihr in so kurzer Zeit große Fortschritte gemacht habe.

Sei mutig und werde der Mensch, den Du Dir selbst als Kind an Deiner Seite gewünscht hast.

Schön, dass Du da bist!

Quellenverweise: 

Bass, Ellen & Davis, Laura (2001): Trotz allem – Wege zur Selbstheilung für sexuell mißbrauchte Frauen, 9. Edition, Berlin

Ruppert, Franz (2019): Liebe, Lust und Trauma: Auf dem Weg zur gesunden sexuellen Identität, 1. Aufl., München

Ruppert, Franz (2012): Trauma, Angst und Liebe: Unterwegs zu gesunder Eigenständigkeit. Wie Aufstellungen dabei helfen, 6. Edition, München

Aktuelle Beiträge

Inneres Kind

Dein inneres Kind – Die wichtigste Beziehung in Deinem Leben

Dein inneres Kind ist die wohl wichtigste Beziehung Deines Lebens. Warum das so ist und wie Du Dein Kind zu Dir einladen kannst, um eine liebevolle Beziehung aufzubauen, erfährst Du in diesem Beitrag. Außerdem gebe ich Dir Übungen an die Hand, mit denen Du Dein inneres Kind ins Hier und Jetzt holst, um es in seiner Weiterentwicklung zu unterstützen.

Warum ist Dein inneres Kind so wichtig?

Wir alle tragen ein kleines, verletztes Kind in uns, denn wir alle haben in unserer Kindheit Verletzungen davongetragen, die meisten von uns wurden sogar traumatisiert. Wenn wir verletzt und gedemütigt wurden, konnten wir nicht einfach unsere Koffer packen und gehen. Wir waren gezwungen, uns anzupassen und meist war das nur möglich, indem wir die schlimmen Gefühle in unser Unbewusstes verdrängt haben. Unser ganzes Leben versuchen wir diese schmerzhaften Erfahrungen dort zu vergraben, weil wir glauben, es nicht ertragen zu können, noch einmal damit in Berührung zu kommen.

Auch wenn wir es schaffen, unsere verletzenden Kindheitserfahrungen so weit zu verdrängen, dass wir damit nicht in bewusstem Kontakt sind, wird unser gesamtes (Er-) Leben unbewusst von den Prägungen unserer Kindheit beeinflusst. Es sind die tief verankerten Überzeugungen unseres Kindes, die unsere Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken und Handlungen im Hier und Jetzt lenken.

Das innere Kind ist sozusagen die Summe unserer kindlichen Prägungen – guter wie schlechter, die wir durch unsere Eltern und andere wichtige Bezugspersonen erfahren haben. Stahl, Stefanie (2015)

Solange das Kind auf der Erfahrungsebene von damals allein bleibt, werden wir in bestimmten Situationen selbst immer wieder zu diesem Kind. Eine Geste, ein Blick oder das Wort eines anderen Menschen kann ausreichen, um uns völlig aus der Bahn zu werfen. Wir fühlen uns dann womöglich überflutet von Gefühlen wie Hilflosigkeit, Angst, Scham oder Ekel. Vielleicht werden wir wütend und agieren das unserem Gegenüber aus.

Es sind dieselben Gefühle von damals, auf die wir auf dieselbe Weise reagieren, die uns einst geschützt hat. Weil die ursprüngliche Gefahr aus Deiner Kindheit längst vorüber ist, sind diese Reaktionsmuster in Deinem Erwachsenenleben meist unpassend. Dass wir emotional überreagiert haben, erkennen wir auch, sobald sich die Gefühle wieder beruhigt haben.

Die Zuwendung zu Deinem inneren Kind hilft Dir erwachsen zu werden, sodass Dein Leben und Deine Beziehungen nicht länger von verdrängten Kindheitserfahrungen beeinflusst werden. Es geht nicht darum, zurück in alten Wunden rumzustochern, sondern die Gefühle, die im Hier und Jetzt Dein Leben beeinflussen, einzuordnen und zu heilen.

Verzweifelte Suche nach Liebe

Wenn wir in unserer Kindheit tiefe Verletzungen davongetragen haben, wurde uns die Liebe, Anerkennung und Geborgenheit verwehrt, die jedem Kind zusteht. Wir konnten kein Urvertrauen entwickeln, haben Probleme mit dem Selbstwertgefühl und Schwierigkeiten inneren Halt zu finden. Ohne das bewusst wahrzunehmen, suchen wir bis heute verzweifelt nach dieser elterlichen Zuwendung.

Wir versuchen noch immer unsere Eltern zu beeindrucken, um irgendwann doch noch ihre Anerkennung zu erhalten. Oder wir suchen bei unseren Beziehungspartnern, Kindern oder Vorgesetzten nach der Liebe, Anerkennung und Geborgenheit, die wir als Kinder nicht erfahren durften.

Wenn ein erwachsener Mensch im Außen nach elterlicher Zuwendung sucht, führt das über kurz oder lang natürlich zu Ent-täuschung auf allen Seiten. Keine äußeren Umstände und kein anderer Mensch kann die Wunden heilen, die Deine Kindheitserfahrungen hinterlassen haben. Nur Du selbst bist in der Lage, diese Wunden zu verarzten. Dafür ist es notwendig, den Anteil in Dir zu begrüßen, der damals so maßlos enttäuscht und verletzt wurde. Dein inneres Kind!

Inneres Kind - Wir sehen Welt nur einmal

Den Widerstand aufgeben

Manchmal haben wir anfangs Widerstände gegen unser inneres Kind. Wir verknüpfen es mental mit der schlimmen Vergangenheit oder verurteilen es für seine Schwäche, die es damals erst ermöglicht hat, dass uns furchtbare Dinge angetan wurden.

Hinter dieser selbstverneinenden Betrachtungsweise verbirgt sich womöglich ein Schutzmechanismus. Vielleicht erscheint es Dir noch zu schmerzhaft anzuerkennen, wie groß Deine Verletzungen tatsächlich sind. Womöglich traust Du Dich auch noch nicht einzugestehen, dass die Menschen, die Du geliebt hast und die für Deinen Schutz verantwortlich waren, Dich allein gelassen oder Dir Schlimmes angetan haben.

Häufig taucht auch ein Widerstand auf, wenn es darum geht, die Eltern zur Verantwortung zu ziehen. Als Kinder lieben wir unsere Eltern bedingungslos, auch wenn sie uns Verletzungen zufügen. Wir fühlen uns schuldig, wenn wir sie jetzt kritisch betrachten sollen.

Meist sehen wir die Dinge auch nicht ganz klar. Weil wir als Kinder weiter in der Familie leben mussten, war es notwendig, ein Bild von unseren Eltern zu erschaffen, dass nicht die ganze Realität widerspiegelt. Dieses Bild jetzt mit der Wirklichkeit abzugleichen, kann sehr schmerzhaft sein. So schmerzhaft, dass wir vorziehen, mehr Verständnis für unsere Eltern aufzubringen als für uns selbst. Es geht aber gar nicht darum, Deine Eltern anzuklagen oder zu verurteilen. Es geht einzig um die Anerkennung Deiner Gefühle. Du darfst Dich jetzt so wichtig nehmen, dass Du Deine Gefühle in den Mittelpunkt stellst.

Dein inneres Kind zu Dir einladen

Um eine liebevolle Beziehung zu Deinem inneren Kind herzustellen, darfst Du Dein inneres Kind zunächst zu Dir einladen. Es muss erfahren, dass Du Dich ihm jetzt zuwendest und nicht länger von Dir weist. Du kannst diese Einladung schriftlich, gedanklich oder verbal aussprechen. Oder am besten alles in Kombination. Deine Einladungssätze könnten wie folgt aussehen:  

  • „Liebes inneres Kind, ich lade Dich jetzt ein, Dich mir zu zeigen – Du bist willkommen“.
  • „Liebe/r (DEIN NAME), ich möchte Dich kennenlernen und habe die Absicht, ab jetzt für Dich da zu sein“.

Vielleicht hältst Du es auch für notwendig, Dich bei ihm zu entschuldigen, weil Du es solange ignoriert hast. Dann formuliere:

  • „Mein geliebtes kleines Ich, es tut mir Leid, dass ich Dich solange allein gelassen habe, ab jetzt möchte ich für Dich da sein“.

Ganz wichtig ist, dass Du ehrlich mit Dir und Deinem inneren Kind bist. Es merkt schnell, wenn Du Versprechungen machst, von denen Du selbst noch nicht weißt, ob Du sie halten kannst. Deshalb erkläre ihm lieber Deine ehrliche Absicht, ohne voreilige Versprechungen zu machen. Du kannst Deinem Kind auch offen anvertrauen, dass Du womöglich gerade noch etwas Angst vor seiner Nähe hast oder vielleicht sogar wütend auf es bist. Füge dann aber hinzu, dass Du an einer liebevollen Beziehung interessiert bist. Dein inneres Kind wird es zu schätzen wissen, dass Du ihm auf Augenhöhe begegnest.

Wenn Du Dich erstmalig Deinem verletzten Kind zuwendest, geht es erst mal darum, Vertrauen aufzubauen. Dein inneres Kind wurde so lange allein gelassen, dass es vielleicht etwas Zeit braucht, bis es sich traut, sich Dir zu zeigen. Sei geduldig und nachsichtig und sprich ihm gut zu, dass es sich in seiner Zeit zeigen darf.

Inneres Kind

Dein inneres Kind wartet sehnsüchtig darauf, endlich gesehen und gehört zu werden. Wenn Du es immer wieder einlädst, wird es Deine Einladung früher oder später annehmen. Das kann über Deine Gefühle, Gedanken, innere Bilder oder auch über Träume geschehen. Sei aufmerksam und lausche. 

Deinem inneren Kind neue Überzeugungen schenken

Sobald sich Dir Dein inneres Kind mitteilt, wirst Du unweigerlich mit seinen inneren Überzeugungen konfrontiert werden. Aufgrund der verletzenden Kindheitserfahrungen hat Dein inneres Kind viele negative Glaubenssätze über sich selbst und das Leben verinnerlicht.

Es glaubt vielleicht wertlos zu sein, dumm oder sogar böse. Womöglich denkt es tief im Inneren eine Last für andere zu sein oder immer für andere da sein zu müssen. Solche tief verankerten Überzeugungen beeinflussen Dein gesamtes Leben und sollten deshalb schleunigst überprüft und aktualisiert werden.

Nimm Dir Zeit, um alle Glaubenssätze und Überzeugungen aufzuschreiben, sobald sie Dir im Kontakt mit Deinem inneren Kind bewusst werden. Schau Dir die Liste, die Du jederzeit erweitern kannst, dann in Ruhe an und überlege Dir, wie Du die jeweiligen Überzeugungen ersetzen möchtest. Meist eignen sich gegenteilige Entsprechungen:

Ich bin wertlos                      ->               Ich bin wertvoll 

Ich bin ein Last                      ->               Ich bin eine Bereicherung 

Ich muss funktionieren       ->               Ich darf einfach sein 

Ich muss für Dich da sein   ->               Ich darf mich abgrenzen 

Ich persönlich arbeite schon seit vielen Jahren mit Glaubenssätzen und habe gute Erfahrungen damit gemacht, sie aufzuschreiben und täglich durchzulesen oder sie aufzusprechen und vorm Einschlafen anzuhören. Wichtig ist, dass die Formulierung der neu gewählten Affirmationen sich stimmig für Dich anfühlt und Du regelmäßig damit arbeitest. Es braucht viel Zeit und Geduld, um die jahrzehntelang verinnerlichten Überzeugungen gegen neue zu ersetzen.

Wenn Du Dich tiefer mit Deinen Glaubenssätzen auseinandersetzen möchtest, empfehle ich Dir das Buch *Das Kind in Dir muss Heimat finden: Der Schlüssel zur Lösung (fast) aller Probleme von Stefanie Stahl (2015).

„Erfolgsautorin Stefanie Stahl hat einen neuen, wirksamen Ansatz zur Arbeit mit dem inneren Kind entwickelt: Er geht on dem verletzten „Schattenkind“ aus, in dem unsere negativen Glaubenssätze und die daraus resultierenden belastenden Gefühle abgespeichert sind. Wenn wir Freundschaft mit ihm schließen, lässt sich das „Sonnenkind“ befreien – unser lebenszugewandter freudiger und starker Wesenskern, der glückliche Beziehungen und ein Leben in Fülle erst möglich macht.“

Affiliate-/Werbelink: Wenn Du Dir das Buch über diesen Link kaufst, unterstützt Du meine Arbeit, ohne das Dir dadurch ein Nachteil entsteht. Lieben Dank!

Eine liebevolle Beziehung gestalten

Um eine liebevolle Beziehung zu Deinem inneren Kind aufzubauen, musst Du in erster Linie den Raum schaffen, in dem es mit all seinen Gefühlen sein darf. Dein Kind leidet noch immer unter den schrecklichen Gefühlen der Vergangenheit. Es trägt diese Last ganz allein auf seinen Schultern und wartet sehnsüchtig darauf, dass Du ihm diese Last abnimmst, damit es endlich einfach Kind sein darf.

Es geht also darum, eine Beziehung zwischen der/dem Erwachsenen, die/der Du heute bist und dem Kind von damals in Dir herzustellen. Als Erwachsene/r kannst Du für Dein Kind da sein und ihm die Liebe, Anerkennung und Geborgenheit schenken, die es verdient hat.

Dafür begleitest Du es in seinen Gefühlen, spendest ihm Trost und bleibst an seiner Seite. Drei Bedürfnisse Deines inneres Kindes solltest Du bei der Kommunikation besonders beachten:

1.) Es will gesehen und ernst genommen werden.

2.) Es will seine Gefühle ungehindert ausdrücken können.

3.) Es will Gewissheit, dass Du da bist.

Wenn Dein inneres Kind seine tief verwundeten Gefühle also zum Ausdruck bringt, dann verdeutliche, dass Du es siehst und ernst nimmst, indem Du wiederholst, was es Dir sagt oder zeigt:

„Ich sehe, wie traurig, wütend, ängstlich…Du bist. Das ist ok. Alles darf sein.“

Versuche dabei nicht in Erklärungen oder Rechtfertigungen zu gehen. Es geht einzig und allein darum Dein inneres Kind mit all seinen Gefühlen da sein zu lassen und für es da zu sein!

Um Deinem inneren Kind die Gewissheit zu geben, dass Du da bist und nicht weggehst, füge dem oben genannten Satz hinzu:

„Ich bin da und ich gehe nicht weg.„ und/oder „Du bist jetzt nicht mehr allein.“

Wenn wir schaffen unseren Gefühlen regelmäßig auf diese Weise zu begegnen, findet unser inneres Kind Heilung. Es kann Fortschritte in seiner Entwicklung machen, die gewissermaßen eingefroren war. Du befreist Dein Kind aus der Vergangenheit und holst es ins Hier und Jetzt!

Übungen, um Dein inneres Kind ins Hier und Jetzt zu holen

Es gibt zahlreiche Übungen, um das Vertrauen zu Deinem Kind zu stärken und ihm zu verdeutlichen, dass Du im Hier und Jetzt an einer Beziehung mit ihm interessiert bist. Einige, die ich selbst gerne anwende, stelle ich Dir jetzt vor. Bitte lass Dich nicht davon abschrecken, wenn Dir die Übungen am Anfang etwas komisch vorkommen. Es wird sich auszahlen, es zu probieren und über Deinen Schatten zu springen.

1. Einen Brief an Dein inneres Kind schreiben

Mach es Dir gemütlich und stimme Dich liebevoll auf diese Übung ein. Konzentriere Dich für ein paar Minuten auf Deinen Atem bevor Du beginnst und komme ganz im Moment an. Dann beginne intuitiv drauf loszuschreiben. Schreib einfach alles auf, was Dir in den Sinn kommt. Vielleicht möchtest Du Deinem Kind etwas Bestimmtes sagen, womöglich Sätze, die Du als Kind selbst gerne gehört hättest. Vielleicht möchtest Du ihm auch Fragen stellen.

Je öfter Du diese Übung durchführst, umso wirkungsvoller! Dein Kind-Anteil spürt, dass Du Dir Zeit nimmst und Dich ihm aktiv zuwendest. Vielleicht möchte Dir das Kind dann sogar antworten und Dich wissen lassen, was es sich wünscht oder was es braucht. Du kannst die Übung dann gleichermaßen durchführen, nur aus der Position des Kindes.  

–> Zur Übungsreihe “Inneres Kind heilen” <–

2. Mit einem Kinderfoto von Dir sprechen

Eine weitere hilfreiche Übung ist es Dir ein Foto von Dir als Kind herauszusuchen und laut mit ihm zu sprechen. Wähle ein Foto aus der Zeit, von der Du glaubst, dass Dein Kind besonders gelitten hat. Dann sieh es Dir in aller Ruhe an und versuch zu erkennen, wie verletzlich und unschuldig Du damals warst. Erlaube den Schmerz darüber, dass Du nicht beschützt wurdest und sprich mit diesem kleinen Ich von Dir und sag ihm, wie schlimm das alles war, und das Du jetzt da bist und mit ihm fühlst.

Inneres Kind

3. Dein inneres Kind in Entscheidungen einbeziehen

Diese Übung, die ich aus dem Buch *Befreie dein inneres Kind: Wie Sie sich selbst geben, was Ihnen Ihre Eltern nicht gaben von Mike Hellwig (2007) abgeleitet habe, kannst Du immer machen, wenn Du vor wichtigen Entscheidungen stehst. Dabei wirst Du feststellen, was für ein wertvoller Berater Dein inneres Kind für Dich sein kann!

Lege für die Übung zwei Kissen gegenüber voneinander auf dem Boden oder Deinem Bett aus (Du kannst auch zwei Stühle nehmen). Auf eins der Kissen legst Du ein Foto von Dir als Kind und auf das andere ein aktuelles Foto von Dir als Erwachsene.

Setze Dich zunächst auf das Kissen mit dem Erwachsenbild und stelle Dir vor, Du würdest jetzt wirklich vor Dir als Kind sitzen. Sprich Dein Kind liebevoll an und frage es, wie es zu Deinem Anliegen steht.

Stehe dann von dem Kissen auf und setze Dich auf das gegenüberliegende Kissen. Jetzt nimmst Du die Rolle Deines inneren Kindes ein. Schließe kurz die Augen, nimm Dir Zeit um Dich einzufühlen und stell Dir vor, wie Dein erwachsenes Ich gerade mit Dir gesprochen hat. Spüre in Dich hinein, welche Bilder, Worte oder Gefühle in Dir aufkommen und Teile sie Deinem erwachsenen Ich mit. Vielleicht sind da auch Wünsche und Bedürfnisse, die erfüllt werden wollen.

Im Anschluss wechselst Du wieder die Position. Jetzt ist es wichtig, dem Kind noch mal zu spiegeln, was Du gehört hast. Egal was es Dir gezeigt hat, erlaube ihm da zu sein und versichere ihm, dass Du nicht weggehst.

Ihr könnt den Dialog weiter fortführen, bis es sich stimmig anfühlt, den Austausch zu beenden. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat Dir Dein Kind-Anteil gezeigt, was es hinsichtlich Deines Vorhabens denkt, braucht oder fühlt.

Wenn Dein Kind vor etwas Angst oder Widerstand hat, heißt das aber nicht zwangsläufig, dass Du als Erwachsene Dein Vorhaben einstellen musst. Manchmal braucht Dein Kind dann nur Deinen Zuspruch, um sich sicher in Deiner Entscheidung zu fühlen. 

Durch diese Übung lernst Du die Gefühle Deines inneren Kindes von Deinen erwachsenen Bedürfnissen zu unterscheiden. Bei regelmäßiger Anwendung wirst Du merken, wie Du automatisch liebevollere und verantwortungsbewusstere Entscheidungen für Dein Leben triffst.

4. Werde zu den Eltern, die Du Dir als Kind gewünscht hast

Bei dieser wirkungsvollen Übung heilst Du die Wunden Deiner Kindheit, indem Du mit Dir selbst so umgehst, wie Du es Dir von Deinen Eltern gewünscht hättest. Du kannst die folgende Liste nach Belieben ergänzen und am besten versuchst Du einige der Punkte zu festen Gewohnheiten in Deinem Leben zu machen:

    • lob Dich für jede Kleinigkeit und sag Dir, wie stolz Du auf Dich bist,
    • höre Dir aufmerksam zu und nimm Dich dabei ernst
    • sei für Dich da, ohne Dich abzulenken,
    • tröste Dich, wenn Du traurig bist,
    • nimm Dich ganz oft selbst in den Arm,
    • sag Dir jeden Tag, wie wundervoll Du bist,
    • erlaube Dir das zu tun, was Dich glücklich macht (und Dir guttut),
    • höre auf Deine Wünsche und Bedürfnisse,
    • fördere Dich und sei dabei liebevoll und geduldig mit Dir,
    • erlaube Dir zu träumen,
    • lerne spielerisch und leicht,
    • schau Dir Trickfilme an,
    • lies Dir Kinderbücher vor,
    • Lache, Tanze, Singe und Spiele!

5. Mit Deinem inneren Kind spielen

Wie alle Kinder, liebt es auch Dein Kind zu spielen! Es sehnt sich danach, endlich einfach Kind sein zu dürfen. Erlaube es ihm, indem Du gemeinsam mit ihm spielst.

Du kannst zum Beispiel auf einen Spielplatz gehen, auf ein Klettergerüst klettern, eine Rutsche hinunterrutschen oder so hochschaukeln, dass es im Bauch anfängt zu kribbeln.

Finde heraus, was Deinem Kind Freude bereitet. Vielleicht sind es noch immer die Sachen, die Du als Kind geliebt hast. Warst Du gern im Schwimmbad, hast gern gebastelt, getanzt oder gesungen?

Vielleicht möchte Dein Kind auch ein Instrument spielen lernen. Oder es wünscht sich ein Kuscheltier. Egal was es ist, nimm es ernst und erfülle Deinem Kind seine Wünsche!

Wenn Du die Übungen häufig wiederholst, wird Dein inneres Kind zwangsläufig ein fester Bestandteil Deines täglichen Bewusstseins. Eurer liebevollen Beziehung steht dann nichts mehr im Weg!

Mit der Zeit  wird Dein inneres Kind gemeinsam mit Dir zu einer glücklichen erwachsenen Frau/einem glücklichen erwachsenen Mann heranwachsen, die/der sich ihres/seines Wertes bewusst ist, selbstsicher auftritt und in der Lage ist, auf konstruktive Weise in Beziehung zu treten.

Wie nah stehst Du zum jetzigen Zeitpunkt Deinem inneren Kind? Welche Methoden nutzt Du, um für es da zu sein? Oder entspricht dieser Ansatz vielleicht überhaupt nicht Deinen Überzeugungen? Ich bin gespannt und freue mich, wenn Du Deine Erfahrungen in einem Kommentar mit mir teilst.

Schön, dass Du da bist!

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